Zu arbeitswerttheoretischen Aspekten.

Eine Diskussion zwischen Hans-Gert Gräbe und Georg Quaas

Dezember 2021 bis Februar 2022

Zusammenfassung

Die hier dokumentierte Diskussion wurde im Dezember 2021 und Januar 2022 geführt und setzt frühere Diskussionen [QG-17, QG-19, QM-Z124] fort. Das Erkenntnisinteresse der beiden beteiligten Seiten in dieser Debatte ist deutlich verschieden.

Gräbe interessieren diese Fragen vor allem im Kontext moderner Entwicklungen des digitalen Wandels und von Praxen der Organisationsinformatik, die Arbeitsprozesse und ganze produktions-organisatorische Komplexe begleitet, wobei immer wieder von Wertschöpfung (additional value proposition), Wertrechnung, Wertvergleichen, Wertschätzungen (nicht Wertschätzen) usw. die Rede ist. Das geschieht dort in einer durchaus bereits elaborierten Weise, allerdings in begrifflichen Kategorien, die mit ökonomischen Begriffskategorien, besonders der VWL, wenig kompatibel sind. Pars pro toto dafür [dat-20] ab Abschnitt 5. Gräbe interessiert sich deshalb vor allem für die Frage, wie die Marxsche Methode auf heutige ökonomische Phänomene anzuwenden ist und wie insbesondere die inzwischen weitgehend eingetroffenen Visionen aus dem „Maschinenfragment“ ökonomie-theoretisch zu fassen ist, wenn „die Arbeit nicht mehr so sehr in den Produktionsprozess eingeschlossen erscheint, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozess selbst verhält“. Dazu [mf-17].

Quaas interessiert sich (im Kontext dieser Debatte) vor allem für eine genaue Rekonstruktion der Marxschen Argumente in einem stimmigen mathematischen Modell, das heutigen Anforderungen an dessen deduktive Qualität gerecht wird. Es geht ihm darum, eine Brücke zwischen der reifen ökonomischen Theorie von Karl Marx und der modernen Makroökonomik zu bauen, die sich mit den aktuellen Probleme aufgrund einer breiten Datenbasis und ausgefeilten, nicht immer unproblematischen Methoden beschäftigt.
Die Interessen treffen sich in diesem (linearen) mathematischen Modell, das in der Tradition Leontiefscher Verflechtungsmatrizen von beiden Diskutanten aber verschieden entwickelt wird. Zentral (und kontrovers) sind und bleiben dabei die Begriffsbildungsprozesse, die jeder mathematischen Modellierung vorausgehen müssen.

Gräbe: Meine zwei Ausgangspunkte sind einmal der Ansatz der Verflechtungsrechnungen auf einer Ebene, wo noch Gebrauchswerteinheiten im Spiel sind (also stärker BWL-lastig) und auf der anderen Seite die empirisch zu beobachtenden „inneren Wertrechnungen“, die allerdings von realen Praxen und den Vorgaben der Buchführung abhängen und nicht von ökonomischen Schulen.

Die Debatte bleibt notwendig spekulativ, da sie mit Blick auf die eingesetzten (und verfügbaren) Ressourcen weit von einer empirischen Überprüfung entfernt sind. Gleichwohl werden an einigen Stellen Anforderungen an eine solche empirische Überprüfbarkeit abgeleitet.

Wesentlicher Konsens in der Diskussion scheint darin zu bestehen, dass der Arbeitsprozess als Quelle von Wert in seiner inhärent kooperativen Struktur genauer analysiert werden muss, um diesen Geneseprozess von Gebrauchswert und Wert in ihrem inneren Zusammenhang besser zu verstehen. Selbst über grundlegende Zugänge zu einer solchen genaueren Analyse konnte allerdings keine Einigkeit erzielt werden.

Ein Ergebnis ist, dass Gräbes Ansätze [awt-10, nf-11, mf-17, at-17] nicht als Weiterentwicklung der Marxschen Arbeitswerttheorie bezeichnet werden sollten, da im Ökonomiediskurs u.a. der Neuen Marx-Lektüre dieser Begriff mit engen Setzungen arbeitet, die in Gräbes Ausführungen nicht geteilt werden.

Grenzen der Anwendung des linearen Modells

Gräbe: Gibt es Grenzen der Anwendung Ihres linearen Modells? (Bei mir beschränkt sich dies auf den Kern einer industriellen Produktionsweise – standardisierte Arbeiten, standardisierte Produkte.) Dazu würde ich ggf. gern als Beispiel diskutieren, wie der Arbeitsprozess der Herstellung des Berliner Flughafens (BF) auf diesen Wert übertragen hat. Der BF ist zwar keine Ware im herkömmlichen Sinne, aber nun, nach der Fertigstellung, doch Arbeitsmittel. Und Angebot und Nachfrage sollten nun auch im Gleichgewicht sein (man wollte genau einen BF und hat nun auch genau einen BF).

Quaas: „Mein Modell“ stellt eine Minderheitenposition dar, die bislang nur auf wenige Probleme angewendet worden ist, und das – soviel ich weiß – auch nur von mir. Wie soll man da wissen, wo die Grenzen sind? Nebenbei bemerkt: Wenn ich hier „mein Modell“ in Anführungszeichen setze, dann deshalb, weil das Modell infolge der zugrunde liegenden Methodik (lineare mathematische Verallgemeinerungen, hermeneutische Kontrolle jedes Schritts der Modellierung) eine solche Nähe zum modellierten Text aufweist, dass ich es als anmaßende empfinden würde, die dargestellten Inhalte als mein geistiges Eigentum zu bezeichnen. Vgl. [Q-2016]

Der Fall „BF“ wäre mir zu kompliziert in dem Sinne, als da noch ganz andere, ungeklärte Probleme zu diskutieren wären. Z.B. hat eine Nicht-Ware einen Wert?

Gräbe: Das sollte das kleinste Problem sein, denn Ihre Antwort ist, soweit mir bekannt, Ja. Und meine auch.

Quaas: So ist es. Aber wen wollen Sie mit einer solchen Analyse beeindrucken, wenn schon die theoretischen Voraussetzungen bestritten werden?

Gräbe: Ich will niemanden beeindrucken, allein verstehen, wie der Satz „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung‘, die einzelne Ware als seine Elementarform.“ zu verstehen ist, wenn sich herausstellt, dass ein großer Teil des Reichtums in Nicht-Waren steckt. Denn statt dem BF können wir andere Großbetriebe nehmen, etwa das Leipziger BMW-Werk oder die Total-Raffinerie in Leuna, wenn Ihnen BF zu skandalträchtig ist.

Quaas: Das Problem habe ich schon mal ausgiebig mit Klaus Müller debattiert. M.E. liegt bei den physischen Staatsprodukten der Fall so ähnlich wie bei jedem Kauf einer Ware mit anschließendem Konsum: Das Produkt – der fertige BF – verliert mit der In-Betriebnahme weitgehend die Wareneigenschaft, behält aber seinen Wert – der natürlich auch nicht von dem tatsächlichen Aufwand, sondern von dem „gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand“ bestimmt ist. Den zu bestimmen, würde ich mir nicht zutrauen.

Gräbe: Es wäre aber interessant, die Wertbildung im Arbeitsprozess der Produktion einer solchen Produktionsstätte besser zu verstehen. Sie hat ja am Schluss, vor der Inbetriebnahme, auch einen Buchwert. Es ist wie jede größere Produktionsstätte ein Unikat, also damit keine „gewöhnliche“ Ware, aber zweifellos eine Ware, da der BF von einem ökonomischen Subjekt (Generalauftragnehmer – der hat hier unterwegs sogar gewechselt) erstellt und von einem anderen betrieben wird. In dem Sinne gibt es auch einen Preis, der am Markt „verhandelt“ wurde. Das ist nach meinem Verständnis dann auch der Wert als „gesellschaftlich notwendiger Arbeitsaufwand“ und sollte es auch bei Ihnen sein, wenn Sie Ihr Kriterium anlegen, dass Wert=Preis gilt, wenn Angebot und Nachfrage zusammenfallen. BF ist da möglicherweise ein schlechtes Beispiel, da hier keine „richtigen“ Kapitalisten verhandeln. Beim Leipziger BMW-Werk stehen aber dieselben Fragen, und da sind es „richtige“ Kapitalisten.

Quaas: Die Anwendung des mathematischen Modells für Marx‘ Arbeitswerttheorie auf den BF würde erfordern, die Darstellung für den Reproduktionsprozess der Volkswirtschaft (Kapitel 8 in meinem Buch) auf ein einzelnes Unternehmen herunterzubrechen. Theoretisch würde das gehen, aber wo nehmen Sie beispielsweise die Effizienzparameter für den Bau von Flughäfen oder ähnlicher Bauprojekte her? Der BF ist nicht der einzige Flughafen, der in der BR gebaut worden ist. Generell ist es einfacher, die AWT anstelle auf ein Unternehmen auf eine Volkswirtschaft anzuwenden.

Der BF hat übrigens keinen Preis, da er nicht auf dem Markt angeboten wird – jedenfalls nicht als Ganzes. Was Sie da meinen sind die Kosten einzelner Produktionsschritte. Insofern ist es müßig, darüber zu streiten, ob hier Angebot und Nachfrage identisch sind: Es gibt weder das eine noch das andere.

Gräbe: Ausgangspunkt war die Frage nach Grenzen des mathematischen Modells. Ich gehe für mein Modell davon aus, dass es einen Kernbereich sozial-ökonomischer Praxen einigermaßen korrekt beschreibt. Ich vergleiche das mit den Keplerschen Gesetzen, welche die Bahnen der großen Planeten einigermaßen korrekt beschreiben, aber nicht geeignet sind, etwa Kometenbahnen zu beschreiben. Die Gründe dafür sind heute gut bekannt – wenn das Wesen der Planetenbewegung in den Keplerschen Gesetzen zu suchen ist (und Kepler dieses Wesen identifiziert hat), dann besteht das Wesen der Keplerschen Gesetze im n-Körper-Modell mit n=2, denn daraus lassen sich diese Gesetze herleiten. Und man weiß heute, dass für n>2 solche einfachen Gesetze („Wesen erster Art“?) nicht existieren.

Jener Kernbereich der Wertrechnung sind für mich die Zusammenhänge einer stabilen industriellen Produktionsweise, in der Quanta standardisierter Produktqualitäten mit Quanta standardisierter Arbeitsqualitäten unter standardisierten Produktionsbedingungen hergestellt werden. Wobei die Standardisierung so weit geht, dass nicht einmal mehr Skaleneffekte wirken (denn die sind nichtlinear und können folglich in einem linearen Modell nicht dargestellt werden).

Dieser Kernbereich bildete sich zu Marx‘ Zeiten erst heraus, er hat dessen Entwicklung aber visionär vorhergesehen. Die Entfaltung geschah erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa mit F. Taylors „Scientific Management“ und der massiven Zergliederung und Standardisierung von Arbeitsprozessen. Dafür gab es technologische Gründe, die vor allem in der Entwertung von vorindustriellem „tacit knowledge“ beim Einsatz (damals) moderner Technologien lagen. Taylor war ja interessanterweise auch Vorarbeiter, und selbst bei Henry Ford, der primär Ingenieur und Erfinder war, gingen die entsprechenden Aktivitäten nicht von ihm, sondern von den Vorarbeitern in seinen Fabriken aus. Dieser Kernbereich sozio-ökonomischer Wertrechnung löst vorkapitalistische Kernbereiche und Formen ab. In dem Verständnis gehe ich auch davon aus, dass Wert keine kapitalistische „Erfindung“ ist, die sich neu herausbildende Form aber schon, und diese eng an die Form der Organisation der Arbeitsprozesse gebunden ist. Früher hätte man kurz gesagt, „die Produktivkräfte bestimmen die Produktionsverhältnisse“.

Dieser Kernbereich wird wesentlich durch Zeitmaße geprägt, durch Arbeitszeiten und Kapitalumschlagzeiten. Und ich denke, Marx hat deutlich genug gezeigt, dass letztere auch verkappte Arbeitszeiten sind. Die „kollektive Hypnose“ der Ausdehnung dieser Art von Rechnung über jenen Kernbereich hinaus auf „Privatarbeiten“ jeder Art wird gerade in der Sendung „Bares für Rares“ demonstriert, die meine Frau gern schaut. Nach den Bieteprozessen selbst in jenen Versteigerungen und der (weniger interessanten) Perspektive der Anbieter wird dort gerade die Perspektive der inneren Wertrechnung der Händler gezeigt, aus welcher heraus sie bestimmen, bis wohin sie mitbieten und wie sie den imaginierten Wert des ersteigerten Vorprodukts durch Einsatz eigener und fremder Arbeit in ein „marktgängiges“ Produkt verwandeln, welches (bei einem Kostpreis = Vorprodukt und Arbeitsleistung von 1200 Euro) dann mindestens 1500 Euro erbringen muss (was seinerseits keine nicht begründbare Traumvorstellung ist). Hier spielen also neben kooperativen Arbeitsprozessen auch kooperative Denkpraxen eine wesentliche Rolle.

Das ist für Sie möglicherweise unbefriedigend, weil sie gleich und nur auf die VGR-Dimension hinauswollen. Dazu müsste man aber von der hier skizzierten Basis zunächst einmal die Genese der dort auftretenden Aggregate ableiten bzw. fragen, welche noch oder stattdessen erforderlich wären, um Theorie und Empirie zusammenzubringen. Siehe dazu auch Punkt 9 unten.

(Quaas‘ Antwort siehe unten: Gräbes Modell).

Subjekte der Wertrechnung

Gräbe: Wer führt Wertrechnungen aus? Oder ist das für Sie eine blöde Frage? (In meinem Modell ist das eine innere Rechnung des Unternehmers und als solche Teil eines gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozesses).

Quaas: So weit ich weiß, nur Marxisten. Und mit dem Vorbehalt, dass sie die wahren Werte nicht kennen und darum auf Preise zurückgreifen müssen. Mit der Darstellung der Preistheorie wird dieser Vorbehalt überflüssig. Die Preise spiegeln die Marktwerte wider, und diese sind relevant für ökonomische Transaktionen. Im Unternehmen werden dann die Werte so transformiert, wie es die Werttheorie beschreibt. Das Produkt hat dann einen Wert, der sich auf dem Markt bewähren muss. Die „Bewährung“ beschreibt die Preistheorie.

Gräbe: Ich meinte damit die Frage, wo diese Marxisten das realweltliche Subjekt verorten, das man mit geeigneten empirischen Methoden untersuchen müsste, um die Theorie zu verifizieren. Anders kann meine Anmerkung in Klammern eigentlich nicht verstanden werden. Ich verstehe Ihre Antwort so, dass Sie das auch so modellieren wie ich?

Quaas: Sicherlich nicht so wie Sie, aber es gibt, wie ich nun feststelle, starke Ähnlichkeiten.
Ihre Frage ist mir in der Tat etwas dunkel. Ich kann nur versuchen, auf richtige Weise auf Ihre Frage einzugehen. Und dann lautet die Antwort: Ich weiß seit 20 Jahren nicht mehr, wo Marxisten das realweltliche Subjekt verorten, nachdem ihnen das Proletariat abhanden gekommen ist. Der Grund ist simpel: Ein realweltliches Subjekt der Geschichte gibt es nach meiner Meinung nicht, darum interessiert es mich auch nicht, wo andere es suchen. Die Geschichte ist getrieben durch sich langsam verändernde Strukturen, in den wir Menschen uns bewegen müssen und die wir zwar verändern, aber meistens ganz anders, als wir vorhatten. Das ist – in äußerster Kurzfassung – das Gesellschaftsbild des transzendentalen Realismus (Roy Bhaskar, William Outhwaite etc.), das ich für mich akzeptiert habe. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich soziale Gruppen, die kollektiv handeln: Arbeitskollektive, Arbeitgeber-Vereinigungen etc. Es gibt auch große Gruppen, die Marx Klassen nennt und die hin und wieder Strukturbrüche erzeugen und ansonsten einen dauerhaften, mal zu- und abnehmenden Druck auf die Strukturen ausüben. Aber sollte man sie deshalb zu Subjekten hochstilisieren?

Gräbe: Ich habe mich vielleicht falsch ausgedrückt. Ich meine Subjekte, die im Sinne der Tätigkeitstheorie zunächst realweltlich agieren und dann ein Begriff daraus abstrahiert wird – nicht gleich mit dem Anspruch, ein „Subjekt der Geschichte“ identifiziert zu haben, sondern „nur“ ein Subjekt, das die Wertrechnungen vollzieht. Ist die Konstruktion eines solchen Subjekts vermessen?

Quaas: Die Werttheorie ist eine wissenschaftliche Konzeption, die trotz vielfältiger Diskussion und aus den verschiedensten Gründen empirisch noch nicht anwendungsfähig ist. Man dürfte deshalb nicht fehl gehen, wenn man behauptet, dass es kein Subjekt gibt, das die Wertrechnung anwendet. Auf jeden Fall: kein praktisch agierendes Subjekt.

Gräbe: Sehe ich komplett anders wie weiter unten noch genauer erläutert. Und diese Annahme (von Subjekten, die Wertrechnungen als innere Rechnungen ausführen) ist Grundlage meiner Modellierung.

Quaas: Deshalb ist es wichtig, diese „inneren Wertrechnungen“ den paradigmatisch verschiedenen ökonomischen Schulen zuzuordnen – siehe unten.

Gräbe: Wieso kann man nicht einfach von den Büchern der Unternehmen ausgehen und nach dem Wesen hinter jenen Erscheinungen fragen?

Quaas: Das machen – grob gesagt – die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, und zwar in objektivierter und umfassender Weise.

Wesen und Erscheinung

Gräbe: Wie verstehen Sie den Zusammenhang von Wesen und Erscheinung? Ist in der Erscheinung das Wesentliche und Unwesentliche vereint und das Wesen herauszuarbeiten bedeutet, jenes Unwesentliche abzutrennen? So etwa verstehe ich zum Beispiel Annette Schlemm. Dem Wesen nach gilt für den freien Fall, dass Stein und Feder mit gleicher Geschwindigkeit fallen, obwohl das als Erscheinung nie jemand beobachtet hat. Dazu gibt es ein mathematisches Modell. Es gibt aber auch mathematische Modelle, in denen der Luftwiderstand berücksichtigt wird, und dann ist das Wesen ein anderes? Unser aus der Ingenieurtechnik extrahierter Systembegriff bedeutet Abgrenzung und Reduktion auf Wesentliches, orientiert an einer nützlichen Funktion. Bei Annette Schlemm scheint das genau andersherum gefasst zu sein.

Quaas: Ich versuche diese Kategorien „Wesen“ und „Erscheinung“ zu vermeiden. Eine Theorie spiegelt Strukturen (Mechanismen) wider, die von entgegenwirkenden Kräften und Tendenzen überlagert werden, so dass die Empirie (die „Erscheinung“) undifferenziert sowohl die Wirkung des Mechanismus‘ als auch der anderen Einflüsse zeigt. Aufgabe der Wissenschaft ist es, Methoden zu finden, um die „wesentlichen“ Zusammenhänge zu isolieren und „sichtbar“ zu machen („zur Erscheinung zu bringen“). Neben dem Experiment gibt es dazu auch statistische Methoden für die non-experimental research, die in den Sozialwissenschaften vorherrscht.

Motivationen

Quaas (Gräbes Variante einer Arbeitswert-Theorie, die das Kapital als wertschöpfend ansieht, kommentierend): Kann man zwar machen, hat aber mit Marx schon im Ansatz nichts zu tun, bei dem der Wert aus Arbeit und nur aus Arbeit entspringt. Die Frage ist, ob und was Ihr neuer Ansatz mehr leistet. Da die von ihnen aufgeworfenen Probleme bereits gelöst sind, kann es sich nur um eine andere Lösung handeln. Da fragt man sich: Wozu braucht die Menschheit diese neue Version einer Kapital-Arbeitswerttheorie, wo nicht einmal die Marxsche bei den wenigen verbliebenen Anhängern geklärt ist?

Gräbe: Vielleicht ist es ja einfach eigenes Erkenntnisinteresse?

Quaas: Die teilweise Übernahme eines an der reifen ökonomischen Theorie von Marx orientierten Modells bringt das Modell mehr in Gefahr als wenn es komplett ignoriert wird. Denn ein Merkmal des Modells ist die logische Kohärenz. Und man kann nun einmal eine Größe, die die Dimension Wert pro Arbeitszeit hat, nicht in ein und demselben Modell auf den Kapitaleinsatz beziehen, der für sich genommen schon die Dimension des Werts hat. „Wert je Werteinsatz“? Kann man machen, zum Beispiel im Rahmen der IO-Rechnung oder der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion. Das hat aber nichts mit der Modellierung der Marxschen Arbeitswerttheorie zu tun. „Für Reinheit der Substanzen. Wenn Wein sein soll dann Wein.“ (Christa Wolf)

Gräbe: Es geht (mir) um die Potenziale eines mathematischen Modells einer Arbeitswerttheorie, das auf der Basis der Marxschen Grundlage nach dessen Methode entwickelt ist, aber die folgenden 150 Jahre weiterer (realer) Entfaltung jener Wertkategorie nicht unbeachtet lässt und sich folglich nicht auf eine Marx-Exegese beschränkt, sondern begründet angemessene Modifikationen vorschlägt.

Quaas: Das ist ein legitimes Anliegen. Damit habe ich überhaupt kein Problem, obwohl sich meine Motivation darauf beschränkt, zunächst die Marxsche Theorie adäquat in ein mathematisches Modell zu konvertieren. Das ist m.E. eine Voraussetzung dafür, jene Theorie anhand der vorliegenden empirischen Daten zu überprüfen und dann auf der Basis überprüfter Aussagen zu ergänzen, meinetwegen auch: zu modifizieren. Wenn ich nach wie vor Ihrem Modell kritisch gegenüberstehe, dann deshalb, weil es nach meiner Meinung zu Widersprüchen führt und weil ich meine, dass man dieselbe Erklärungsleistung auch anders, nämlich kohärent, erbringen kann.

Vergleich der zwei Modelle

Gräbe: Ich verstehe Ihre Aussagen so, dass wir beide Modelle (Ihres und meins) auseinanderhalten sollten und beide gegen ein Drittes vergleichen – die Marxschen Ausführungen und die Marxsche Methode. Nur so lässt sich sinnvoll „der Gefahr entgehen, die eine teilweise Modellübernahme mit sich brächte“. Für mein Modell nehme ich dabei in Anspruch, dass ich es im Rahmen der Diskussion weiter präzisiere und ggf. auch korrigiere oder revidiere, wobei allerdings zu letzterem bisher keine Veranlassung bestand.

Quaas: Ja, wir sollten die beiden Modelle auseinanderhalten. Wenn Sie auf „meines“ verweisen, um nicht des Plagiats bezichtigt zu werden, könnten und sollten Sie nicht nur die Gemeinsamkeit oder Ähnlichkeit darstellen, sondern auch die Differenz. Sie haben dann halt nur eine Idee oder eine Anregung übernommen und in Ihrem Sinne verarbeitet.

Für jeden, der den Check auf Übereinstimmung der Maßeinheiten ernst nimmt, wäre es ein Grund, einen Widerspruch oder Fehler zu erkennen, wenn man ihn auf eine Nicht-Übereinstimmung hinweist. Wieso zieht dieses Argument bei Ihnen nicht? Ein Faktor mit der Maßeinheit „Wert pro Arbeitszeiteinheit“ kann nicht zwischen Wert und Kapital vermitteln, da das Kapital nicht in Arbeitszeiteinheiten gemessen wird.

Gräbe: Wahrscheinlich komme ich doch zunächst bei einer Zwei-Faktoren-Theorie raus. Ich hoffe noch immer besser zu verstehen (und dann auch klarer darstellen zu können), in welchem Sinne Kapital reale Verfügung über (vergegenständlichte wie lebendige) Arbeitszeit ist, damit Kapital zwischen Wert und Arbeit vermittelt und sich dann doch eine Arbeitswerttheorie ergibt.

Das ist die Marxsche AWT aber möglicherweise auch, spätestens ab der Trennung von bezahlter (v) und unbezahlter Arbeit (c+m), denn bei letzterer orientiert er sich – wenigstens auf der Ebene der Erscheinungen – ebenfalls am Kapitaleinsatz.

Wert und Kapitaleinsatz

Quaas: Das konstante Kapital ist weder unbezahlt noch Arbeit, es ist gekaufte und damit bezahlte vergegenständlichte Arbeit, d.h. Wert. Vergegenständlichte Arbeit ist streng genommen keine Arbeit mehr, wenn man den Marxschen Arbeitsbegriff ernst nimmt: MEW 23: 192 ff.

Gräbe: Gütersteuern sind also c zuzuschlagen, weil dort eine Staatsvorleistung als „bezahlte vergegenständlichte Arbeit“ direkt in das Produkt eingeht (deshalb heißen diese Steuern auch „indirekte Steuern“), während die „direkten Steuern“, die auf das Vorhalten der Produktionsbedingungen (auch „bezahlte vergegenständlichte Arbeit“?) anfallen, eher wie Investitionen zu behandeln sind und „indirekt“, über ein Abschreibungsmodell, als Wert auf das Produkt übertragen werden? Ich denke, Sie machen es sich an der Stelle zu leicht. Ihrem letzten Satz stimme ich allerdings zu, jedoch sind im fertigen Produkt, bevor es auf den Markt kommt, sämtliche Arbeiten vergegenständlicht, auch v.

Quaas: Wieso fallen die direkten Steuern „auf das Vorhalten von Produktionsbedingungen an“? Wir haben keine Vermögenssteuern mehr.

Gräbe: Was ist mit Körperschafts- und Gewerbesteuern?

Quaas: Gute Frage. Wie diese Steuern in Marx‘ Kategoriensystem einzuordnen wären – dazu kann ich nur eine Vermutung äußern: Wahrscheinlich als Teil des Mehrwerts, den sich der gesellschaftliche Gesamtkapitalist „Staat“ aneignet, um seinen Reproduktionsprozess zu unterhalten. Da er die Resultate dieses Prozesses weitgehend unentgeltlich zur Verfügung stellt, fließen die entsprechenden Werte auf der anderen Seite als Vorleistungen in den privatwirtschaftlichen Reproduktionsprozess ein. Marx abstrahiert in seiner reifen Theorie von beiden Zusammenhängen. Zur Berücksichtigung des Staates wollte er noch kommen, aber sein Leben war zu kurz. (Vielleicht hatte er auch die Motivation dafür verloren.)

Gräbe: Das zeigt aber noch einmal den engen realweltlichen Zusammenhang zwischen der Reproduktion der produktiven Infrastruktur auf den verschiedenen Aneignungsebenen (privatkapitalistisch wie auch staatskapitalistisch, die Bedeutung den neuen „Plattform-Staaten“ Google, Facebook und Co. mal außer Betracht gelassen) und dem Mehrwert. Meine These ist, dass der gesamte Mehrwert letztlich (also ggf. mit zeitlichem Versatz) auf diese Weise (Luxuskonsum eingeschlossen) verwendet wird. Strittig scheint zwischen uns zu sein, ob diese Verteilungsformen Teil einer Arbeitswerttheorie sind. Nach meinem Verständnis ja, da die entsprechenden materiellen Ströme, die entgegen den Geldströmen laufen, in der VGR sehr wohl mit erfasst werden.

Systemische Strukturen

Gräbe: Hier muss wahrscheinlich ein spezifisch systemisches Phänomen berücksichtigt werden, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist und dass spezifische „Mehr“ seine Quelle im Zusammenspiel der Teile hat. Das wäre dann v+m. Ich denke, so sollte man es auch verstehen. Das setzt allerdings voraus, dass für die Teile, die ja schon einmal durch die Bewertung „am Markt“ durchgegangen sind, an jener Stelle der Wertrechnung Wert und Preis zusammenfallen. Das wäre dann nahe an Heinrich. So etwa geht es auch in meinem Petrinetz-Ansatz [awt-10]. Siehe auch weiter unten.

Quaas: Der Satz „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ gilt für Systeme mit internen Wechselwirkungen. Trotzdem können Sie in solchen Systemen einen Aspekt finden, der additiv ist, und sei es nur, die Teile abzuzählen (falls das geht). Die AWT beschreibt eine Struktur, die additiv ist. Deshalb können Sie die Existenz von Mehrwert im Rahmen der AWT nicht mit Hilfe jenes Satzes herauskitzeln. Die Nicht-Additivität ergibt sich auf der Ebene der Preisbildung aufgrund der Werte und des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage. – Die schrittweise Annäherung des Modells der AWT (denn nach Ulrich Steinvorth ist die AWT schon an sich (meine Ergänzung) ein Modell) ist ein Merkmal der Marxschen Methode.

Gräbe: Der zusammengesetzte Arbeitsprozess ist aber immer mehr als die Summe seiner Teile, sonst bestünde kein Grund, ihn zusammenzusetzen.

Quaas: Sicher – unter physischem Aspekt. Die AWT projiziert ökonomische Sachverhalte auf einen linearen Raum.

Wert und Produktionsbedingungen

Gräbe: Das kann ich erst später versuchen genauer zu erläutern. Hier nur so viel: Über den Wert wird nach meinem Verständnis (auch) zwischen Vergangenheit und Zukunft des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses vermittelt (wobei eine universelle Taktung unterstellt wird, die realweltlich so natürlich nicht existiert). Es geht darum, die Produkte des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses so zu verteilen, dass dieser in sinnvoll modifizierter Weise (als sich dialektisch entwickelnder Prozess – im Weiteren „Reproduktion“) weitergeführt werden kann. Neben der Reproduktion der Arbeitskraft (v) gehört dazu die Reproduktion der Prozessbedingungen (c+m). Die Wertkategorie kann also auch von der Bedingtheit der Produktionsbedingungen her analysiert werden. Für die Arbeitskraft sind wir uns wohl einig – sie verfügt in dem Maß (in GE) über jenen gesellschaftlichen Reichtum zur eigenen Reproduktion, in welchem ihr eigene „einfache Arbeit“ gutgeschrieben wurde. Feinheiten lasse ich weg. Die Produktionsbedingungen sind in einer kapitalistischen Ökonomie im Privateigentum und damit in der Verfügungsgewalt von Kapitalisten (juristische Subjekte bis hin zur Exekutive des Staates und seiner Gliederungen eingeschlossen). Zur Reproduktion der jeweiligen Produktionsbedingungen muss jeder dieser Eigentümer über einen angemessenen Anteil am (neu geschaffenen) gesellschaftlichen Reichtum verfügen. Marx sagt nach meinem Verständnis, dass sich dieser Anteil in GE auf zwei komplementäre Weisen additiv bestimmt: c+m. m ergibt sich (nach Marx) entweder über die Profitrate als Prozentsatz auf das vorgeschossene Kapital oder über die Mehrwertrate als Prozentsatz auf die in der vorherigen Periode in Bewegung gesetzte „einfache Arbeit“. Mir ist nicht klar, was hier wann genau zählt und ob hier ein weiteres (oder dasselbe) „Transformationsproblem“ lauert, aber wenn diese Frage geklärt ist, dann ist m in beiden Fällen ebenfalls ein „multipliziertes Etwas“ und ich zeige, dass man rein formal (unter der Voraussetzung der Existenz solcher Faktoren) das dann zu einer komplexen Matrixgleichung zusammenbauen kann. Was das begriffslogisch bedeutet, dazu habe ich einige Spekulationen entwickelt. Vielleicht können wir also diese beiden Aspekte (den rein formal-mathematischen und den begriffslogischen) zunächst trennen. Ich denke, es besteht kein Dissens, dass in c+v+m die Summanden für Wertbestandteile stehen.

Quaas: Weitgehend d’accord, aber die Darstellung der sachlichen Zusammenhänge ist einerseits so allgemein, dass sich wohl jede ökonomische Schule damit abfinden kann, andererseits enthält sie kleinere Ungenauigkeiten, wenn man den Bezug zu Marx‘ Theorie herstellt.

„Die Wertkategorie kann also auch von der Bedingtheit der Produktionsbedingungen her analysiert werden.“ Sie kann nicht nur, sondern muss anhand der Produktionsbedingungen analysiert werden, da die Wertgröße von nichts anderem als von diesen Bedingungen abhängt. Das bedeutet aber nicht, dass der Wert ein Produktionsverhältnis oder gar ein Verhältnis zwischen Menschen wäre.

„m ergibt sich (nach Marx) entweder über die Profitrate als Prozentsatz auf das vorgeschossene Kapital oder über die Mehrwertrate als Prozentsatz auf die in der vorherigen Periode in Bewegung gesetzte ‚einfache Arbeit‘.“ Das ist so nicht richtig. Der Mehrwert ergibt sich einfach aufgrund der Marktverhältnisse (windfall profit) oder meinetwegen auch wegen der klugen Kalkulation des Unternehmers. Die Mehrwert- und die Profitrate ist dann das jeweils gegebene Verhältnis des Mehrwerts auf verschiedene Bezugsgrößen (v und v+c) und kann im Nachhinein berechnet werden. Weder Marx noch irgendein Kapitalist multipliziert v oder v+c mit einer Rate, um dann den Mehrwert oder den Profit zu bestimmen. Nur Banker tun das, aber keineswegs immer mit Erfolg.

Gräbe: Gut, das kommt in der Tat darstellungslogisch später – um zu einer durchschnittlichen Profitrate zu argumentieren, muss diese erst einmal begrifflich eingeführt werden. An der Stelle bleibt für mich die Aufteilung der vergegenständlichten Arbeit in c+m unklar.

Wert und Aktualität

Quaas: Sie schreiben: „Über den Wert wird nach meinem Verständnis (auch) zwischen Vergangenheit und Zukunft des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses vermittelt…“ Vom Standpunkt einer Interpretation, die Marx vulgär nennen würde, ist das richtig. Aber nicht im Rahmen seiner Theorie, da der Wert zu jedem Zeitpunkt aktuell bestimmt ist, also auch der Wert, der vor kurzem oder langem mal geschaffen worden ist, hängt von den Produktionsverhältnissen ab, die aktuell existieren. Deshalb gibt es – streng genommen – keine Vermittlung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach dem Motto, der Wert von t1 bestimmt die Produktionsverhältnisse in t2>t1. Eine irgendwie geartete Taktung ist überflüssig.

Eine im Besitz eines Unternehmers befindliche (unverderbliche) Ware, die zum Einsatz als Vorprodukt in einem späteren Arbeitsprozess vorgesehen ist, kann zum Zeitpunkt t1 ihres Erwerbs einen anderen Wert haben als zum Zeitpunkt t2 ihrer Verarbeitung zu einem neuen Produkt. Relevant für die Wertrechnung des neuen Produkts ist nur der Zeitpunkt t2.

Gräbe: Wir rechnen also in einer Faser des Vektorbündels (Abschnitt 7). Dann ist die Frage, wie sich der Wert längs eines lokalen Schnitts transformiert, der die beiden Fasern „richtig“ verbindet. Ich packe das mal auf den Stapel zu beantwortender Fragen. In meinem Modell: Im Rahmen der inneren Wertrechnung des jeweiligen Eigentümers als Verschiebung des in seiner Verfügung befindlichen Kapitals.

Multiplizierte Arbeit

Gräbe: Was bedeutet es, wenn Arbeit in einem stark industrialisierten Umfeld stets konkrete ‚Aneignung des general intellect‘ erfordert, der ‚dressierte Gorilla‘ (falls es ihn je gab) ausgedient hat… und damit Arbeit überhaupt nur noch als komplizierte, im Marxschen Sinne also als multiplizierte Arbeit in Erscheinung tritt?

Quaas: Das Problem ist gelöst. Multiplizierte Arbeit kann es aus logischen Gründen nur im Vergleich zur ,einfachen Arbeit‘ geben. Und als einfache Arbeit gilt die, die einfacher als alle anderen ist. M.a.W.: In einer diskreten Struktur der Berufe gibt es immer ein Minimum.

Gräbe: s=v·t beschreibt einen einfachen multiplikativen physikalischen Zusammenhang, den ich mit Blick auf mein Verständnis der Art und Weise der von Marx verwendeten kategorialen Begrifflichkeiten wie folgt formulieren würde: Der Weg s, den ein Objekt zurücklegt, ergibt sich aus der Dauer t der Bewegung, potenziert mit der Bewegungsfähigkeit v des Objekts selbst (vulgo: multipliziert mit dessen Geschwindigkeit). So verstehe ich auch den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit (durchschnittlich realer) und Wertgröße, welche von dieser „bestimmt“ wird (Quaas, Z 128): w=f·t. Die Dauer der Arbeit t ist mit ihrer Potentia, der spezifischen Fähigkeit des Arbeitenden, aufzuladen und ergibt nach der Multiplikation das Quantum der Wertgröße w (in GE). Der Multipliktator f (in meiner Deutung) hat damit die Einheit GE/h. Eine Reduktion auf ein äquivalentes Quantum t0 „einfacher Arbeit“ ist leicht getan vermöge der Gleichung f·t=f0·t0, in der f0 der Multiplikator ist, der für die Potentia „einfacher Arbeit“ – was das auch immer sei – steht. Wenn Sie mit „einfacher Arbeit“ rechnen wollen oder meinen, dass es auch Marx getan habe, dann ergibt sich t0=w/f0=f/f0·t. Dann haben Sie auch Ihren skalaren Faktor. Ich bezweifle aber, dass dies Marx‘ Intention ist. Da ich kein ernsthaftes Beispiel bei Marx kenne, wo explizit in Einheiten einfacher Arbeit gerechnet wird, ist das ganze Konstrukt „einfache Arbeit“ als quantitative Größe für die Marxsche Wertrechnung entbehrlich. Diese Ersparnis (im mathematischen Modell) kann ich mir also leisten, wenn ich nicht marx-exegetisch unterwegs bin.

Quaas: Sie erklären mir hier, was ich bereits 1983 [Q-1984] publiziert habe (einschließlich der korrekten Dimension). Um den Proportionalitätsfaktor zwischen w und t wird zwischen mir und Klaus Müller hart gerungen. In Marx-exegetischer Deutung handelt es sich um den Kompliziertheitsgrad der Arbeit. Sie bezeichnen den Proportionalitätsfaktor mit f und haben ihn in „Berliner Debatte. Initial“ [at-17] zugleich als Kapitalkoeffizient gedeutet. Letzteres kann in keiner Weise durch Marx belegt werden und widerspricht auch sämtlichen anderen ökonomischen Theorien, die ich so kenne. Insofern sind Sie in der Tat in Nicht-Marx-exegetischer Weise unterwegs. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das allen Ihren Lesern klar ist. Das berührt den Punkt, der mich bei Ihnen des Öfteren irritiert: Sie behaupten etwas über die ökonomische Theorie von Marx, das leicht missverstanden werden kann. Aktuelles Beispiel die folgende Aussage: „Da ich kein ernsthaftes Beispiel bei Marx kenne, wo explizit in Einheiten einfacher Arbeit gerechnet wird…“ Ja, kenne ich auch nicht. Der Grund ist einfach der, dass Marx sich über messtheoretische Korrektheit und entsprechende Anforderungen keine Gedanken gemacht hat. Inhaltlich wird Ihnen aber jeder Marx-Kenner sagen, dass Ihre Aussage falsch ist, denn Marx unterstellt generell einfache Arbeit und nur einfache Arbeit als Grundlage seiner werttheoretischen Aussagen. Insofern kommt es gar nicht darauf an, ob ich in einer entsprechenden Werteinheit rechnen will oder nicht. Die Einheit einer Wertgröße und wie man sie bestimmen könnte muss bei einer exegetischen Deutung explizit gemacht werden. Die Notwendigkeit ergab sich spätestens da, als Müller die Frage stellte, wie man sich die Darstellung einer von der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit verschiedenen Wertgröße vorstellen soll. – Eine für einen Physiker sicher komische Frage, aber nach meiner Erfahrung ist nicht einmal allen promovierten Ökonomen klar, welchen Sinn die exakte Angabe von Einheiten hat.

Reduktion auf einfache Arbeit

Gräbe: Nehmen wir als Ausgangspunkt (Quaas 2016, Formel (3.7)) – W(a):W(b)=t(A):t(B). Hieraus ergibt sich die „Weltkonstante“ R=W(a):t(A)=W(b):t(B) (=W(c):t(C)=…) mit der Einheit GE/h. Im Gegensatz zu Ihrer Fußnote 5 (ebenda, S. 68) ist t(A) nicht nur von der Anzahl, sondern auch von der Qualifizierung der Beschäftigten abhängig. Insoweit t(A) bereits „einfache Arbeit“ zählt, ohne sich „der Mühe der Reduktion“ zu unterziehen, kann das durch einfaches Abzählen der Arbeitenden geschehen. Unterzieht man sich dieser Mühe der Reduktion, so ist t(A)=r1·T(A1|A)+…+rk·T(Ak|A), wobei hier T(Ai|A) für die reale (durchschnittlich notwendige) Arbeitszeit steht, um die Teiloperation Ai im Rahmen des Arbeitsprozesses A auszuführen, welche die speziell potenzierte „einfache Arbeit“ einer speziellen Profession zum Vollzug des (kooperativen) Arbeitsprozesses A beiträgt. ri sind Ihre „Kompliziertheitsgrade“, also r2=1, falls A2 „einfache Arbeit“ ist. Mit dieser „Mühe“ öffnet sich der Blick auf die modulare Struktur des technologischen Prozesses nicht nur von A, denn dieselbe (spezielle) Art ai=a(Ai) von „potenzierter einfacher Arbeit“ kommt auch in anderen Arbeitsprozessen B, C, D, … zum Einsatz, und immer geht der Summand ri·T(Ai|B) als ri·T(ai) in die Wertrechnung ein usw. Ich führe also an dieser Stelle eine zweifache Abstraktion aus – setze erstens gleich
W(a)=(R·r1)·T(A1|A)+…+(R·rk)·T(Ak|A) (1)
und eliminiere damit den Begriff „einfache Arbeit“ sowie fasse zweitens T(Ai|A) zu T(ai) zusammen. Das ist nun in der Tat nicht mehr Marx, denn der mag sich bekanntlich dieser „der Mühe der Reduktion“ nicht unterziehen, ist vielleicht aber doch die konsequente Anwendung der Marxschen Methode auf eine seiner theoretisch dünnen Stellen. Das ist wohl auch der wesentliche Unterschied zwischen Ihren (ri) und meinen (fi=R·ri) Arbeitswertkoeffizienten.

Quaas: In dieser Überlegung – die ich sehr interessant finde – ist leider ein gravierender Fehler enthalten. Vielleicht können Sie aber plausible Gründe anführen, warum sie in einem Punkt – übrigens ähnlich wie Klaus Müller, nur in anderer Richtung – die klare Denkweise verlassen wollen. Ich meine folgende Aussage: „Im Gegensatz zu Ihrer Fußnote 5 (ebenda, S. 68) ist t(A) nicht nur von der Anzahl, sondern auch von der Qualifizierung der Beschäftigten abhängig.“ Wie bitte? Der Lauf der Stechuhren ist von der Qualifikation der Beschäftigten abhängig? Wie kann der Ingenieur beeinflussen, dass bei ihm eine Stunde Arbeit plötzlich drei Stunden sind? (Müller sagt an dieser Stelle: als drei Stunden gilt). Das ist purer Irrationalismus.

Aber ich ahne, was Sie machen wollen und finde das völlig okay. Aber Ihre Formulierung taugt nichts, weil sie jenen Fehler enthält. Ich formuliere mal in meine Notation um und wette, wenn es Ihnen nicht aufs Rechthaben ankommt, werden Sie zustimmen:

W(x)=u(A)·t(A) + u(B)·t(B)+…+u(C)·t(C) wenn x=X(A,B,…,C) (2)

Muss ich das erläutern? Ich denke, bei Ihnen brauch ich das nicht. Falls ich das jemals verwende – und ich denke ich werde es verwenden – werde ich sagen müssen, dass die grundlegende Idee, das Modell so auf kombinierte Arbeitsprozesse zu erweitern, von Ihnen stammt.

Gräbe: Möglicherweise reden wir fundamental aneinander vorbei. In (1) geht es um die neu hinzukommende lebendige Arbeit (die Formel ist ja eine Abspaltung aus einer komplexeren Matrixgleichung), in (2) möglicherweise um die darstellungslogisch früher erforderliche Abgrenzung der Wertkategorie, bevor die Unterscheidung in lebendige und vergegenständlichte Arbeit eingeführt wird. Dem geht die Ableitung des Begriffs Geldware als allgemeines Äquivalent voraus, in deren Einheit GE jeder Wert „gemessen“ wird. Ein solches allgemeines Äquivalent postuliert Marx m.E. auch mit dem Begriff „einfache Arbeit“. An einer solchen Stelle im Kapital, wo Wert noch nicht in v+(c+m), die Arbeit noch nicht in „bezahlte“ und „unbezahlte“ und der Arbeitsprozess noch nicht in das produzierende Subjekt und die Produktionsbedingungen geschieden sind, muss t(A) sämtliche (lebendige wie vergegenständlichte) Arbeit enthalten und – mangels Unterscheidbarkeit – kann eine „Produktivität“ der Arbeit noch gar keine Rolle spielen.

Wertbildung und Wertübertragung

Quaas: Das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten hat mindestens drei Funktionen: die Sicherung einer systematischen Ordnung unter den Kategorien, die Darstellung einer Entwicklung von Strukturen und eine didaktische Funktion. „Mein“ Modell folgt dieser Methode. Die dabei entwickelten Elemente können aber – nachdem sie eingeführt worden sind – bausteinartig und in Abhängigkeit von der darzustellenden Situation – zusammengesetzt werden, also zum Beispiel die neu hinzukommende Arbeit wird mit dem Wert-Übertragungsmodell kombiniert. Wenn mehrere Arbeitsprozesse kombiniert werden sollen, dann durch Addition. Das ist möglich, weil bei Marx der Wert eine additive Größe ist, was für den Preis nicht zutrifft.

Gräbe: Dann reden wir in (1) und (2) wohl doch von verschiedenen Dingen und (2) ist in der Tat eine Formel für den gesamten Wert eines kombinierten Arbeitsprozesses (einschließlich der vergegenständlicht vorliegenden Vorarbeiten).

Ziel der Modellierung (wenigstens meiner) ist es, die Erscheinungen realweltlicher ökonomischer Prozesse auf deren Wesen zu reduzieren (dazu Frage 5 vorab). Das Scheiden des einheitlichen Arbeitsprozesses (was das auch immer sei) in „neu hinzugekommene Arbeit“ und „Wertübertragungsmodell“ für bereits vergegenständlichte Arbeit postuliert nach meinem Verständnis (zusammen mit dem Postulat der Additivität der Wertgröße), dass W(a) die Struktur W(a)=(v+m)(A)+c(A) hat. Zu v(A) haben wir eine gewisse Annäherung erreicht, der Rest bleibt zu klären. Jene Wertübertragungsrechnungen nehmen nach meinem Verständnis auf ökonomische Praxen Bezug, die ausschließlich die Kapitalisten betreffen. Ein wesentlicher Bestandteil jener Praxen (also auf der Ebene der Erscheinungen) sind Buchwerte, mit denen betriebswirtschaftlich bilanziert wird. Ich habe das „innere Wertrechnung“ genannt, da das Buchwertsystem inzwischen stark formalisiert ist und die formale von der „inneren“ Buchwertrechnung abweichen kann. Damit vermische ich aber zunächst „funktionale und personale“ Momente (unten Punkt 4). Bei einem juristischen (also kooperativen) Subjekt wie einer Aktiengesellschaft besteht diese Gefahr der Doppeldeutigkeit nicht mehr, es sei denn, diese „inneren“ Wertrechnungen sind Teil einer kooperativen Urteilspraxis auf der Basis eines (sich selbst in Entwicklung befindlichen) kooperativen Begriffssystems.

Wie auch immer, die empirische Transparenz solcher Prozesse hat seit Marx deutlich zugenommen und erfährt im digitalen Zeitalter einen zusätzlichen „Booster“, von dem die EWR ja auch massiv profitiert. Trotz aller „Konkurrenz“ scheint es dem Kapital auch wichtig zu sein, jene Prozesse voranzutreiben, ein dialektischer Widerspruch? Vielleicht sollte man an dieser Stelle auch (zunächst) die üppiger werdende Datenbasis von der eigentlichen Wertübertragungsrechnung trennen und statt der „inneren“ von einer „antizipierenden Wert(übertragungs)rechnung“ sprechen. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass jenes kooperative Subjekt als Kapitalist keine Wertbestandteile in der „Unterklasse IIb verausgabt“ (MEW 24:411).

Quaas: Die praktizierte Abschreibung ist eine vom Staat vorgegebene, sehr grobe Abschätzung des Wertverlustes des fixen Kapitals. Zwar gibt es Gemeinsamkeiten mit dem Marxschen Begriff des konstanten Kapitals, aber auch Unterschiede. Was zum Beispiel ist mit den Vorleistungen, die die gleiche Größenordnung haben wie das BIP? Ist es korrekt, Abschreibung + Vorleistungen als das Marxsche konstante Kapital anzusehen? Wenn ja, wie verzerrt sind die empirischen Daten gegenüber dem tatsächlichen Wertverlust? Gibt es eine alternative Möglichkeit, letzteren zu messen? Die Bezeichnung „Wertübertragungsrechnung“ finde ich so lange etwas voreilig, wie nicht einmal diese wenigen Fragen geklärt sind.

Gräbe: Da „der Staat“ hier selbst juristisches Subjekt (Marx hätte das wohl „Nationalkapitalist“ genannt) ist, ist die „praktizierte Abschreibung“ ein Agreement zwischen den Kapitalisten. Ihre Erläuterung „Wertverlust“ ist hier allerdings Erscheinung (die sich durchaus im Buchwert wiederfindet), im Kern geht es um die Planung von Kapitalumschlagzeiten von Kapitalbestandteilen, die nicht innerhalb der Produktionsperiode umschlagen. Insofern ist es sicher nicht identisch mit dem konstanten Kapital bei Marx, das auch die in der Produktionsperiode komplett umschlagenden Bestandteile umfasst. Und warum nur „Abschreibungen+Vorleistungen“ und nicht auch noch Steuern hinzuschlagen wie ich oben argumentiert habe? Die VGR rechnet das selbstverständlich anders. Es wäre also erst einmal ein Mapping von Begrifflichkeiten erforderlich. Wie Marx genau c und m auf der produktlogischen Seite abgrenzt, habe ich nie verstanden (bzw. ich habe behauptet, dass dies von der Länge der betrachteten Produktionsperiode abhängt; das widerspricht aber dem Abschreibungsansatz). Insbesondere ist mir unklar, was es für Marx bedeutet, Mehrwert investiv einzusetzen (für „produktiven Konsum“ bei Fleissner). „Tatsächlicher Wertverlust“ manifestiert sich (in meinem Modell) in Wertberichtigungen in den Büchern. Das ist aber nicht unbedingt die „innere Wertrechnung“, auch wenn die Maschine, die über den Abschreibungszeitraum hinaus im Einsatz ist, mit 1 Euro Buchwert dort stehen bleibt.

Zu „Die Bezeichnung „Wertübertragungsrechnung“ finde ich so lange etwas voreilig, wie nicht einmal diese wenigen Fragen geklärt sind.“ Mein Modell geht davon aus, dass dies jeder Kapitalist praktisch tut. Das kann man also mit soziologischen Instrumenten auswerten, zumal diese Rechnung heute in so gut wie jedem Angebot schriftlich fixiert ist. Was diese Rechnungen wirklich darstellen und was sie für die spätere Realisierung genau bedeuten (dazu wäre das Beispiel „BF“ interessant) steht auf einem anderen Blatt. Mein Modell geht aber davon aus, dass sich Wertrechnung aus dem oben umrissenen Kernbereich über genau diesen Mechanismus auf die gesamte Wirtschaft ausbreitet.

Quaas: Ihr Einwand ist berechtigt. Die Steuern sind die Kosten für die Vorleistungen, die der Staat erbringt und der Gesellschaft überwiegend unentgeltlich zur Verfügung stellt (insofern ist die Benutzung der Straßen ein kommunistisches Element des Wohlfahrstaates – in Frankreich schon teilweise abgeschafft).

Gräbe: Wieso unentgeltlich, wir bezahlen sie doch mit unseren Steuern?

Quaas: Weil man zwischen Kosten- und Angebotsseite unterscheiden kann. Außerdem: Nicht jeder, der die Kosten mitträgt, nutzt das Angebot; und nicht jeder, der das Angebot nutzt, trägt auch die Kosten.
Der investive Einsatz von Mehrwert ändert übrigens nichts am Charakter dieses Objekts. (Das sieht Elsenhans beispielsweise anders: produktiver Einsatz, dann Profit; konsumtiver Einsatz: dann Rente. Ich erwähne das nur, weil dieser Punkt auch anders gesehen wird.)

Gräbe: Das heißt Prämien, Boni oder einen Betriebskindergarten, der auf Betriebskosten betrieben wird, betrachtet Elsenhans als Renten? Gehört dann doch zu Sektor IIb.
Zur „inneren Wertrechnung“ siehe unten.

Geldeinheit und Geldware

Quaas: Ein weiterer Punkt: Da ich als Basisvariable die Wertgröße verwende, ist die Darstellung unabhängig davon, ob es eine Geldware gibt oder nicht. Wenn es sie gibt – und das ist bei der Darstellung kapitalistischer Strukturen der Fall – kann man den Wert auch in Pfd. St. oder in Euro ausdrücken. Wenn es sie nicht gibt, zum Beispiel beim Handel mit Nordkorea, dann kann man auf die Wertgröße ausgedrückt in Werteinheiten zurückgreifen.

Gräbe: Ich hoffe, Sie können hier Marx (MEW 23:109) folgen, wenn die dort in FN 50 angedeuteten Abstraktionsprozesse berücksichtigt werden. Wenn darstellungslogisch auf diese Feinheiten später einzugehen sein sollte, dann hätte man schon mal ein begriffliches Gerüst. Zum Beispiel könnte die Frage sein, wie man ein ökonomisches System modelliert, in dem es zwei solche Geldwaren gibt (wie in der DDR, aber nicht nur dort). Die Setzung beschränkt die empirische Überprüfbarkeit aller Betrachtungen auf einen (nationalen) Wirtschaftsraum, in welchem die Setzung näherungsweise erfüllt ist.

Quaas: Marx kennt laut „Kapital“ Papiergeld mit staatlichem Zwangskurs. Dass es mehrere Wertrepräsentanten gibt, war für ihn offenbar kein Problem, sonst hätte er dazu etwas ausgeführt.

Gräbe: Auf diese Fragen kann man zurückkommen, wenn die theoretischen Grundlagen unter uns etwas weiter abgestimmt sind.

Noch einmal Wertbildung und Wertübertragung

Quaas: „An einer solchen Stelle im Kapital, wo Wert noch nicht … in ‚bezahlte‘ und ‚unbezahlte‘ und der Arbeitsprozess noch nicht in das produzierende Subjekt und die Produktionsbedingungen geschieden sind…“
So etwas gibt es nicht. Jedenfalls nicht im Rahmen der Arbeitswerttheorie. Es wird immer zwischen der lebendigen Arbeit und ihren Produktionsbedingungen unterschieden, da diese ja den Wert determinieren.
Jetzt geht’s weiter: „muss t(A) sämtliche (lebendige wie vergegenständlichte) Arbeit enthalten:“
Sie gehen wahrscheinlich wie ich davon aus, dass lebendige Arbeit immer auch Arbeitsmittel verwendet. Dann müssen diese durch Arbeit angeeignet worden sein und damit einen Wert haben. Dann tritt sofort das Modell „wertschaffende Arbeit + Wertübertragung“ in Kraft. M.a.W.: Der Wert der Arbeitsmittel erscheint im Rahmen einer Arbeitswerttheorie nie in t(A).

„und – mangels Unterscheidbarkeit – kann eine „Produktivität“ der Arbeit noch gar keine Rolle spielen.“
Es gibt keine Ununterscheidbarkeit, weil Wertbildung und Wertübertragung zwei verschiedene Mechanismen sind, die Sie wahrscheinlich bisher zusammengedacht haben. Daraus folgt: In die physische Arbeitsproduktivität gehen niemals Werte der Produktionsmittel ein; sie wird ausschließlich auf die lebendige Arbeit bezogen. Dabei ist es auch egal, wie gewichtig die einzelnen Arbeitsquanten sind. Da man davon ausgehen muss, dass sie alle notwendig sind, um einen kombinierten Arbeitsprozess zu etablieren, gilt die einfache Summenbildung: Also Gebrauchswertmenge x geteilt durch Summe der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeiten ist die physische Arbeitsproduktivität eines kombinierten Arbeitsprozesses.

Gräbe: Ah, ich verstehe. u(A) drückt die Produktivität aus, die sich durch den qualitativen Einsatz bestimmter Arbeitsmittel ergibt. Dann ist (1) in der Tat anders zu verstehen. Ich gehe von „standardisierten Arbeiten“ aus, wo diese Aspekte nicht nur zusammengefasst, sondern auch noch standardisiert sind. Ich postuliere dabei, dass etwa ein Bäcker stets mit den durchschnittlich verfügbaren Arbeitsmitteln entsprechend dem Stand der Technik ausgestattet ist und diese auch adäquat einsetzt. Siehe mein Technikbegriff, wo sich hier privates Verfahrenskönnen und institutionalisierte Verfahrensweisen treffen. „Standardisierte Arbeitsarten“ ai bedeutet bei mir Typisierung und Clusterung von standardisierten Komponenten, die in verschiedene kombinierte Arbeitsprozesse eingehen. Deshalb auch T(ai) und nicht t(A). Auch wenn der kombinierte Arbeitsprozess wie die Herstellung des BF ein Unikat ist, es kommen dabei solche standardisierten Arbeitsarten zum Einsatz. Damit kann man wenigstens für einen Kernbereich des industriellen Arbeitsprozesses die realweltlichen Urteilspraxen der Wertrechnung auch mathematisch-logisch in einem linearen Modell darstellen. Jenseits dieses Kerns ist mir unklar, wie das Modell fortgesetzt werden kann (was ist eine Ware „Lionel Messi“ wert?)

Quaas: Da sehe ich keinen Unterschied. Auch wenn alle Bäcker dieselben standardisierten Verfahren einsetzen, gehen doch einige Pleite und andere expandieren. Offenbar kann die Arbeitsproduktivität trotz Standardisierung unterschiedlich sein. Jedenfalls sollte „mein“ Ansatz auch auf standardisierte Arbeitsprozesse anwendbar sein.

Gräbe: Die standardisierten Verfahren können produktionsorganisatorisch verschieden kombiniert werden. Das ist dann Sache des Kapitalisten „mit schlauem Kennerblick“ oder (heute) des Managers als spezieller Arbeitsart. Wenn Produktivität, dann die des Managers. Die Entscheidung, eine andere Technologie einzusetzen, liegt bei demjenigen, welcher die Arbeit der Bäcker anwendet.

Quaas: Der Punkt war: Dieselbe standardisierte Technologie findet in verschiedenen Unternehmen nicht unter identischen Bedingungen statt und zeitigt deshalb unterschiedliche Produktivitäten.

Gräbe: Verschiedene Arbeiter im selben Unternehmen sind auch verschieden produktiv, trotzdem werden sie einheitlich gerechnet (auch über Unternehmensgrenzen hinaus). Wollen Sie den Fall untersuchen, in dem Eisen und Feder gleich schnell fallen oder doch gleich den mit Reibung? Die Frage ist, wovon man auf dem gegebenen Stand der Abstraktion abstrahiert.

Quaas: Der vom Markt anerkannte Wert von Lionel Messi wird bei Beachtung der Laufzeiten durch seine Ablösesumme und sein Jahresgehalt plus Prämien bestimmt. Der wirkliche Wert ist durch das knappe Angebot von Lionel Messis und die große Nachfrage nach dieser Art Arbeitskraft enorm aufgeblasen. Das passt in Marx‘ Preistheorie, obwohl der wahrscheinlich darauf hinweisen würde, dass die AWT nur für Massenware konzipiert ist.

Gräbe: Gut, dann liege ich ja richtig mit der Annahme, dass die Marxsche AWT nur für einen wirtschaftlichen Kern der Produktion von Massenware (bei mir genauer: standardisierte Produkte, die mit standardisierten Arbeitsarten unter standardisierten Produktionsbedingungen hergestellt werden) so was wie die Keplerschen Gesetze sind.

Quaas: Das ist reine Spekulation. Denn bislang wissen wir ja nicht einmal, ob sie für „den Kern der Produktion“ zutrifft.

Gräbe: Wenn „die AWT nur für Massenware konzipiert ist“, dann wäre darüber zu sprechen, ob und in welchem Verständnis sie darüber hinaus angewendet werden kann. Wenn Abschreibungen des BF in die „Massenproduktion Passagierabfertigung“ eingehen, dann muss jene Theorie AWT über die Abschreibungsbasis was aussagen. Die Bodymodelle heutiger Animationen gehen von einem Skelett aus, an das Stück für Stück „Fleisch“ angefügt wird. Über was reden wir hier, nicht etwa über das Skelett? Ich staune nicht zum ersten Mal, mit welcher Leichtigkeit Sie zwischen Abstraktionsebenen hin und her springen. Ist unter Philosophen sonst eigentlich verpönt.

Quaas: Komisch. Dasselbe könnte ich von Ihrem Gedankengang sagen. Bislang habe ich in Ihrem Modell noch keine Abstraktionsebene entdeckt, an die man sich halten müsste. Und das könnte auch der Grund sein, weshalb es hier drunter und drüber geht. – Doch um bei dem Punkt zu bleiben, der für mich der Ausgangspunkt der Diskussion war: Eine Größe, ob sie nun mit u oder f bezeichnet wird, die die Maßeinheiten Wert pro Arbeitszeit hat, dann aber von Ihnen auf die angebliche Wertschöpfung des Kapitals angewandt wird, wofür die Einheit Wert pro Wert erforderlich wäre, wie werden denn da die Abstraktionsebenen eingehalten?

Zeitmessung im Arbeitsprozess

Gräbe: Da bleibt durchaus noch was zu erläutern, etwa warum da t(A) und nicht T(A) (das von der „Stechuhr“ Gemessene) steht, denn das war eines meiner wichtigsten Argumente, weshalb die Kategorie „einfache Arbeit“, die möglicherweise eine gewisse philosophische Bedeutung in der Begriffsgenese hat, in (m)einem mathematischen Modell komplett entbehrlich ist. Auch verwenden Sie t(A) und nicht T(ai), was ja schon eine gewisse Abstraktionsleistung im sehr komplexen Abstraktionsprozess A → t(A) einerseits und A → a(A) (oder X(A,B,…,C)) andererseits enthält, nämlich das Reduzieren auf standardisierte Arbeitsarten (die praktisch etwa im Rollenbegriff der Informatik erscheinen). Auch ist die Notation (A,B,…,C) extrem unglücklich gegenüber (A1,…,Ak|A), denn es geht ja um Bestandteile eines gemeinsamen Arbeitsprozesses A. Leider verstehe ich nicht, wie Sie den Begriff „Arbeitsprozess“ entwickeln. Dass das in praxi nicht ganz so trivial ist, siehe https://www.apqc.org/process-frameworks. Mein Argument in [f-12], auch [FS-16], war, dass Abgrenzungen auf verschiedenen raumzeitlichen Skalen denkbar (und praktisch bedeutsam) sind, aber zu verschiedenen Zahlenwerten führen. Ich hatte deshalb die „Wertkategorie als fraktale Kategorie“ bezeichnet. Hier bleibt Ihrerseits also noch was zu erklären.

Anmerkung: Statt t(A) über T(A) zu berechnen (also über die Form „Stechuhr“, in der die einfache Arbeit erscheint), kann man sie auch über a(A) berechnen – man zählt, wie viele Gebrauchswerteinheiten GE der Arbeiter hergestellt hat, und multipliziert dies dann mit der Normzahl n (in GE/h). T(A)=a(A)·n. Das hat für den Kapitalisten den Vorteil, dass sich die durchschnittlich notwendige (allerdings noch immer multiplizierte) Arbeitszeit automatisch berechnet, denn der langsame Arbeiter bekommt in derselben Realzeit weniger „durchschnittliche Arbeitszeit“ geschrieben als der schnellere. Diese sehr praktische Erfindung einer Wertform, die ohne Stechuhr auskommt, nennt sich Stücklohn. Auch dazu kann man in meinem (mathematischen) Modell die „einfache Arbeit“ eliminieren und in jener Formel (1) die „produzierte Gebrauchswertmenge“ a(A) statt T(Ai|A) als Multiplikand verwenden. R·n ist dann der Multiplikator.

Quaas zu seiner Formel 2 oben: Schade, ich dachte, die Formel erschließt sich sofort. Aber kein Problem, ich erläutere (1.-6.):
„warum da t(A) und nicht T(A) (das von der „Stechuhr“ Gemessene) steht…“ Sie verwenden die Notation Ihres Modells und ich versuche, zu verstehen, was Sie damit bezwecken und meinen. Ich kann aber unmöglich eine Notation verwenden, die zu einem Modell gehört, das in sich widersprüchlich ist. Nicht nur wegen des einen, bereits monierten Widerspruchs (Arbeitskoeffizienten können nicht zugleich Kapitalkoeffizienten sein), sondern weil ich nicht weiß, was sonst noch für Granaten in Ihrem Modell verborgen sind. Also müssten Sie sich schon bequemen, mich zu verstehen, auch wenn ich „meine“ Notation benutze.

Gräbe: Dass mein Modell widersprüchlich ist und Ihres nicht sind bisher nicht mehr als zwei Behauptungen von Ihnen.

Quaas: Siehe oben: Maßeinheitskontrolle!

Gräbe: Hier muss ich sicher noch etwas arbeiten, aber Kapitalumschlagzeiten sind auch mit einem Zeitmaß gemessen.

Quaas: Das ist richtig. Deshalb sind sie aber noch lange nicht mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit identisch.

Gräbe: Nach der Scheidung in bezahlte und unbezahlte Arbeit gehören Arbeitskoeffizienten zu v und Kapitalkoeffizienten zu m. Ob man das aus mehr als formalen Gründen in einer einzigen Matrixgleichung zusammenfassen kann, sei dahingestellt – Ihr Einheitenargument zeigt auf jeden Fall, dass dort noch etwas zu klären bleibt.

Quaas: Muss ich betonen, dass der Mehrwert nach Marx nicht aus dem konstanten Kapital entspringen kann, da dieses eben konstant ist, also einfach übertragen wird? Wenn man erst einmal in werttheoretischen Kategorien denkt, ist der Schluss zwingend, dass der Wert nur durch Arbeit zustande kommen kann, der Mehrwert also ein Teil des Neuwerts ist – m.a.W. das konstante und das fixe Kapital haben zwar etwas mit der physischen Produktivität, aber nichts mit der Wertschöpfung zu tun.

Ich muss da ein bisschen schmunzeln, weil das in der Ökonomik genauso gesehen wird: Die Wertschöpfung besteht aus der Summe der Arbeitslöhne und der Summe der Profite; davon unterschieden sind die Abschreibungen, Vorleistungen und sonstigen Kosten gegenständlicher Faktoren. Nur macht man sich heutzutage keine großen Gedanken mehr darüber, wo die Profite herkommen.

Gräbe: Mit dem Übergang zu G – W – G‘ wird Kapital zu einem Zeitpunkt t1 vorgeschossen (1) für die Produktionsbedingungen (Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel, aber auch Infrastrukturbedingungen) und (2) für lebendige Arbeit. Die im Eigentum des Kapitalisten befindlichen Produktionsbedingungen und das vertraglich gebundene Arbeitsvolumen werden dann in einem zeitlich ausgedehnten Arbeitsprozess zum Arbeitsprodukt a geformt. Am Ende dieses Prozesses – zu einem Zeitpunkt t2 (bevor a auf dem Markt zum Tausch angeboten wird, anders als bei Heinrich, aber ich denke, hier sind wir uns einig) – wird die Werthaltigkeit des Arbeitsprodukts bestimmt. Das ist relativ einfach für die vollständig aufgebrauchten Arbeitsgegenstände: sie gehen mit ihrem Wert ein (Feinheit in der bisherigen Diskussion: Wert zum Zeitpunkt t2, nicht t1). Das ist auch einfach für v(A) (Problem: Lohn kann von der durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit abweichen, etwa wenn ein fauler Arbeiter nach Zeitlohn bezahlt wird). Es ist einfach, weil diese Bestandteile des vorgeschossenen Kapitals mit dem (als gelingend unterstellten) Verkauf zum Wert retournieren. Komplizierter ist es mit den Arbeitsmitteln, die sich im Arbeitsprozess nur teilweise abnutzen. Hier gibt es eine institutionalisierte Verfahrensweise über Investitionen und Abschreibungen. Was ist mit neuer Arbeit zur Pflege der Arbeitsmittel? Teil des Neuwerts, der aber nicht auf a übertragen wird, gehört also zu m? Ganz kompliziert ist es mit den Infrastrukturbedingungen. „Unbezahlte Arbeit“ als „Teil des Neuwerts“ muss also (später als t2) in der Reproduktion der Produktionsbedingungen erscheinen. Zum Beispiel als Ausweitung der Produktion (Marx‘ Beispiel). Aber auch als Prämien und Boni, für Lobbyarbeit usw. Sehe ich da was falsch?

Quaas: Sie sehen das größtenteils richtig. Pflege und Reparatur der Arbeitsmittel erhöhen ihren Wert, der dann wieder stückweise auf das Produkt übertragen wird. Mit dem Mehrwert hat das nichts zu tun. Der Wert der Infrastruktur, die unterstützend oder ermöglichend wirkt, geht m.E. auch in den Wertübertragungsprozess ein, obwohl Marx davon so gut wie nichts gesagt hat. So wird es auch in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen gehandhabt, wenn auch sehr pauschal: Die von den Unternehmen gezahlten Steuern sind der „Preis“ für die ansonsten kostenlos abgegebenen Leistungen des Staats und erhöhen den Wert des Produkts (suche im Internet „Quaas VGR“ dann Zeile TXSB2). Prämien, Boni sind sicherlich Teil des Mehrwerts; auch „Stehkragenproletarier“ nehmen daran teil, vielleicht sogar der größte Teil der Arbeitnehmer in einem Land wie Deutschland.

Gräbe: Was taugt ein Modell, das sich derart weit von einer Verwendung des Begriffs „Wert“ in sozio-ökonomischen Praxen entfernt? Kann man Marx nur bedingt vorhalten, denn „Stehkragenproletarier“ gab es zu jener Zeit wohl noch nicht in nennenswertem Umfang. Die Berufsbilder Ingenieur und nun Manager als Angestellte habe sich erst im 20. Jahrhundert herausgebildet. Andererseits hat Marx eine solche Entwicklung gesehen, wenn er schreibt „Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozess eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozess selbst verhält“. Kann das Modell das alte bleiben, wenn sich die Praxen in genau diese Richtung entwickelt haben? Entwickelt sich damit die Wertform weiter? Ich denke, ja. Taugen dann die Marxschen Begrifflichkeiten noch etwas? Ich denke ja, wenn man sie nach der Marxschen Methode präzisiert und weiterentwickelt.

Quaas: Wertformen sind Strukturen, wie der Wert auf einem Markt dargestellt wird. Mit der Produktionsstruktur haben sie bestenfalls sehr vermittelt etwas zu tun.

Ich sehe keine Notwendigkeit, in die AWT verändernd einzugreifen, wenn sich die soziologische Struktur des Gesamtarbeiters verändert. Denn die AWT thematisiert funktionale Strukturen, die je nach Änderung der gesellschaftlichen Situation den personalen Strukturen zugeordnet werden können und müssen. Streng genommen ist das keine Aufgabe für Ökonomen.

Ein kleines Beispiel, wie man diese Zuordnung sogar im Mainstream berücksichtigt, ist der Unternehmerlohn als verschieden vom (arbeitslosen) Kapitaleinkommen.

Ist der Begriff „einfache Arbeit“ entbehrlich?

Quaas: „einfache Arbeit“, die … in (m)einem mathematischen Modell komplett entbehrlich ist.“ Eine Arbeitswerttheorie bricht nicht zusammen, wenn man auf den Begriff „einfache Arbeit“ verzichtet. Eleganter wird die Theorie dadurch aber auch nicht. – Das sind alles ziemlich sekundäre Kriterien. Das Gütekriterium einer Arbeitswerttheorie besteht doch eher darin, ob sie diesen Begriff erklären kann.

Gräbe: Ich habe es erklärt: Ich führe die Reduktion bis auf die Observable T(A) (mit der Stechuhr messbar) zurück und von dort über t(A)=ri/r0·T(A) auf „einfache Arbeit“. Dasselbe beim Stücklohn. Von der Observablen a(A) auf T(A)=a(A)·n (n ist eine weitere Observable, siehe APQC 13.6.1.4 „Measure staff productivity“ und 13.6.3.4 „Calculate performance measures“) und von dort weiter auf t(A) wie eben.
Quaas: Also, Sie können die einfache Arbeit in Ihr Modell integrieren. Gut! Kommen aber auch ohne aus. Ich auch.

Struktur des Arbeitsprozesses

Quaas: „Auch ist die Notation (A,B,…,C) extrem unglücklich gegenüber (A1,…,Ak|A), denn es geht ja um Bestandteile eines gemeinsamen Arbeitsprozesses A.“ Ganz im Gegenteil. Die Symbole A1,…,Ak bezeichnen Arbeitsprozesse, die denselben Gebrauchswert a herstellen und deshalb derselben Branche angehören (die auch als Industriezweig bezeichnet wird). Die Herstellung dieses speziellen Gebrauchswertes a ist das Gemeinsame, auch wenn die angewandten Technologien sehr unterschiedlich sind. In meiner bisherigen Darstellung wurden die Symbole für die Arbeitsprozesse durch die Art des Produkts geprägt. Im Fall eines aus qualitativ verschiedenen Arbeitsprozessen bestehenden, kombinierten oder komplexen Arbeitsprozesses X liegt eine ganz andere Situation vor. Zwar stellen diese elementaren Arbeitsprozesse auch einen Gebrauchswert x her, aber nur in Kombination miteinander. Und bei einer anderen Kombination stellen sie nicht x, sondern y her, so dass klar ist: Diese Arbeitsprozesse können nicht anhand ihres Resultats charakterisiert werden. In Frage käme die Operationsweise (oder ein Bündel von Operationsweisen) oder die professionelle Verankerung. Wie bzw. anhand welches Merkmals man die konstituierenden Arbeitsprozesse unterscheidet und voneinander abgrenzt, würde ich an dieser Stelle der Modellierung nicht festlegen wollen. Wichtig ist nur, dass sie qualitativ in dem Maße unterschieden werden können, dass man die werttheoretisch relevanten Parameter (Arbeitszeit, Produktivität, Intensität, Effektivität) messen kann.

Gräbe: Dann habe ich (2) komplett missverstanden. Früher hieß es bei Ihnen a=a(A), b=b(B), (a.) und b(.) standen also für die (verschiedenen) Operatoren, die aus den jeweiligen Arbeitsprozessen die (verschiedenen) Gebrauchswertquanta extrahieren. Warum nun X(.) (upper case) und wieso „der komplexe Arbeitsprozess X“? Und warum unterstellen Sie mir die Notation Ihres Modells aus Abschnitt 3.5, wo ich doch die Notation (A1,…,Ak|A) genau erklärt habe als das, was Sie als „eine ganz andere Situation“ bezeichnen? Auch verstehe ich zur Not, was ein „komplexer Arbeitsprozess“ ist, aber „elementare“? Dazu müssen Sie mir Ihr Stratifizierungskonzept offenlegen. Und ja, in anderer Kombination der Teilarbeiten (und ggf. unter Verwendung modifizierter Vorprodukte und ggf. auch anderer oder wenigstens anders programmierter Werkzeuge) entstehen andere Gebrauchswerte. Das ist im Rahmen von Produktlinienvariationen heute Standard in der Wirtschaft. Dazu müssten Sie aber erst einmal Ihren Begriff „Arbeitsprozess“ genauer abgrenzen und entweder begründen, warum Sie diesen genau so abgrenzen, oder mit einer Vielzahl möglicher Abgrenzungen operieren. Letzteres würde zu einer Vielzahl von möglichen Zahlenwerten für dieselbe Größe führen – genau wie bei der Länge der Grenze eines Landes als Standardbeispiel für eine fraktale Größe. Und natürlich „können diese Arbeitsprozesse nicht anhand ihrer Resultate charakterisiert werden“, denn sie leisten nur einen Beitrag (Summanden in (1)) zur Wertschöpfung. Aber die dafür erforderliche durchschnittlich notwendige Arbeitszeit kann bilanziert werden. Und nur darum geht es an dieser Stelle.

Quaas: Ich hatte gestern bei der Arbeit am Wikipedia-Beitrag bereits bemerkt, dass ich irrtümlicher Weise ein großes x verwendet habe. Entschuldigung, wenn ich Sie damit in Verwirrung gestürzt habe!
Wie soll man denn die Arbeitsprozesse, die zu einem komplexen Arbeitsprozess kombiniert werden, anders nennen als „Elemente“ (eines Systems)? Alternativ „Komponenten“? Oder was schlagen Sie vor? Das inhaltliche Problem besteht darin, dass es für das „Kapital“ ausreicht, die Arbeitsprozesse durch ihr Resultat zu charakterisieren. Zwar kommen weitere Parameter hinzu (Kompliziertheitsgrad der Arbeit, Produktivkraft der Arbeit, Intensität der Arbeit, Effektivität der Produktionsmitteleinsatzes), aber die erfordern kein neues Modell des Arbeitsprozesses. Das ist anders, wenn man wie Sie das Modell an die empirischen Gegebenheiten anpasst. Ich hätte einfach Ihre Notation übernehmen können, aber erstens habe ich die Ai bereits so definiert, dass sie genau dieselbe Warensorte herstellen, und zwar nicht gemeinsam, sondern unabhängig voneinander, und zweitens kann ich mit (A1,…,Ak|A) nichts anfangen. Ich lese das so wie in der Wahrscheinlichkeitstheorie üblich: Die Prozesse A1,…,Ak unter der Bedingung A. Das ergibt keinen Sinn und Sie haben es sicherlich anders gemeint, nämlich als Darstellung eines kombinierten Arbeitsprozesses, durch Bestandteile eines gemeinsamen Arbeitsprozesses A.

Jeder sollte also wie sonst auch seine eigene Notation verwenden.

„Aber die dafür erforderliche durchschnittlich notwendige Arbeitszeit kann bilanziert werden.“ Daran zweifelt niemand. Das führt werttheoretisch aber zu einer falschen Wertkalkulation, da die einzelnen „elementaren“ Arbeitsprozesse eine unterschiedliche Wertproduktivität haben und deshalb ein gewichteter Durchschnitt angewandt werden muss, so wie ich das skizziert habe:

W(x)=u(A)·t(A) + u(B)·t(B)+…+u(C)·t(C) wenn x=x(A,B,…,C) (2)

DAS ist die eigentlich wichtige Formel, die implizit definiert, wie die Arbeitsprozesse aus der Sicht des Modells zusammenwirken. x=x(A,B,…,C) sagt dagegen nichts über die Kombination aus. Ergänzt werden müsste das durch eine Formel für die physische Arbeitsproduktivität. Da würde ich x durch die (ungewichtete) Summe aller Arbeitszeiten teilen. Also auch in diesem Zusammenhang ist eine Durchschnittbildung der Arbeitszeiten fehl am Platz.

Gräbe: Ich gehe davon aus, dass man „Produktivität, Intensität, Effektivität“ darstellungslogisch erst dann einführen kann, wenn bereits lebendige und vergegenständlichte Arbeit geschieden sind, denn auf die vergegenständlichte Arbeit kann man diese Begriffe schwerlich anders als rein hypothetisch (in der Möglichkeitsform, was wäre wenn) anwenden. Auch gehe ich davon aus, dass Marx eine sehr konsequente Trennung von Subjekteintrag und Produktionsbedingungen in der Wertgenese vornimmt, wie es in seinen Begriffen der „bezahlten“ und „unbezahlten“ Arbeit zum Ausdruck kommt. In welchem Umfang Marx „Produktivität, Intensität, Effektivität“ dem Wirken der Arbeitskraft oder den Produktionsbedingungen zuschreibt, wäre zu klären. Jedenfalls ist die Steigerung der Produktivität durch Maschineneinsatz (und damit auch Veränderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals) ein auch als Wertrechnung widersprüchlicher Prozess.

Ich gehe davon aus, dass Marx in fortgeschrittener Darstellung (also etwa ab Kap. 13) eine konsequente Trennung von Subjekteintrag und Produktionsbedingungen vornimmt und „Produktivität, Intensität, Effektivität“ allein zu den Produktionsbedingungen rechnet (dazu insbesondere Abschnitt 13.5.). Ohne eine solche Setzung ist m.E. seine ganze Entfremdungsrhetorik nicht zu verstehen. Das Untrennbare so aufzutrennen ist natürlich sehr problematisch, sollte aber einem Dialektiker wie Marx zumindest als Problem bewusst gewesen sein. Wir haben mit solchen Denkkonstrukten im Rahmen unserer TRIZ-Analysen in den letzten Jahren viel zu tun gehabt und die Zerlegung des Unzerlegbaren am Systembegriff gerade im technischen Bereich genauer untersucht (Ein Flugzeug besteht aus vielen Teilen, aber es kann nur im zusammengebauten Zustand fliegen).

Quaas: Dazu hatte ich schon etwas gesagt. Ich denke, dass Sie viel zu viel in Marx reindeuten. Grundsätzlich erinnere ich daran: die Arbeit wird bei Marx nie von den gegenständlichen Bedingungen getrennt. Das ist der Kern einer Arbeitswerttheorie. Das hat auch nicht das Geringste mit der bezahlten und unbezahlten Arbeit zu tun.

Ich greife mal die neuen Einwände heraus:

„Jedenfalls ist die Steigerung der Produktivität durch Maschineneinsatz (und damit auch Veränderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals) ein auch als Wertrechnung widersprüchlicher Prozess“.
Iwo. Von einer Steigerung der Produktivität kann man nur reden, wenn sie messbar ist. Bei Marx gibt es mindestens drei: (1) die physische (2) die wertmäßige (Kompliziertheitsgrad!) und die (3) am Mehrwert gemessene. Welche meinen Sie? Ich gehe davon aus (1). Dazu gibt es klare Aussagen bei Marx: Die Steigerung der physischen Produktivität senkt den Wert der einzelnen Ware; in vergleichbaren Arbeitszeiten werden zwar mehr Waren produziert, aber der produzierte Wert bleibt gleich. Das gilt auch, wenn die Arbeitsproduktivität durch Maschinen erhöht wird.

„In welchem Umfang Marx „Produktivität, Intensität, Effektivität“ dem Wirken der Arbeitskraft oder den Produktionsbedingungen zuschreibt, wäre zu klären.“

Das ist im Modell völlig eindeutig geklärt und vielfach am Text des „Kapital“ geprüft und belegt worden. Da gibt es objektiv keine offenen Fragen mehr.

Gräbe: Siehe oben. Produktivität ist bei mir in den standardisierten Arbeitsarten versteckt. Mit der Weiterentwicklung der Technologie entwickeln sich diese Arbeitsarten weiter, denn Technologie wird erst dann produktionswirksam, wenn sie durch privates Verfahrenskönnen im Arbeitsprozess angekommen ist. Ist also bei mir anders modelliert. Produktivität ist bei mir ein technologisches Phänomen, kein primär ökonomisches. (1) geht dann so: Maschineneinsatz ändert die Arbeitsart zu ai‘ mit T(ai)>T(ai‘). Unveränderten Tariflohn vorausgesetzt sinkt also v(A). Die Auswirkung auf den Wert hängt davon ab, wie sich der Wert der Maschine auf a überträgt. Vor diesem praktischen Dilemma („widersprüchlicher Prozess“) steht der Maschineneinsatz immer. Aber vielleicht habe ich (1) auch falsch verstanden. (2) bedeutet, wenn ich [QG-17] daneben lege, dass u(A) steigt, also die Skills der Arbeiter durchschnittlich überdurchschnittlich sind, dass sie mit gleichen Arbeitsmitteln mehr pro Zeiteinheit produzieren. Das kann man etwa durch Trainee-Programme erreichen (oder auch nur durch bessere Bezahlung wie es Henry Ford versucht hat), aber auch hier hat man einen Tradeoff. (3) wären Surplusprofite durch Technologievorsprung?

Quaas: Das „Dilemma“ des Maschineneinsatzes ist, dass die Arbeit, die die Maschine gekostet hat, geringer sein muss als die Arbeit, die sie ersetzt (ein schon von Ricardo, aber auch von Marx formuliertes betriebswirtschaftliches Prinzip). Auch von daher ist klar, dass t(ai‘) < t(ai) sein muss. Der Kompliziertheitsgrad steigt nur dann, wenn für die neue Technologie höher qualifizierte Arbeitskräfte erforderlich sind. Surplusprofite (= Extramehrwerte) sind zeitweilige Erscheinungen, die mit Verbreitung der neuen Technologie wieder verschwinden. Gräbe: und (3) verstehe ich in Gänze nicht. Quaas: (3) heißt, dass ein Arbeitsprozess, in dem kein Mehrwert produziert wird, für den Kapitalisten/Unternehmer nicht produktiv ist. Gräbe: Das ist unklar, wenn sich ein Arbeitsprozess aus Teilprozessen zusammensetzt. Von den Teilprozessen kann einer durchaus „keinen Mehrwert“ produzieren oder sogar „Wert verbrauchen“ (etwa eine Schulung), wenn die gesamte Mehrwertbilanz positiv ist. Quaas: Die Teilprozesse können nicht separat „abgerechnet“ werden. Insofern sie den komplexen Prozess konstituieren, tragen sie alle gleichermaßen zum Produktenwert, Wertprodukt und damit auch zum Mehrwert bei. Wenn ein Teilprozess für sich genommen eine Ware produzieren kann, so dass für ihn nach c, v und m differenziert werden kann, so ist diese Struktur nicht auf den komplexen Prozess übertragbar, da auf physischer Ebene im komplexen Prozess „das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile“ und sich mit den Produktionsbedingungen auch die Determinanten für die Wertschöpfung ändern. Gräbe: Dann habe ich (2) nicht verstanden. Sie postulieren dort doch genau eine solche Additivität, oder? Quaas: Richtig, und auch nicht: Der Kompliziertheitsgrad einer speziellen Tätigkeit (Arbeit), bezeichnen wir sie mit A, hängt von den Bildungskosten der Arbeitskraft ab, die diese Arbeit ausführt. Die Wertproduktivität u(A) ändert sich nicht, wenn sie in Kombination mit anderen „standardisierten“ Arbeiten ausgeführt wird. Ob bei Anwendung dieser Arbeit ein Mehrwert entsteht, hängt von der Dauer der Arbeitszeit ab und von der Zeit, in der das jeweils angewandte variable Kapital „reproduziert“ wird. So kann es sein, dass ein selbständiger Bäcker durch Selbstausbeutung eine Mehrwertrate von nur 10 Prozent erzielt, aber als Angestellter einer großen Bäckerei ganze 100 Prozent. Fraktalität der Wertkategorie

Quaas: „Ich hatte deshalb die ‚Wertkategorie als fraktale Kategorie‘ bezeichnet. Hier bleibt Ihrerseits also noch was zu erklären…“ Wir hatten mal den Sohn eines Ihnen bekannten Mathematikers im Forschungsseminar, der unbedingt die Idee der Fraktale in der Ökonomik verankern wollte. Damit hat er gegen meinen Rat viele Jahre verbracht – aber keine Anwendungsmöglichkeit gefunden. Ja, und die Wertkategorie bezeichnet eine einfache, durchaus messbare Größe. An ihr ist nichts fraktal.
Doch zurück zur Abgrenzung der Arbeitsprozesse: Falls es da ein Problem gibt, so hat es überhaupt nichts mit der Modellierung des kombinierten Arbeitsprozesses zu tun, sondern ergibt sich bei der empirischen oder praktischen Anwendung des Modells. Und dieses Problem dürfte es dann auch bei jeder anderen Modellierung geben.

Stücklohn und Normen

Quaas: „…man zählt, wie viele Gebrauchswerteinheiten GE der Arbeiter hergestellt hat, und multipliziert dies dann mit der Normzahl n (in GE/h). T(A)=a(A)·n.“ Ich glaube es war Werner Becker, der Marx vorgeworfen hat, eine normative Theorie kreiert zu haben. Seitdem ich das gelesen habe, achte ich streng darauf, in das Modell der Marxschen Arbeitswerttheorie keine normativen Elemente aufzunehmen. – Wieder ein Grund, sich auf Ihre Darstellung nicht einzulassen.

„Diese sehr praktische Erfindung einer Wertform, die ohne Stechuhr auskommt, nennt sich Stücklohn.“ Bitte lesen Sie Marx‘ Abschnitt zu Stücklohn! Ich hoffe, Sie werden dann erkennen, wie extrem falsch das ist! Der Stücklohn ist nie und nimmer eine Wertform! Ein bisschen begriffliche Genauigkeit sollte schon walten.

Gräbe zu 5.+6.: Siehe oben. Und: Sie wollen doch nicht ernsthaft Normungen als das allerzentralste produktionsorganisatorische Instrument des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses aus dessen Untersuchung verbannen? Da passen dann ja keine Schraube und Mutter mehr zusammen.

Quaas: Der Unternehmer achtet streng darauf, dass seine Angestellten die Arbeitszeiten einhalten. Die Normzeiten haben aber nur approximativ etwas mit den tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten zu tun, die die Basis für die Werttheorie darstellen. Sicherlich könnte man aus Gründen einer effizienten Messbarkeit auch die Normzeiten in der Theorie verwenden. Dann handelt man sich aber das wissenschaftstheoretische Problem ein, eine normative Theorie zu propagieren. Ich will nicht bestreiten, dass es eine Menge solcher Theorien gibt, finde aber, dass eine Theorie, die rein deskriptiv ist, eine größere Chance hat, akzeptiert zu werden. Und bislang habe ich keinen Anhaltspunkt im „Kapital“ gefunden, der mich zwingen würde, Normen zu implementieren.

Warum interessiert das überhaupt?

Gräbe: Welche Theoriepfade werden verbaut, wenn diese Multiplikatoren, die ich in (Gräbe 2010) als Arbeitswertfaktoren bezeichnet habe, bereits in einem frühen Stadium der ‚Theorie eliminiert werden, um sich ‚die Mühe der Reduktion‘ (MEW 23, S. 59) zu ersparen?

Quaas: Keine. Denn der Zusammenhang zur zwischen Kompliziertheitsgrad der Arbeit und dem Wert der Arbeitskraft kann widerspruchsfrei hergestellt werden. Siehe Quaas 2016: 242

Gräbe: Siehe oben.

Quaas: Sie haben eine polemische Frage gestellt. Das tut man in der Regel nur, wenn man die Antwort schon kennt. Also frage ich Sie: Welche werden denn verbaut?

Gräbe: Ich nehme an, die VGR gibt Statistiken für Aggregate der T(ai) für verschiedene Professionen her, womit sich auch empirisch die Zutaten zu Arbeitsprozessen vergleichen lassen. Vielleicht sind es aber auch nur die „Wertschöpfungen“ (R·ri)·T(ai), die dort aggregiert wird. Die (R·ri) erscheinen (u.a.) in den von den Tarifpartnern vereinbarten Tariftabellen. Dann ist die Grundlage von Wertrechnung aber nicht so sehr der Vergleich von Marktsegmenten (Quaas), sondern beginnt viel feiner bereits beim Vergleich der „organischen Zusammensetzung“ von Arbeitsprozessen durch Quanta verschiedener professioneller Qualitäten selbst (Gräbe). Kurz, die Wertkategorie sollte nicht nur auf der Stratifikation längs standardisierter Produkte, sondern auch längs standardisierter Teilarbeitsprozesse durch je anders qualifizierte Arbeiter (und damit je anders zu multiplizierende reale Arbeitszeiten) basieren. Gut, das ist sicher auch wieder nicht mehr explizit Marx, aber m.E. nach dessen Methode entwickelt, und lässt sich heute einfach in Matrizenschreibweise aufschreiben, die zu Marxens Zeiten bekanntlich erst in Ansätzen eingeführt war.

Quaas: Die VGR (IO-Rechnung) gibt die Anzahl der Beschäftigten und die Teilmenge der Arbeitnehmer für jeden Zweig an. Ob man das in Arbeitszeiten oder gar Arbeitszeiten je Berufsgruppe aufschlüsseln kann, in diese Richtung habe ich noch nicht nachgeforscht.

Gräbe: Darf ich feststellen, dass die Antwort auf Ihre Frage ausreichend war?

Quaas: Sie haben Ihre Intention erläutert, aber nicht gesagt, welche Erklärungsleistungen durch ein textkonformes Modell verbaut werden.

Gräbe: Wenn die Faktoren nicht im Modell sind, kann man nicht untersuchen, wo sie in der Realität erscheinen. Gibt es Tariftabellen oder deren Vorformen in der Marxschen Theorie? Eine Google-Suche nach „marx tariflohn“ liefert nur Verweise auf „gerechter Lohn“. Das ist aber normativ, Tarifverhandlungen ein realer gesellschaftlicher Prozess.

Quaas: Was Sie sagen ist: Marx differenziert nicht nach Berufsgruppen, aber das sollte man aus empirischen Gründen tun. Da stimme ich Ihnen zu. Ich stimme aber nicht zu, wenn Sie behaupten, dass eine solche Differenzierung nicht möglich ist, wenn man zunächst einmal das Modell konsequent am „Kapital“ ausrichtet. Die oben vorgeschlagene Erweiterung auf einen kombinierten Arbeitsprozess ist möglich, ohne dass man die Darstellung der ökonomischen Theorie von Marx durch ein textkonformes Modell ändern muss.

Arbeitet der Unternehmer (oder Kapitalist)?

Gräbe: Arbeitet also der Unternehmer oder ist die ‚Surplusarbeit der Masse […] Bedingung für die […] Nichtarbeit der Wenigen‘ (MEW 42, S. 593)? Ist unternehmerisches Tätigwerden eigenständige Quelle von Wert oder ist es wirklich allein ‚Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht‘ (MEW 42, S. 593)?

Quaas: Das ist eine empirische Frage, die eine Differenzierung voraussetzt, auf die Marx keinen Wert legte (die er aber ansatzweise gemacht hat, sieh MEW 23:326), die Differenzierung zwischen Unternehmer und Kapitaleigner. Natürlich arbeitet der Unternehmer, insofern rechnet man ihm heute den Unternehmerlohn zu. Daneben gibt es aber das arbeitslose Einkommen, das reine Kapitaleinkommen. Dem liegt die Rendite zugrunde, die in Deutschland sehr schwankend ist und so etwa zwischen 15 und 30 Prozent liegt. Je nachdem wie man rechnet, kommt man auch auf kleinere Werte. Es kommt darauf an, wie man den Profit definiert. Diese moderne Sichtweise ist durchaus mit der ökonomischen Theorie von Marx zu vereinbaren, indem man dem Unternehmer, der zugleich Kapitaleigner ist, den Durchschnittlohn seiner Arbeitnehmer zurechnet und das variable Kapital entsprechend erhöht.

Gräbe: Welche Rolle spielt der Summand m in der Formel p = c + v + m?

Quaas: Siehe letzte Antwort. Ihr Bestreben, dem Unternehmer einen ‚ehrlichen Lohn‘ aufgrund seiner Mühen zuzuordnen, ist bereits gelöst und sollte auf keinen Fall zu einer kategorialen Vermischung von variablem Kapital und Mehrwert führen, da dieser Unterschied empirisch bedeutsam ist und auch im Mainstream – wenn auch unter anderen Bezeichnungen – eine Rolle spielt.

Gräbe: Ich will dem Unternehmer (präziser: dem Kapitaleigner) keinen „ehrlichen Lohn“ zuordnen, sondern ihn als Charaktermaske seiner Funktion im Reproduktionsprozess verstehen, aus der sich die erforderliche Verfügung über Wertbestandteile reproduktionslogisch ergibt. So wie der Arbeiter Charaktermaske der Funktion ist, mit den ihm zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln und Vorprodukten (die sich der Unternehmer vorher aneignen muss) gebrauchswertseitig den geplanten operativen Umschlag des Kapitals zu bewirken, dessen Ergebnis sich der Unternehmer danach wieder aneignet (gegen Lohnzahlung, mit der die gebrauchswertseitige Reproduktion des Arbeiters in weiterem Verständnis gesichert wird) und damit zugleich die Verantwortung für die (ggf. nicht gelingende) Distribution übernimmt, die (nach Heinrich – nicht meine Position) „erst den Wert schafft“. Diese Funktion ist (nach meiner Lesart) in der tief gestaffelten Infrastrukturreproduktion zu suchen, zum Beispiel in der Behandlung des produktiven Konsums als Forschungsleistung in meinem Beispiel einer Zwei-Sektoren-Wirtschaft (S. 32).

Quaas: Dazu kommen wir ja vielleicht noch, wenn sich unsere kleine Diskussion fortsetzt. Zunächst ist der Hinweis auf die Charaktermasken nur dann aufschlussreich, wenn man die zugrunde liegende Differenzierung zwischen funktionalem und personalem Aspekt mitdenkt. Die Charaktermasken sind Eigenschaften von Personen, die diese aufgrund ihrer Funktion im kapitalistischen Reproduktionsprozess haben. Das „Kapital“ beschreibt diese Funktionen einschließlich der entsprechenden Strukturen. Die wirklichen Personen gehören aber nicht nur der ökonomischen Sphäre an. Das macht Marx in einem Vorwort deutlich. Die hier relevante Charaktermaske heißt nicht, wie Sie es in das „Kapital“ hineindeuten, „Unternehmer“, sondern Kapitalist. Und man geht nicht sehr fehl in der Annahme, dass Marx dieser Charaktermaske unterstellt, trotz ihrer vielen Aktivitäten nicht zu arbeiten, also auch an der Wertschöpfung nicht teilzunehmen.

Dass das empirisch falsch ist und wie man das auf der personalen Ebene korrekt abbilden kann, habe ich bereits gesagt. Leider kommt da keine Äußerung von Ihnen… Ist es nicht frustrierend, zu lesen, dass ein Problem bereits gelöst ist, an dessen Lösung man arbeitet?

Gräbe: Ah ja, gelöst. Schön, dann reine Verständnisfragen. Was „arbeitet der Unternehmer“ in Ihrer Antwort? Ist das identisch mit „unternehmerischem Tätigwerden“ (meine Terminologie)? Wie ist dessen produktionsorganisatorische Funktion, etwa wenn „der Kapitalist (! – HGG) … mit schlauem Kennerblick die für sein besondres Geschäft … passenden Produktionsmittel und Arbeitskräfte auswählt“ (MEW 23, S. 199), in der „Differenzierung zwischen funktionalem und personalem Aspekt“ zu behandeln? Und was, wenn diese Funktion nicht mehr beim Unternehmer, sondern der Einkaufsabteilung des Unternehmens (als juristischem Subjekt der bürgerlichen Rechtsordnung genauso „geschäftsfähig“ wie Individualsubjekte als Unternehmer, insofern letztere über ausreichend Kapital verfügen)? Kurz, wie grenzt Marx das, was Sie „Arbeitsprozess“ nennen, ab? Gehen Sie bitte davon aus, dass ich (Quaas 2016, Kap. 6) nochmals gelesen habe, etwa „… dass mehrere Arbeiter an einem einheitlichen Prozess beteiligt sind“ (S. 160). Ist daran auch der Unternehmer beteiligt, oder ist dieser nur noch „Wächter und Regulator des Produktionsprozesses“? Personal oder funktional? Die Arbeiter sicher funktional, denn der Kapitalist „wendet diese an“ (ebenda). Weiter „reduziert sich der Begriff der Gesellschaftlichkeit der Arbeit nicht auf das unmittelbare Zusammenwirken mehrer(er) ‚Arbeiter‘“. Gibt es eine Abgrenzung zwischen „Arbeitsprozess“ und „ Gesellschaftlichkeit der Arbeit“? Gehören gesellschaftliche (etwa politische, steuerliche usw.) Bedingungen, die für einen speziellen Arbeitsprozess förderlich oder hinderlich sind, auch mit zum Arbeitsprozess? Wenn ja, dann als Arbeitsmittel (die anderen beiden „einfachen Momente“ (S. 158) scheiden nach meinem Verständnis aus) – der Kapitalist schmiert „mit schlauem Kennerblick“ die richtigen Stellen im Politgetriebe. Wenn nein, dann muss Mehrwert im Arbeitsprozess anfallen, der auf diese Weise planmäßig und produktionslogisch verausgabt wird.

Quaas: Ich zumindest würde jeder Tätigkeit – bis hin zum Präsidenten der Republik – einen Anteil an der Wertschöpfung zugestehen – auf jeden Fall aber die von Marx beschriebenen Tätigkeiten des Kapitalisten. Aber – ich bin eben kein Marxist. Und wenn ich Marx so auslege, dann muss ich hinzufügen, dass Marx das möglicherweise ganz anders gesehen hat. Darüber könnte man sich dann streiten, würde ich aber nicht tun.

Gräbe: Was allerdings in keiner Weise auf meine Frage der Abgrenzung des Begriffs Arbeitsprozess und die Einbeziehung oder Nichteinbeziehung des Unternehmers oder Kapitalisten als Funktion oder Person eingeht. Zögern Sie an der Stelle, über Marx hinaus zu denken oder geht da unser Erkenntnisinteresse unterschiedliche Wege?

Quaas: Ich würde Marx in diesem Punkt nicht verbessern wollen, weil man seine Mehrwerttheorie so interpretieren kann, dass die Arbeit der Unternehmer berücksichtigt wird. Ich brauche auch nicht über Marx hinausdenken, weil das andere schon vor mir getan und eine plausible Lösung gefunden haben.

Gräbe: Nun, seit es Aktiengesellschaften und andere „juristische Subjekte“ gibt, sind – wenigstens in jenen Bereichen – Unternehmer und Kapitalist geschieden und die „Charaktermaske“ existiert auch realweltlich in Reinform. Tragen die neuen „Arbeiter“ mit produktionsorganisatorischem Auftrag – die Manager in den Chefetagen und vielleicht sogar Betriebsräte wie ein Bernd Osterloh im Aufsichtsrat – durch eigene „lebendige“ Arbeit zur Wertschöpfung bei? Oder „verbrauchen sie Wert“ als Agenten des Kapitals, wie dies ungefähr bei Peter Fleissner zu lesen ist (kurz vor der Überschrift „Ein wenig Mathematik“)? Wäre zu klären, da in der „automatischen Fabrik“, nachdem der letzte einfache Arbeiter vor die Tür gesetzt wurde, dann schlicht t(A)=0 ist. Das kann man beliebig multiplizieren, es bleibt null.

Quaas: Es wird wohl beides der Fall sein: Sie tragen zur Wertschöpfung bei, aber vor allem auch zur Steigerung des Mehrwerts, an dem sie selber partizipieren.

M.E. bedeutet die voll-automatisierte Fabrik, dass t(X) = 0 ist. In dem Maße, wie die gesamte Wirtschaft automatisiert wird, nimmt dann auch noch das konstante Kapital ab. Dieses Szenario zu Ende gedacht, ergibt eine Wirtschaft, die nur noch Gebrauchswerte, aber keine Werte mehr produziert. M.E. zeigt diese Konsequenz die Grenzen der Arbeitswerttheorie. Denn auch in jenem Zustand werden die Produkte wohl einen Preis haben – es sei denn, wir haben dann den Kommunismus.

Gräbe: Konsequent zu Ende gedacht ist eine kapitalistische Gesellschaft ohne Arbeiter eine, die ausschließlich Mehrwert produziert. Ich empfehle, dort wenigstens die Produktionsorganisation nicht gänzlich ohne „Wächter und Regulatoren“ zu denken, also die Ingenieure und Manager nicht vollständig wegzudenken. Ich verstehe in Ihrer eloquenten Wertrechnung allerdings nicht, wie diese „sowohl zur Wertschöpfung als auch zur Steigerung des Mehrwerts“ beitragen, „von dem sie selbst partizipieren“. Machen das Arbeiter nicht grundsätzlich?

Quaas: Die „vollautomatische Produktion“ ist ein Gedankenexperiment, das natürlich voraussetzt, dass auch die „Wächer und Regulatoren“ wegrationalisiert worden sind: Die Produkte fallen in den Warenkorb wie im Schlaraffenland. Die Menschen müssen nur noch konsumieren und tun das auch. Falls in einem solchen Reproduktionsprozess noch Werte vorhanden sind – was wegen der aktuellen Bestimmtheit der Wertgröße aber nicht sein kann – werden diese recht schnell aus dem Prozess verschwinden, da die Konsumtion Werte vernichtet und neue Werte nicht entstehen. Folglich kann es auch keinen Mehrwert geben.

Gräbe: Das Dumme ist, dass die ganze (einfache, Band 1) Wertrechnung wie auch der Kapitalismus selbst von einer prinzipiell unbegrenzten kostenlosen Naturverfügbarkeit ausgeht. Dort, wo Natur nicht vermieden werden kann (extraktive Industrien, Landwirtschaft), treten auf einmal Renten auf. Aber wohl erst im Band 3. Das wird nach meinem Verständnis vom Gedankenexperiment übernommen.

Quaas: Dass Arbeiter grundsätzlich am Mehrwert partizipieren, meinen Sie? Wenn jemand sein Leben lang gearbeitet hat und nichts hinterlässt, dürfte das nicht der Fall gewesen sein.

Gräbe: Zählen die Manager und Ingenieure, die noch eine Weile als „Wächter und Regulatoren“ benötigt werden, bevor man auch jene einspart, für Sie zu den Arbeitern? Wenn ja und v=0 ist, müssen sie aus dem Mehrwert entlohnt werden. So, wie sie heute aus dem Mehrwert ihre Prämien und Boni erhalten. Habe ich da was falsch verstanden? Haben die bis zur Rente natürlich alles „konsumtiv verbraucht“. Mit der Frage, im Alter arm wie eine Kirchenmaus zu sein, hat das nicht direkt etwas zu tun.

Quaas: In meinem Beispiel ist die „Kirchenmaus“ das ganze Leben lang arm.

Automatisierte Produktion

Gräbe: Die Argumente haben einen schweren Stand – in der klassischen Mainstream-Okonomie sowieso, aber auch unter den vielen Suchern, die Marx neu lesen wollen, dabei aber wenig Bereitschaft entwickeln, mit Marx über Marx hinaus zu denken.

Quaas: Mit Recht. Denn man sollte nicht über eine Theorie in einer Weise hinausdenken, die sie verwässert.

Man muss übrigens nicht einmal über Marx hinausdenken wollen, wenn man ihn kritisieren/verbessern will. Um nur ein Beispiel zu nennen: Marx behauptet, die konkrete Arbeit würde den Wert der Produktionsmittel auf das Produkt übertragen. Damit wird unterstellt, dass die Arbeit ein Vermittlungsglied zwischen den Produktionsmitteln und dem Produkt ist. Aber schon zu Marx‘ Zeiten waren die Maschinen (einschließlich Werkzeuge) das Vermittlungsglied zwischen Arbeit und Produkt – in seinem Modell des Arbeits- und Verwertungsprozesses beschreibt er das auch, zieht aber keine Konsequenzen für seine Wert-Übertragungs-These.

Gräbe: In der „automatischen Fabrik“ bleibt Arbeit nur noch als „Vermittlungsglied“ zwischen Produktionsmittel selbst – in der Herstellung und Steuerung von Maschinen, die Maschinen herstellen. Kann man beliebig iterieren. Das lässt sich (zwischen uns) aber nicht sinnvoll besprechen, bevor nicht der Begriff „Arbeitsprozess“ (ggf. in seiner Entwicklung in den 150 Jahren seit Marx) genauer definiert ist, denn jener „bestimmt die Wertgröße“. So habe ich jedenfalls (Quaas Z128) verstanden
.
Quaas: Ich würde die Konsequenz ziehen, dass das Modell „konkrete Arbeit überträgt den Wert der Produktionsmittel“ nicht zutrifft. Das ist eine ontologische Annahme von Marx, die für die Arbeitswerttheorie verzichtbar ist, auch wenn Marx stolz darauf war, diesen Punkt gemacht zu haben.

Gräbe: Wieso verzichtbar? Wenn man die Maschinen herstellende Maschine und die hergestellten Maschinen als eine Maschine (oder besser „Maschinensystem“) betrachtet, die über diese indirekte Steuerung werthaltige Produkte bisheriger Art herstellt, dann muss der Wertübertragungsmechanismus durch Abschreibung nicht geändert werden. Allein die Kapitalumschlagzeiten steigern sich ins Astronomische und ein Einzelkapital mag das Risiko vielleicht nicht mehr eingehen. So weit sind wir aber schon heute. Marx muss man dazu auch nicht modifizieren. „ … durchläuft das Arbeitsmittel verschiedne Metamorphosen, deren letzte die Maschine ist oder vielmehr ein automatisches System der Maschinerie (System der Maschinerie; das automatische ist nur die vollendetste adäquateste Form derselben und verwandelt die Maschinerie erst in ein System), in Bewegung gesetzt durch einen Automaten, bewegende Kraft, die sich selbst bewegt …“. Allerdings denkt Marx, dass auch dann „dieser Automat bestehend aus zahlreichen mechanischen und intellektuellen Organen“ noch immer „die Arbeiter selbst … als bewusste Glieder“ benötigt. So auch schon lange Klaus Fuchs-Kittowski: „Unsere Antwort auf die Frage war immer: Der Mensch ist die einzig kreative Produktivkraft, er muss Subjekt der Entwicklung sein und bleiben. Daher ist das Konzept der Vollautomatisierung, nach dem der Mensch schrittweise aus dem Prozess eliminiert werden soll, verfehlt!“

Quaas: Ich behaupte nur, dass die ontologische These der Wertübertragung nicht plausibel ist, wenn man sie zu Ende denkt, und auch überflüssig ist, da man sie durch eine unproblematische Zurechnung ersetzen kann: Dem Produkt wird der Wert der Produktionsmittel stückweise zugerechnet. Ich verlange nicht, dass Marx‘ Theorie geändert wird. Für die mathematische Modellierung spielt die philosophische Interpretation von c keine Rolle. Marxisten können c nach wie vor als Wertübertragung interpretieren.

Mir scheint, dass man die Maschinen herstellende Maschine nicht als EINE Maschine darstellen kann, da ihr Wert ja nur stückweise in die neue Maschine eingeht.

Gräbe: Also nun doch „innere Wertrechnung“? Denn es ist ja ein Arbeitsprozess – Die Maschinen-Maschine stellt die Maschinen her und jene die Produkte.

Quaas: Wenn, wie bei der automatischen Fabrik, die Arbeitskräfte als Quelle von Wert fehlen, wird der Wert der vorhandenen Maschinen auf die neuen übertragen. Gibt es nur noch automatische Fabriken, fehlt also die Quelle von Werten im ganzen System der Wirtschaft, kann kein Wert mehr übertragen werden, weil die Maschinen im strengen (Marxschen) Sinn wertlos sind. Die Ökonomik kann sich hier auf die physischen Strukturen beschränken, die keineswegs nur „betriebswirtschaftlich“ sind.

Gräbe: Die einzige Aufgabe, die bleibt, ist die Reproduktion der Produktionsbedingungen, auf die dann (so meine These, siehe oben) der gesamte Mehrwert draufgeht. Aller Wert ist dann Mehrwert. Ihr Problem ist (mit Marx), dass Sie einen zu engen Arbeitsbegriff an eine zu stark vergesellschaftete Produktionsweise anlegen und den im Arbeitsprozess organisierten „Stoffwechsel mit der Natur“ auf die Produktionsprozesse der „automatischen Fabrik“ reduzieren.

Quaas: Umgekehrt ist es richtig: Ich reduziere in dem Gedankenexperiment eine Produktion mit automatischen Fabriken auf den Stoffwechsel mit der Natur.

Und Mehrwert ist immer auch Wert. Wenn Sie zustimmen, dass Wert vergegenständlichte Arbeit ist, dann kann es keinen Mehrwert geben in einem System, in dem die Arbeit fehlt. Oder wollen Sie etwa technologische Prozesse, die ohne Mitwirkung von lebendigen Menschen ablaufen, als „Arbeit“ bezeichnen? Einen solch‘ breiten Arbeitsbegriff lehne ich in der Tat ab.

Ware als „Gebrauchswert für andere, …“

Gräbe: Wert fasse ich konsequent als gesellschaftliches Verhältnis, das ein quantitatives Maß (Tauschwert) nicht für Arbeit schlechthin, sondern für Arbeit auf ein fremdes Bedürfnis hin vermittelt, die Kompensation in gleicher Höhe durch Befriedigung eigenen Bedürfnisses finden muss. Dabei muss (und kann) sich der Einzelne gesellschaftliches Bedürfnis proportional als eigenes Bedürfnis zurechnen lassen.

Quaas: Nach meiner Meinung ist es eine überflüssige Einengung der Marxschen Theorie gewesen, als Engels den Zusatz machte, dass die Ware ein Gebrauchswert für andere sein müsse. Sofern ein Ding überhaupt nützlich ist, ist es stets auch ‚für andere‘ nützlich. Die Nützlichkeit allein ist es aber nicht, die eine Ware verkäuflich macht, es muss auch ein gesellschaftliches Bedürfnis für diese Ware da sein. Das hat Marx ganz klar in seiner Preistheorie gesehen.

Gräbe: Dort steht nicht, „dass die Ware ein Gebrauchswert für andere sein müsse“, sondern „Wert ist ein quantitatives Maß … für Arbeit auf ein fremdes Bedürfnis hin, die Kompensation in gleicher Höhe durch Befriedigung eigenen Bedürfnisses finden muss. Dabei muss (und kann) sich der Einzelne gesellschaftliches Bedürfnis proportional als eigenes Bedürfnis zurechnen lassen.“ Der Gebrauchswert muss also nicht nur „nützlich“ sein, sondern auch Anerkennung finden, denn anders ist die „Kompensation“ nicht zu erlangen. Korrekt muss hier allerdings wohl genauer zwischen Wert als Verhältnis und Wertgröße (statt Tauschwert) als Maß unterschieden werden.

Quaas: Die gesellschaftliche Nachfrage wird erst in der Preistheorie berücksichtigt, m.a.W.: sie geht nicht in die Bestimmung der Wertgröße ein. – Das ist übrigens eine ganz alte Debatte, die schon zu Marx‘ Lebzeiten entbrannt ist. Falls wir das vertiefen wollen, gern demnächst dazu mehr. Natürlich nur, wenn Sie es wissen wollen.

Gräbe: Der Wert ist nach Abschluss des Arbeitsprozesses und vor dem Tausch auf dem Markt komplett vergegenständlicht und erscheint (in meinem Modell) als begründete Erwartung des Kapitalisten auf Realisierung im Preis. Was im Gleichgewichtsfall von Angebot und Nachfrage dann auch so eintritt. Kann der „Marktmagen“ nicht alles zu diesem Wert=Preis aufnehmen, dann stellt sich in Ihrem Modell ein geringerer Preis ein, zu dem jener „Marktmagen“ nun auf einmal doch die gesamte Gebrauchswertmenge aufnehmen kann.

Quaas: Korrekt.

Gräbe: Wenn der Kapitalist an der Wertschöpfung im Arbeitsprozess im Umfang von m beteiligt ist (meine Annahme, sehen Sie anders), dann muss er sich in diesem Fall (der Überproduktion) sagen lassen: „Du hast unterdurchschnittlich gearbeitet (weil die Überproduktion nicht erkannt), so dass dir auch nicht deine wirkliche, sondern nur die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit angerechnet werden kann und dein Mehrwert demzufolge kleiner ausfällt“. Damit wäre nach dem Tausch der Mehrwert anders verteilt als vor dem Tausch (der Käufer hat durch die Wertberichtigung ein kleineres c in seiner eigenen Wertrechnung für den folgenden Arbeitsprozess und damit mehr Mehrwert, aber vielleicht hat er bereits mit dem „wahren Wert“ gerechnet, dann ändert sich nichts).

Quaas: Der Käufer hat ein Schnäppchen gemacht. Die werttheoretische Strukturierung dieses Schnäppchens ist ihm Wurst, mal abgesehen davon, dass ihm zu einer Kalkulation alle Informationen fehlen. Der durch den Markt reduzierte Wert geht nun ein entweder in den Wert der Arbeitskraft des Käufers oder in die Kosten seiner Produktion.

Gräbe: Bei mir gibt es zwei Arten von Wert-Preis-Abweichungen. Einmal das, was Sie im RLS-Text [Q-2017] beschreiben, wie aus Wert Marktwert wird. Nun kann der Preis trotzdem davon abweichen, also etwas zu einem Preis erworben werden, der unter dem Marktwert liegt. In beiden Fällen ist der Wert der Ware bei mir der Marktwert, die zweite Situation gehört aber auf eine andere Abstraktionsebene, ist kein Teil des „Skeletts“.

Quaas: Marx nimmt an, dass das variable Kapital (der Lohn) vorgeschossen oder zumindest vertraglich vorher festgelegt worden ist. M.a.W.: der Kapitalist trägt voll und ganz den Verlust, sein Mehrwert ist kleiner u.U. sogar negativ. In praxi ist das anders: Da hält er einfach die Löhne zurück.

Gräbe: Eine solche zeitnahe Adjustierung von Wert und Preis auf Kosten von Profitraten würde aber bedeuten, (1) dass Vorprodukte grundsätzlich zu Kostpreisen in die Wertrechnung eingehen, weil dort Wert und Preis zusammenfallen und (2) dass es auf der VGR-Ebene grundsätzlich kein Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage gibt und folglich auf jener Abstraktionsstufe Preise und Werte grundsätzlich zusammenfallen. Übersehe ich da was? Ist zwar nicht Marx aber hoffentlich logisch konsistent.

Quaas: Kein Problem mit dem letzten Absatz. Aber wer weiß, welche Konsequenzen Sie daraus ziehen …

Ist Wert ein gesellschaftliches Verhältnis?

Quaas: Was die obige Frage mit dem Wert als Verhältnis und dem Wert als Wertgröße zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Wahrscheinlich kann es sich mir nicht erschließen, weil der Wert kein Verhältnis ist, sondern eine Größe und nichts anderes. Aber das sagte ich ja schon. Außerdem ist der Wert genauso wenig ein gesellschaftliches Verhältnis wie er mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit identisch ist (Z-Beitrag). Der Wert ist eine gesellschaftliche Eigenschaft der Ware, die auf einem gesellschaftlichen Verhältnis beruht. Man sollte schon diese begrifflichen/kategorialen Feinheiten ernst nehmen, wenn man sich auf Marx beruft.

Gräbe: Nach meinem Verständnis ist die Wertgröße und nicht der Wert eine gesellschaftliche Eigenschaft, der Wert dagegen (kategorial) ein gesellschaftliches Verhältnis. So wie man im Dreieck zwischen Seite (als Objekt) und Seitenlänge (als dessen Eigenschaft) unterscheidet.

Quaas: Da habe ich ein Zitat für Sie, mal sehen, ob Sie das als Nicht-Exegetiker interessiert:
„Wertgröße ist beides, Werth überhaupt und quantitativ gemeßner Werth…“ Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Hamburg 1867, in: MEGA II 5, Berlin 1983, S.29.

Gräbe: Na wunderbar, da können wir den Messprozess ja draußen lassen.

Quaas: Wieso das denn? – Ihr Beispiel mit der Seite eines Dreiecks hat mir imponiert. Sie meinen anscheinend folgendes: Wenn ich „Seite“ sage meine ich „Seite eines Dreiecks“. Insofern handelt es sich um ein Verhältnis, nämlich das Verhältnis, die Seite eines Dreiecks zu sein. So könnte man sagen: Wenn ich „Wert“ sage, meine ich, „Wert einer Ware“. Insofern liegt ein Verhältnis vor. In anderer Beziehung ist klar, es gibt keine Seite eines Dreiecks, die nicht eine bestimmte Länge hätte. Analog gibt es keinen Wert, der nicht eine bestimmte Größe hätte. Nun muss ich zugeben: In meinem, durch die Physik affiziertem Hirn bedeutet eine empirische Größe immer eine Quantität bestimmter Qualität, wobei letztere durch die Maßeinheit notiert wird. Im Rahmen dieser Begrifflichkeit macht es nur einen stilistischen Sinn, zwischen „Wert“ und „Wertgröße“ zu unterscheiden.

Das zum einen. Zum anderen steht der Wert in folgenden Verhältnissen: (i) zur gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit (und zum Kompliziertheitsgrad der Arbeit) (ii) zum Gebrauchswert der Ware (iii) zum Preis der Ware. Obwohl das alles ökonomische Objekte sind, ist keine Beziehung des Wertes zu diesen Objekten ein gesellschaftliches Verhältnis. Der gewichtete Durchschnitt der Arbeitszeiten innerhalb einer Branche ist dagegen ganz klar ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis, und Angebot und Nachfrage, die dann in die Bestimmung des Preises eingehen, ist ein „Konsumtionsverhältnis“ (komische Wortbildung, aber korrekt).

Gräbe: Es besteht ein Unterschied, ob der „Wert ein (kategoriales) Verhältnis“ ist (Gräbe) oder im Verhältnis zu anderen Kategorien steht (Quaas). Ich habe Marx immer so gelesen, dass Wert ein (emergentes gesellschaftliches) Verhältnis zwischen Menschen ist, das in den Waren erscheint. Etwa so wie die Temperatur ein emergentes Verhältnis der Atome in einem Gasvolumen ist. Die kann man dann auch messen, allerdings geht der Konzipierung des Messprozesses oder gar der Messung selbst die logische Gründung der Kategorie voraus. So etwa auch hier.

Quaas: Ich finde es spannend, wie man Marx alles lesen kann. Der Wert ist nur in der Sklaverei ein Verhältnis zwischen Menschen, und diese ist weitgehend abgeschafft. Hat es Sinn, darüber zu diskutieren, was Marx wohl meinen könnte, wenn er schon auf den ersten Seiten seines ökonomischen Hauptwerkes darstellt, dass der Wert eine Eigenschaft der Waren ist? Und diese Eigenschaft ist ein Reflex der Produktionsprozesse, in denen in der Tat Menschen wirken. Aber deshalb ist doch der Wert kein Verhältnis zwischen Menschen…

Gräbe: Gut, dann also besser im Wert (als Eigenschaft von Waren) kommt ein (besonderes) gesellschaftliches Verhältnis zwischen Menschen zum Ausdruck? Eigentlich meinte ich auch genau das.

Quaas: Jetzt stimme ich zu.

Attribute und Attributwerte

Quaas: Was Sie da über Attribute und Zahlenwerte sagen, ist in dem Begriff der Größe enthalten. Dazu habe ich Smirnow zitiert. Man muss ja nicht immer wieder beim Urschleim anfangen.

Gräbe: „ … der ich hier nur noch einen Aspekt hinzufügen möchte …“ [mf-17]. Jene informatisch-praktisch gewonnene genauere Unterscheidung zwischen Attribut als Struktur- und „Zahlenwert“ als Prozessdimension sei wieder an einem geometrischen Beispiel erläutert: Die Höhe h (als Objekt) aus C im Dreieck ABC hat das Attribut „Länge“, das aber, wenn der Punkt C bewegt wird (etwa in einer Visualisierung mit GeoGebra), sich über die Zeit ändernde Zahlen als Attributwert. Die Mathematiker schreiben dazu – kategorial weitgehend unsauber – h=h(t). Der Informatiker, der eine solche dynamische Geometriesoftware programmiert, kann sich diese Unsauberkeit allerdings nicht leisten (allenfalls vielleicht in einer funktionalen Programmiersprache wie Haskell). Die Frage kann (muss?) man sich auch bei dem Zahlenwert der im Arbeitsprodukt „geronnenen“ Wertgröße stellen – ist der Zahlenwert dieser Wertgröße über die Zeit konstant? Sie wissen besser, ob Marx sich diese Frage stellt, wie er sie ggf. beantwortet und wo der hier markierte Gedankengang darstellungslogisch einzubauen ist. In meinem Modell (und ich denke, das hält Marx auch so) werden alle Austauschoperationen auf einen konkreten Zeitpunkt abstrahiert (projiziert), womit dieser Effekt nicht zu berücksichtigen ist. Dies entspricht mathematisch der Betrachtung der Faser eines Vektorbündels – füge ich hinzu.

Vektorbündel

Quaas: Wenn ich irgendwo firm bin, dann in der Matrizenrechnung (Niveau Gantmacher Teil 1 und 2). Trotzdem habe ich noch nie von einer „Faser eines Vektorbündels“ gehört… Kann man das auch korrekt mathematisch bezeichnen?

Da ich auch ständig etwas zu programmieren habe, und zwar fast nur Zeitreihen, sehe ich hier außer dem terminologischen kein sachliches Problem. Das könnte aber auch bedeuten, dass ich noch nicht verstanden habe, was Sie mitteilen wollten.

Gräbe: https://de.wikipedia.org/wiki/Vektorbündel – Man betrachtet die zeitliche Entwicklung eines Vektorraums V über einer Basismannigfaltigkeit T. Mit dem Begriff des „Schnittes“ hat man einen Nähebegriff zwischen Vektoren in benachbarten Instanzen des Vektorraums und kann damit im „ambient space“ (einem „verdrehten“ kartesischen Produkt TxV) so was wie Analysis treiben. Eine Faser ist einer dieser Vektorräume über einem konkreten Basispunkt.

Quaas: Ich verstehe jetzt (hoffentlich richtig), dass sie Bewegungen von Vektoren im n-dimensionalen Raum darstellen wollen, also Differentialgeometrie anwenden.

Gräbe: Dazu müsste erst einmal klar sein, was in den Fasern passiert.

Quaas: Um sicher zu gehen, dass ich das Richtige verstehe: Eine Faser ist ein Unterraum im n-dimensionalen Vektorraum, dessen Volumen man durch die Gramsche Determinante misst. Das dürfte aber nicht Ihr Interesse sein. – Wenn es auf die Bewegung der Vektoren ankommt, muss man das „Dreibein“ der Raumkurve bestimmen. Um die Bewegung sichtbar zu machen, müsste man sie flexibel auf einen 2- oder 3-dimensionalen Unterraum projizieren. Geht es darum?

Gräbe: Ja und nein, der „ambient space“ ist kein Vektorraum. Vielleicht trage ich mit den folgenden zwei Beispielen ja auch Eulen nach Athen:

1) eine Kurve im Raum, etwa C=(t,t^2,t^3,t in R), hat in jedem Punkt eine Tangente, die bei geeigneter Normierung als eindimensionaler Vektorraum mit Ursprung im Berührungspunkt Bt verstanden werden kann. Die Menge aller Tangenten bildet eine Fläche, den „ambient space“. Nun können Sie auf jeder Tangente einen Punkt Et festlegen und et=BtEt als Einheitsvektor (und damit als Längenmaß) setzen. Wenn Sie das genügend „stetig“ machen, können Sie Längen auf Tangenten zu verschiedenen t vergleichen.

2) Neben et können Sie wie von Ihnen beschrieben noch einen Hauptnormalenvektor nt und einen dritten, darauf senkrecht stehenden Binormalenvektor bt für jeden Punkt t der Kurve bestimmen. Man bekommt das, was gewöhnlich als begleitendes Dreibein bezeichnet wird. So entsteht eine (ziemlich komplizierte) vierdimensionale Mannigfaltigkeit als „ambient space“ dieses dreidimensonalen Vektorbündels.

Quaas: Dann bin ich auf der richtigen Spur. Und was bedeutet der Vektor ökonomisch?

Gräbe: Das kann die Mathematik nicht beantworten, denn Sie stellt hier ja nur ein Denkmuster zur Verfügung. Am Beispiel des Tangentialbündels hatte ich versucht zu zeigen, wie man eine Größe von einer Faser auf die andere übertragen kann, was ja nach den letzten Wendungen unserer Diskussion für W(a,τ) – τ (tau) als Zeitparameter – in jedem unserer beiden mathematischen Modellen durchaus erforderlich werden kann. Man kann die Mathematiker aber fragen, welche Probleme bei Anwendungen dieses Denkmusters bisher aufgetreten sind. Die erwähnte Tangentialfläche, siehe S. 13 in einem meiner Skripte, ist ja noch recht glatt und das Wort „Stetigkeit“ noch verständlich. Man kann etwa nach derjenigen Linie auf jener Fläche durch E0 fragen, die auf allen Tangenten senkrecht steht und dann (falls diese Linie existiert und eindeutig ist) postulieren, „so überträgt sich die Einheit“. So eine Linie bezeichnet man als Schnitt, und es ist einsichtig, dass in einer genügend kleinen Umgebung von E0 stets ein solcher lokaler Schnitt existiert. Weniger einsichtig ist, dass diese Linie bei allen Tangenten vorbeikommt und nicht vorher ins Unendliche „abdreht“ (Existenz eines globalen Schnitts). Für beide Fragen (die Existenz lokaler oder globaler Schnitte) kennt die Mathematik Gründe für Obstruktionen (für lokale Schnitte allerdings nur auf weniger „glatten“ Mannigfaltigkeiten) und kann diese auch in neuen mathematischen Objekten (etwa Homologiegruppen) konzeptualisieren. Ihre Frage können also nur die Domänenexperten selbst beantworten, die sich (auch) mit derartigen Konzepten befasst haben, oder im Team mit Mathematikern arbeiten, die sich auskennen.

Quaas: Ich habe schon die verschiedensten Modelle gebaut. Dabei war mir immer klar, was ich modelliere. Da wundere ich mich ein bisschen, dass ein Mathematiker klären können soll, was man modelliert hat.

Gräbe: Ich hatte das Gegenteil versucht zu formulieren – der Mathematiker kennt eine Methode (hier die Methode Vektorbündel), was die Methode in einem Domänenmodell taugt, kann nur aus der Domäne heraus beantwortet werden.

Gräbes Modell

Quaas: Wenn Sie so etwas modellieren, habe ich keine Aktie daran, obwohl ich nach Ihren Erläuterungen nun glaube, in unserem Buch zur Österreichischen Schule etwas Ähnliches gemacht zu haben.

Mal eine generelle Bemerkung: Zumindest für mich gilt, dass mein Verständnis für Ihren Ansatz ein wenig gewachsen ist. Und ich finde es toll, dass Sie mir erlauben, Sie auf eventuelle Fehler in Ihrem Marxverständnis hinzuweisen – „Fehler“ natürlich aus meiner Sicht. Es liegt selbstverständlich ganz bei Ihnen, ob Sie dem nachgehen oder nicht. Sie haben das Gefühl, dass wir aneinander vorbeireden. Ich bemühe mich jedenfalls, auf Ihre Positionen einzugehen. Immerhin haben wird schon in einigen Punkten Gemeinsamkeiten entdeckt.

Gräbe: Vielleicht muss ich ja auch am Schluss mein Modell zurückziehen …

Quaas: Ein bisschen mehr an die Ökonomie anpassen dürfte reichen. Mir imponiert Ihr ausgeprägtes empirisches Interesse. Vielleicht hätten Sie besser Volkswirt werden sollen?

Gräbe: Kaum. Mein Bemühen war immer, einen Modellansatz zu konzipieren, der sowohl auf der BWL- als auch der VWL-Ebene funktioniert. Und zwar einen groben Modellansatz im Sinne der „Reduktion auf Wesentliches“ wie die Keplerschen Gesetze. Kern ist die Beobachtung, dass ökonomische Subjekte „innere Wertrechnungen“ ausführen, wobei sich diese Werte von den am Markt später erzielten Preisen unterscheiden. Wie das alles zusammenhängt, kann man im Begriffssystem der ISO 56000:2020 nachlesen. Da es eine Norm ist, kann man davon ausgehen, dass danach praktisch gehandelt wird, auch wenn die praktisch so Handelnden ihr eigenes Tun vielleicht (oder eher bestimmt) nicht theoretisch reflektieren, sondern allein begründete Erwartungen (Wertvorstellungen) formulieren, die später im Tausch am Markt zu erfahrenen Ergebnissen (erzielten Preisen) führen, die mit den begründeten Erwartungen nicht direkt zusammenfallen, aber im Regelfall auch nicht zu sehr davon abweichen. Jedenfalls sind damit schon mal Werte und Preise auf eine Weise geschieden. Oben habe ich erläutert, wie ich dies wieder zusammenführe. Unterscheidet sich nicht viel von dem, wie ich es auch bei Ihnen gefunden habe [Q-2016, Kap. 5]. Wertrechnung geht (grob) so, wie Sie es auch beschreiben – das Ganze ist im Kern additiv auf einer Zerlegung des Arbeitsprozesses in Teile, wobei (bei mir) das Mehr des Ganzen über der Summe der Teile als weiterer Summand (m) erscheint. Das ist eine fiktive Hochrechnung realer Verflechtungsprozesse, indem alles in eine gemeinsame Faser des Vektorbündels übernommen wird (Rechnung etwa in „aktuellen Preisen“, auch wenn es in Wirklichkeit eine Wertrechnung ist). Das macht jedes ökonomische Subjekt lokal für sich, da man sich aber gegenseitig intensiv beobachtet (und gut daran tut, bestehende Vernetzungsmöglichkeiten auch zu nutzen), gehe ich davon aus, dass sie alle dieselbe Verflechtung zu Grunde legen (wenigstens in einem Kernbereich, denn ein lineares Modell kennt per se keine „Skaleneffekte“). Jene Riesen-Input-Output-Verflechtungs-Rechnung erklärt grob (via Rechtsmultiplikation), bei welchen Gebrauchswertquanta-Proportionen am Eingang welche Gebrauchswertquanta-Proportionen am Ausgang erscheinen, wenn lebendige Arbeit in den richtigen Qualifikationen eingesetzt und Sachkapitale für die Produktionsbedingungen vorgeschossen werden. Ich habe gezeigt, dass man diese Rechnungen in einer einheitlichen großen Matrix zusammenführen kann. Stabile Produktionsbedingungen haben etwas mit Eigenwerten und Eigenvektoren dieser Matrix zu tun. Linksmultiplikation derselben Matrix führt zu einer Wertreproduktionsbedingung. Das ist Ihnen hinreichend bekannt, bleibt aber natürlich im Abstrakten. VGR macht diese Verflechtungsrechnung auf der Ebene einer Nationalökonomie, also als spezifisches Gesamtkapital-Subjekt, wobei hier zusätzlich aggregiert wird. Dafür werden die Einzelkapitale politisch gezwungen, die erforderlichen Informationen offenzulegen. Da man dabei Äpfel und Birnen nicht auf der Ebene von Gebrauchswerteinheiten zusammenzählen kann, ist es notwendig, diese durch ein gemeinsames Maß zu ersetzen, was dann Preise (Werte?) in der aktuellen Faser des Vektorbündels sind. Wie dieser Abstraktionsprozess von der Riesen-Input-Output-Matrix zu dieser Verflechtungsmatrix der VGR genau zu modellieren ist, habe ich noch nicht verstanden. Ich nehme aber an, dass man an der Stelle für das Modell sinnvollerweise voraussetzt, dass Preise und Werte dabei zusammenfallen. Das kann man aber erst genauer begründen, wenn die Bewegung der Abweichung von Werten und Preisen auf der Ebene der Einzelkapitale besser verstanden ist. Hierfür habe ich bekanntlich einen Petrinetz-Ansatz [awt-10] entwickelt. Auch diese Modellkomponente arbeitet in der Faser jenes Vektorbündels und geht damit ebenfalls von konstanten Produktionsbedingungen (was das ist wäre ggf. genauer zu klären) aus. Ist also eine Abstraktion als weiterer Baustein (im Sinne Ihrer Anmerkung oben über Bausteine der Wertübertragung). Dritter, noch kaum ausgearbeiteter Baustein sind die Schnitte in jenem Vektorbündel.

Quaas: Vielen Dank für die Skizze Ihrer Konzeption. Ich will nicht alles Gesagte noch einmal wiederholen, und beschränke mich auf das Grundsätzliche: Ihre „innere Wertrechnung“, die jedes Wirtschaftssubjekt vollzieht, ist ein etwas qualifizierterer Begriff für eine subjektive Wertschätzung der Sachgüter und Dienstleistungen, die durch das nachfolgende praktische Handeln entweder bestätigt oder korrigiert wird. Da ich erst vor wenigen Tagen mit Klaus Müller über die Neoklassik diskutiert habe und mir die Lust auf eine weitere Diskussion zu diesem Thema vergangen ist, erwähne ich nur andeutungsweise und ohne darauf zu bestehen, recht zu haben, dass Sie wahrscheinlich in diesem Dunstkreis eher Resonanz finden als bei mir. Um den sachlichen Unterschied deutlich zu machen: Warum müssen die inneren Wertrechnungen der Wirtschaftsakteure immer wieder korrigiert werden? Die Antwort der Vertreter einer objektiven Wertlehre wird vermutlich sein, dass es äußere Gesetzmäßigkeiten gibt, nach denen die Wirtschaft funktioniert, die die praktisch Handelnden nicht kennen, so dass sie auf Mutmaßungen angewiesen sind. Und diesen Gesetzmäßigkeiten versuchen jene Theoretiker mit Hilfe der Vorstellung, dass es nicht nur subjektive Bewertungen, sondern auch objektive Werte gibt, auf die Spur zu kommen. Und die wenigen heute noch verbliebenen Arbeitswerttheoretiker werden sicherlich ergänzen, dass sie diese Gesetzmäßigkeiten im Kern in dem Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Wert sehen. Durch die Fixierung des Wertbegriffs auf die Ware ist es dann ausgeschlossen, im Rahmen der AWT auf eine andere Bedeutung des Allerweltsbegriffs Wert abzustellen. Trotzdem war es interessant für mich, zu sehen, was man alles normieren kann.

Ich möchte Ihren Ansatz keineswegs als verfehlt, chancenlos oder was auch immer an negativen Bewertungen möglich wäre, beurteilen. Man weiß nie, wo das Feuer plötzlich aufflammt. Ich persönlich bin voll und ganz mit meinem ökonometrischen Modell auf Basis der gewöhnlichen VGR und den Forschungen im Umfeld ausgelastet und erlaube mir nur hin und wieder einen Ausflug in die AWT, weil ich mich auf diesem Gebiet ein wenig auskenne. Aber was Sie da vorhaben wäre mir in zweierlei Hinsicht zu abenteuerlich: Erstens sind Sie meilenweit von dem entfernt, was professionelle Ökonomen so treiben, und zweitens hat Ihr Ansatz – trotz der Bezugnahmen auf Marx‘ Theorie – mit dieser recht wenig zu tun. Obwohl die literarische Welt voll von Weiterentwicklungen und Anwendung dieser Theorie ist, halte ich wenig davon, diese Theorie in dem Zustand, in dem sie sich in den Köpfen ihrer zeitgenössischen Vertreter befindet, auf irgendetwas anzuwenden. Der Grund ist einfach: Solange eine Vielzahl von Ausdeutungen existiert, die – wie ich immer wieder höre – alle gleichberechtigt sein sollen, fehlt dem Paradigma das Mindestmaß an Bestimmtheit, auf dem man erfolgreich weiterarbeiten könnte. Deshalb zögere ich, das mathematische Modell zu operationalisieren und auf aktuelle Probleme anzuwenden, solange nicht einmal elementare Dinge wie die simple Formel W(a) = u(A)t(A) als adäquate Modellierung des Zusammenhanges zwischen Wertprodukt und gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit akzeptiert wird. Wozu seine Zeit mit der Richtigstellung von Vorstellungen vergeuden, die trotz zwingender Argumente vom Tisch gewischt werden?

Literatur

[QM-Z124] Gräbe: Anmerkung zu einer Kontroverse zwischen Georg Quaas und Klaus Müller in Z 124, Dez. 2020
http://www.leipzig-netz.de/index.php/HGG.2020-12
https://hg-graebe.de/EigeneTexte/Mueller-Quaas-Z124.pdf

[dat-20] Gräbe: Technical Systems and Purposes. In: TRIZ-Anwendertag 2020 (Oliver Mayer, Hrsg.), Springer Verlag 2021, S. 1-13.
https://hg-graebe.de/EigeneTexte/DAT-20-de.pdf (deutsche Version)

[GQ-19] Gräbe, Dez. 2019: Anmerkungen zu Georg Quaas
http://www.leipzig-netz.de/index.php/HGG.2019-12

[at-17] Gräbe: Arbeitswerttheorie und technologischer Wandel. In: Berliner Debatte Initial 30 (2019) 1, S. 94-104.
https://hg-graebe.de/EigeneTexte/at-17.pdf

[mf-17] Gräbe: Arbeitswerttheorie und Maschinenfragment. Anmerkungen zu (Quaas 2016). Manuskript, Dezember 2017.
[mf-17] https://hg-graebe.de/EigeneTexte/mf-17.pdf

[FS-16] Gräbe am 21.01.2016 im Foschungsseminar Quaas
http://forschungsseminar.de/session/fs160121p.htm

[f-12] Gräbe: Wie geht Fortschritt? LIFIS Online, 12.1.2012.
http://www.leibniz-institut.de/archiv/graebe_12_11_12.pdf

[nf-11] Gräbe: Some remarks on a paper of Nils Fröhlich. Manuskript, Januar 2012.
https://hg-graebe.de/EigeneTexte/nf-11.pdf

[awt-10] Gräbe: Arbeitswerttheorie – ein dezentraler Ansatz. I: Grundlagen. Manuskript, März 2010.
https://hg-graebe.de/EigeneTexte/awt.pdf

[QG-19] Quaas: Arbeitswerttheorie und Monopolprofite. Anmerkungen zu einer antiquierten werttheoretischen Erklärung. 12.12.2019

Arbeitswerttheorie und Monopolprofite

[Q-2017] Quaas: Ist der Mehrwert messbar? In: Marx‘ »Kapital« im 21. Jahrhundert. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Leipzig 2017, S. 95-108.

[QG-17] Debatte mit G. Quaas zu einigen Aspekten aus seinem Buch. 11.11.2017

Arbeitswerttheorie – Gräbe und Quaas diskutieren


Forschungsseminar Quaas am 09.11.2017
http://www.forschungsseminar.de/session/171109/Kompliziertheitsgrad.pdf

[Q-2016] Quaas: Die ökonomische Theorie von Karl Marx. Marburg, 2016.
Siehe auch die Wikipedia-Seite „Marx‘ Arbeitswerttheorie als mathematisches Modell“
https://de.wikipedia.org/wiki/Marx%E2%80%99_Arbeitswerttheorie_als_mathematisches_Modell

[Q-1984] Quaas: Eine mathematische Darstellung der marxistischen Werttheorie. In: Wiss. Z. der Karl-Marx-Univ. Leipzig, 2/1984, S. 228-241.

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