RSC

Research-Seminar-Comments / Kommentare zum Forschungsseminar

Das Forschungsseminar „Politik und Wirtschaft“ bietet Nachwuchswissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen – aber vor allem der Volkswirtschaftslehre – nicht nur eine wissenschaftliche Heimat, sondern vor allem Gelegenheit, eigene Thesen vorzustellen und in einer kritischen und konstruktiven Atmosphäre zu diskutieren und zu verteidigen. Mit der Konzeption einer auf individuelle Arbeit und den wissenschaftlichen Meinungsstreit setzenden Gemeinschaft im Gegensatz zu einem massenhaft Referate hörenden und vorrangig gemeinschaftlich publizierenden und sich gegenseitig bestätigenden Team stemmt sich das FS gegen Verschulungstendenzen, die inzwischen auch die dritte Phase einer akademischen Karriere ergriffen haben. Die Liste der ehemaligen Mitglieder belegt, dass auch ein Zero-Budget-Projekt erfolgreich sein kann, wenn es eigenständiges Arbeiten, selbständiges Denken und eine kritische und selbstkritsche Einstellung fördert.

Schwerpunktthemen des FS sind (in alphabetischer Reihenfolge): Evolutorische Ökonomik, Globalisierung, Kausalanalyse, Prognosen für die deutsche Volkswirtschaft, Soziale Marktwirtschaft, Theorientest, empirisch gestützte, quantitative Volkswirtschaftsmodelle.

Hier können Sie Ihren Kommentar abgeben und mit den Mitgliedern des Forschungsseminars diskutieren. Bitte geben Sie das Thema an und wen Sie speziell ansprechen möchten.

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9 Gedanken zu „RSC

  1. Georg Quaas: Gemeinsam geteilte oder nur von mir vertretene These?

    Gegenstand: Märkte

    Polit-ökonomische These:

    Märkte sind Orte, an denen Handel betrieben wird. Handel beruht auf einer elementaren Moral: dem Respekt vor dem Eigentum des anderen. Einen einigermaßen verlässlichen Schutz vor Übergriffen (Diebstahl, Raub, Erpressung) kann nur das von einem Staat sanktionierte Eigentumsrecht gewähren. Die meisten dauerhaft existierenden und funktionierenden Märkte stehen deshalb unter dem Schutz eines Staates oder eines Staatenverbunds.

    Wissenschaftstheoretischer Status:

    Überprüfbare und präzisierbare empirische These. Da es schwer möglich ist, eine Übersicht über alle Märkte zu bekommen, dürften hier vor allem Gegenbeispiele gefragt sein.

    Konsequenzen:

    1. Eine Konsequenz findet man bei Thilo Sarrazin, der in seinem Buch „Europa braucht den Euro nicht“ von einer ähnlichen These ausgeht: „Der ‚Markt’ als solcher ist überhaupt nur denkbar als ein Set von Regeln, in deren Rahmen die Teilnehmer Güter und Dienstleistungen anbieten bzw. kaufen… Die Regulierung des Marktes durch Gesetze, Verordnungen oder bindende Vereinbarungen der Teilnehmer soll Betrug verhindern, Gefährdungen ausschließen und die Interessen der Allgemeinheit sichern. Darum gibt es am Wochenmarkt die Lebensmittelkontolleure der Kommune, am Arzneimittelmarkt die zentralen Zulassungsbehörden und Handelsbeschränkungen für rezeptpflichtige Arzneien. Für den Kapitalmarkt gibt es eine Banken und eine Wertpapieraufsicht.
    Geht etwas schief, so hat definitorisch nicht ‚der Markt’, sondern die Regulierung versagt. Oder Marktteilnehmer haben bestehende Vorschriften nicht beachtet und kamen damit durch, dann hat die Aufsicht nicht funktioniert. Der Kern jeden Marktversagens ist also stets ein Staatsversagen und damit ein politisches Versagen. Darum ist es vom geistigen Ansatz her verfehlt, ‚Markt’ und ‚Staat’ in einen Gegensatz zu bringen, denn die staatliche Regulierung (bzw. die bindenden und notfalls vom Staat durchgesetzten Regeln der Marktpartner) setzt stets den Rahmen, innerhalb dessen der marktmäßige Austausch stattfindet.“ (265 f.)

    Vgl. dazu http://evoeco.forschungsseminar.de/prot07ws12.htm

    2. Die neoliberale Forderung nach möglichst wenig Staatsintervention basiert auf Ignoranz gegenüber den existenziellen Regeln der Märkte.

    Gegenpositionen:

    Erich Weede: Das moralische Problem der Politik. In: EWE 13 (2002), Heft 3:

    „…4.4… Die richtige Erklärung argumentiert, daß es für das Individuum Vorteile bringt, Versprechen zu halten, nicht vertragsbrüchig zu werden. Es erwirbt dadurch eine Reputation, und diese ist nicht nur ein Aktivum, sie ist unentbehrlich im Zusammenleben. Ohne diese Reputation bekommt der Betreffende keinen Kredit, so daß ihm nur mehr ein Simultan-Tausch möglich ist. Das Muster ist in der Wirtschaftswelt ganz deutlich zu sehen: Ein Unternehmen, das Zahlungsverpflichtungen nur zögerlich oder gar nicht mehr nachkommt, wird von den Rating-Agenturen sukzessive heruntergestuft, muß für Anleihen eine Zitterprämie zahlen, kann bald keine Anleihen mehr unterbringen, und verschwindet. Das zeigt, daß die Reputation ein unentbehrliches Aktivum darstellt—das gilt von der Kleingruppe bis hin zur globalisierten Wirtschaft. Bereits aus dieser Einsicht deutet sich die Möglichkeit an, daß eine Sozialordnung, in der das Pacta-sunt-servanda-Prinzip respektiert wird, sehr wohl auch ohne den Staat als „letzte“ Durchsetzungsinstanz möglich ist.

    „…(7.1) Étatismus definiere ich als die Auffassung, daß Gesetz und seine Durchsetzung Voraussetzung für eine funktionierende Marktordnung sind, und daß deshalb der Staat logische und also auch historische Priorität gegenüber dem Markt habe. Der Zeitgeist ist étatistisch, verkörpert durch Ordoliberale, „constitutional economics“, den Großteil von „Public Choice“ und selbstverständlich durch alle sozialdemokratischen Parteien—unabhängig davon, welche PR-Bezeichnungen sie verwenden: „sozialdemokratisch“, „christlichsozial“, „liberal“ usf. Der Étatismus ist eng verbunden mit dem Zentralismus. In der Geschichte ist er am stärksten in Frankreich („dirigisme“) ausgeprägt (Jasay 2000). Die Jacobiner setzten eigentlich die Tradition der Bourbonen, von Louis XV und Louis XI, fort.12 An zweiter Stelle folgt Deutschland.

    Mehr davon unter http://evoeco.forschungsseminar.de/hptrad.html

    Herkunft der polit-ökonomischen These:
    Die o.g. Position kristallisierte sich im Erwägungsseminar heraus, das im Sommersemester 2007 die o.g. Diskussionseinheit aus EWE zum Gegenstand machte. Die These wurde sinngemäß vertreten im Erwägungsseminar im Sommersemester 2010. Siehe die beiden Protokolle http://evoeco.forschungsseminar.de/prot05ss10s.htm und http://evoeco.forschungsseminar.de/prot06ss10.htm .

    Vertiefungsmöglichkeit:
    Begriffe Tausch, ökonomische Güter, Staat.

  2. Damit abschließend mein Einwand zu einem grundlegenden Marktbegriff: Die Funktion des Staates gegenüber dem Markt übernehmen in primitiven Gesellschaften die sozialen Gruppen selbst, wenn sie sich zum Tauschen treffen, indem sie für eine temporäre Befriedung sorgen. In dieser entsteht für kurze Zeit so etwas wie ein Markt, auf dem der Tausch zustande kommen kann – oder auch nicht. Die Dauerhaftigkeit wäre somit kein unterscheidendes Merkmal, würde also wiederum diskriminierend wirken.
    Der verlässliche Schutz des Eigentums wird m. E. in unserer heutigen Gesellschaft nur in der engeren Tauschsphäre gewährleistet (Überwachungstechnik, Ladendetektive, Wachschutz) und ist dabei zunehmend selbst ein Gut, das nachgefragt werden muss. Die nachrangige Hilfstätigkeit des Staates in der Rechtsprechung und den damit verbundenen Instrumenten, rechtmäßig besessenes Eigentum ggf. wiederzuerlangen, wird prinzipiell auch in vorstaatlichen Gemeinschaften praktiziert.
    Marktversagen und Staatsversagen sind zwei unterschiedliche Konzepte. Die Behauptung, es läge kein Marktversagen vor, basiert auf einer Sichtweise, die einen Markt als nichtsozialen Mechanismus begreift. Damit in Konflikt steht die These, dass die Marktsubjekte in Abhängigkeit der Internalisierung von sozialen Werten, die der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt förderlich sind, eben in dieser Hinsicht auch bessere Marktergebnisse erzielen können. Damit wird offensichtlich, dass wann immer die Wirtschaftssubjekte selbst nicht genügend gesellschaftliche Werte internalisiert haben, ein die Markkräfte regulierender Akteur eingreifen muss. Er selbst kann jedoch auch überflüssig werden, wenn die Akteure wieder von selbst mehr die Folgen ihres Handelns berücksichtigen.

    • „Damit wird offensichtlich, dass wann immer die Wirtschaftssubjekte selbst nicht genügend gesellschaftliche Werte internalisiert haben, ein die Markkräfte regulierender Akteur eingreifen muss. Er selbst kann jedoch auch überflüssig werden, wenn die Akteure wieder von selbst mehr die Folgen ihres Handelns berücksichtigen.“

      Die Frage ist: Reden wir dann noch von „Markt“, obwohl wir eher das Prinzip „Wettbewerb“/ „Konkurrenz“/ „Rivalität“ meinen? Ich denke, das ist ein wesentlicher Unterschied.

  3. Die Behauptung, dass die meisten Märkte unter dem Schutz des Staates stehen, wurde mit Bedacht auf dauerhaft existierende, funktionierende Märkte beschränkt. Die Existenz eines „staatsfreien“ gelegentlichen Tausches ist mir aus Marx‘ Wertformanalyse bekannt und kein Gegenbeispiel zu dieser These.

    • „Die Behauptung, dass die meisten Märkte unter dem Schutz des Staates stehen, wurde mit Bedacht auf dauerhaft existierende, funktionierende Märkte beschränkt.“

      1. Was sind „funktionierende“ Märkte? Und was ist „dauerhaft“? Es lässt sich ja nicht in die Zukunft blicken. Mir scheinen diese Kriterien leicht immunisierende Züge zu tragen.

      2. Von welchen „Märkten“ reden wir da eigentlich? Der Supermarkt, der Großmarkt … In dem Sinne, ja, in gewisser Weise sind deren Kontiunität und „Funktion“ durch die entsprechenden Gesetze und deren Durchsetzung – also: den Staat – gewährleistet.

      Aber wenn ich z. B. an historisch gewachsene „Märkte“ denke, die unter verschiedenen Regimen/ Staaten bereits existierten, frage ich mich, ob sich die implizierte Unterstellung, dauerhafte und „funktionierende“ Märkte müssen (!) durch Staaten geschützt werden, noch so einfach aufrecht zu erhalten ist. Auch hinsichtlich informeller Märkte habe ich meine Zweifel, ob sich diese These so einfach aufstellen lässt.

  4. Vorweg: Praktischer (übersichtlicher) wäre es, wenn solche Diskussionen mit einem eigenen Beitrag starten würden. Die Beiträge ließen sich dann mit Schlagworten bzw. Kategorien (z. B. RC oder Forschungsseminar) versehen, die sich auf der Seite hier (RSC) verlinken ließen: Die Nutzer(innen) bräuchten diese Links nur anzuklicken und hätten dann alle Diskussionen, die mit dem RSC in Verbindung stehen.

    Ein paar Gedanken zum Ausgangstext …

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    Markt
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    „Markt“ und „Märkte“ können verschiedene Bedeutungen haben. Unter anderem:

    1. Ein physisch realer erfahrbarer Ort, an dem „Handel“ betrieben wird (in Leipzig z. B. fast jeden Dienstag und Freitag in der Innenstadt). Als solcher ist er auch ein Kulturprodukt im weitesten Sinne, das auch dem Austausch von Informationen und anderen kulturellen Zielen dienen kann (z. B. Prestige usw.). Inwiefern dort tatsächlich „ökonomische Gesetze“ zum Tragen kommen und welchen Geltungsbereich sie dort abstecken, ist eine jeweils vor kulturellem-historischen Hintergrund noch zu klärende Frage. Ferner werden solche Handelsplätze von bestimmten „Sonderregeln“ tangiert (in der Vergangenheit ggf. Waffenverbot u. ä., in der Gegenwart vor allem organisatorisch-hygienische Regeln).

    2. „Markt“ als gedankliches Konstrukt des Zusammentreffens von „Angebot“ und „Nachfrage“.

    3. „Markt“ als Propaganda bzw. Ideologie, was z. B Walter Otto Ötsch in „Mythos Markt“ als These vertritt. „Der Markt“ ist demnach mit einem Bündel an mehr oder weniger expliziten Annahmen, Analogien und naturalistischen Elementen verbunden, die eher im Sinne einer dogmatischen Ideologie (Marktradikalität) eingesetzt werden.

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    Handel
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    „Handel“ wird häufig synonym für „Tausch“ verwendet und kann ebenfalls unterschiedlich ausgeleuchtet werden. Zum Beispiel:

    1. „Handel“ könnte für konkrete Kauf- und Verkaufsakte stehen, d. h. es wird ein Gegenstand gegen einen anderen getauscht. In dem Sinne ist die Vorstellung von „Eigentum“ logisch zwingend erforderlich, was eine „Eigentumssicherheit“ mit einschließt (wenn „Eigentum“ den Eigentümer verlässt, wird es vermutlich in das „Eigentum“ eines anderen Eigentümers – des Tauschpartners – übergehen). Dieses Eigentum kann durch „den Staat“ oder aber z. B. durch das eigene physische Vermögen „gesichert“ werden. Zur Sicherung des Eigentums ist der Staat nicht notwendig, er kann allerdings die Möglichkeit, zu tauschen, vergrößern (z. B. in dem er auch das Eigentum schützt, das einzelne Personen auf Grund einer weniger stark ausgeprägten körperlichen Konstitution möglicherweise nicht selbst schützen können).

    2. „Handel“ als Synonym für eine Branche, z. B. „Einzelhandel“ oder „Großhandel“, also im Grunde volkswirtschaftliche Distributionssysteme. Dabei werden „Handelsfilialen“ häufig auch im alltäglichen Sprachgebrauch als „Märkte“ bezeichnet (z. B. Supermarkt).

    Ergänzende Anmerkung:
    Verlässlichen Schutz gegen Übergriffe kann jede gesellschaftliche Organisationsform bieten. Es kommt dabei im Wesentlichen auf die jeweilige Macht zur Durchsetzung (Gewalt) an. Ein schwacher Staat wird z. B. nicht viel zur Eigentumssicherheit beitragen können. Dass der Staat die einzige Möglichkeit darstellt, Eigentumsrechte zu gewähren, darf deshalb bezweifelt werden. Es ist auch nicht ausgemacht, dass ein „Markt“ existiert, weil ihn Staaten oder Staatenverbünde schützen. Denkbar wäre auch, dass Staaten und Staatenverbünde „Märkte“ schützen, weil sie in irgendeiner Weise davon einen Nutzen haben, die geschützten „Märkte“ aber durchaus auch ohne Staaten existieren könnten. Möglicherweise dient dieser „Schutz“ auch „nur“ dem Ziel der Machtausweitung oder Machtsicherung von Staaten, Staatenverbünden, Gruppierungen usw. Wer „Märkte“ schützt, hat auch einen gewissen Einfluss auf die „Marktflüsse“ (was gehandelt wird, wer handelt usw. usf.).

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    Wissenschaftstheoretischer Status:
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    Abhängig von der Definition von „Märkten“, sind „Märkte“ empirisch überprüfbar (z. B. fast jeden Dienstag und Freitag in der Leipziger Innenstadt), wissenschaftlich schwierig nachzuweisen (also Interpretationssache) oder gänzlich metaphysisch-dogmatisches Brimborium.

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    Eigene Positionen
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    Die Frage ist, wozu wir den Marktbegriff benötigen. Wenn wir z. B. Handelsströme u. ä. untersuchen, scheint er mir überflüssig. Wenn bestimmte Aggregate als „Angebot“ und „Nachfrage“ deklariert werden, dann ist ein Konstrukt (!) „Markt“ – gleichwohl sich die einzelne Nachfrage und das einzelne Angebot in einem konkreten Markt manifestieren können – womöglich mit bestimmten Annahmen beladen, die letztlich in die Irre führen können. Konkret: Beobachtungen aus dem Mikro-Bereich werden auf die Makro-Ebene übertragen, ohne zu hinterfragen, welche Annahmen bereits auf der Mikroebene drin stecken und inwiefern diese Anwendung/ Übertragung überhaupt zulässig ist. Vielleicht macht das Konstrukt „Markt“ auf der Makro-Ebene überhaupt keinen Sinn (zumal es „den Markt“ dann eigentlich überhaupt nicht gibt).

    Zudem scheint mir z. B. der Begriff „Marktversagen“, gleichwohl dieser Begriff unter Ökonomen gängig ist, ziemlich stark anthropomorphe Züge zu tragen und mit moralischen Wertungen durchtränkt zu sein. Versagen können eigentlich nur Menschen und „der Markt“ ist kein Mensch (gleiches gilt für „den Staat“). Außerdem wäre zu klären, worin das „Versagen“ liegen soll. Das heißt, dass letztlich bereits im Vorfeld eine Vorstellung davon existiert, wonach das „Versagen“ zu beurteilen ist. Damit zeigt sich auch, dass das Etikett „Versagen“ bereits eine Wertung darstellt: Ihrerseits ist sie bereits mit einem Kriterium verbunden (Wann liegt ein Versagen vor?), das – im ethisch redlichen Diskurs – transparent gemacht werden müsste, wenn diese Wertung überhaupt Geltung haben soll. Aber ob sich „dem Markt“ selbst solche Vorwürfe machen lassen, bezweifle ich. Mehr oder weniger kann das auch Teil einer Immunisierungsstrategie sein, mit der die „lästige“ moralische Verantwortung für das eigene Handeln vom Hals gehalten werden soll: „Der Markt“ als metaphysische Ausflucht für das eigene Tun.

    Dabei wären natürlich auch nicht intendierte Folgen intendierter Handlungen zu beachten, die aber zumindest gemäß der Integrativen Wirtschaftsethik jedem Menschen ein zumutbares Maß an Mitverantwortung abverlangen, d. h. auch ohne direktes „Verursacherprinzip“ ist von jedem Gesellschaftsmitglied ein gewisses Maß an Solidarität zu üben. Aber nicht, weil irgendwo ein anonym mystischer „Markt“ seine unsichtbaren Hände im Spiel hätte, sondern auf Grund der Vorstellung, dass jedes Handeln nicht intendierte Folgen haben kann.

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    Zu den Zitaten:
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    Bei Sarrazin frage ich mich: Wenn „der Markt“ ein Set an Regeln darstellt, wieso muss „der Markt“ dann noch reguliert werden? Offenbar existiert dort neben der bereits existierenden „Regulierung“ noch etwas anderes „im Markt“, das sich eben nicht auf „Regulierung“ zurückführen lässt.

    Außerdem scheint sich mir dort die Katze in den Schwanz zu beißen: „Der Markt“ ist ein Set an Regeln, das ganz sicher nicht „der Markt“, sondern „der Staat“ setzt, der wiederum für dieses „Regelsetzen“ immer dann kritisiert wird, wenn die Regeln a) der ökonomischen „Logik“ widersprechen oder b) zu „Krisen“ (u. ä.) führen. Was „der Staat“ auch macht, es ist dann fast immer verkehrt: Einmal wird „er“ für das „Engagement“ kritisiert, im anderen Falle für sein „Nichtstun“.

    Ich sehe den Unterschied zur „neoliberalen“ Position offen gestanden nicht wirklich, weil sich das, was wir schlechthin als „neoliberal“ bezeichnen, als beliebiger (!) Mix aus Marktradikalität und reduziertem „Ordoliberalismus“ darstellt.

    Bei Weede habe ich das Problem, dass er in (4.4) am Beispiel der Reputation ökonomistisch argumentiert und zwar so, wie ich es auch von neoliberaler Seite erwarten würde: Der Staat ist damit eher ein Störenfried, eigentlich regelt sich alles von selbst – der Staat ist gar nicht notwendig. Bei aller oberflächlichen Unterschiedlichkeit stellt sich mir hinsichtlich Weede und Sarrazin die Frage, inwiefern sie ihre Positionen noch vertreten, wenn sie tatsächlich in Zweifel gezogen sind. Was würde Weede z. B. angesichts einer Finanz- und Wirtschaftskrise sagen? Würde er seinen kritischen Unterton hinsichtlich der Marktregeln durchhalten? Und was wäre Sarrazins Antwort auf die Forderung nach einer stärkeren Regulierung der Märkte?

    Meine Vermutung ist, dass beide Seiten wesentlich stärker zurückrudern werden und sich letztlich damit offenbart, wie wenig sie eigentlich voneinander entfernt liegen. Eigentlich, so mein Eindruck, haben beide das Zeug, Spielarten (Variationen) ein und desselben geistigen Fundaments zu sein. Möglicherweise gibt es Beispiele, die den Kontrast hinsichtlich verschiedener Einstellungen zum und über den Markt deutlicher werden lassen.

  5. Zum Thema Märkte:
    Zustimmung besteht darin, dass Märkte nur unter der Moral: Respekt vor dem Eigentum funktionieren. Dass die meisten Märkte nur dauerhaft unter einem Schutz eines Staates oder Staatenbundes existieren könnte jedoch auch daran liegen, dass es nur wenige Orte gibt die nicht unter dem Schutz eines Staates liegen. Die wenigen bekannten Beispiele wie Schwarzmärkte, Mafiahandel oder auch Märkte in Ländern die vom Staatszerfall betroffen sind können als dauerhaft existent bezeichnet werden und widerlegen damit die These bereits. Eine andere Institution/Regel scheint dort den Schutz vor dem Eigentum zu wahren.
    Ich möchte aber ausdrücklich darauf verweisen damit nicht der oben dargestellten Gegenposition von Weede zugestimmt wird. Vielmehr kann die Moral durch unterschiedlichste Weise wie u.a. Gewaltandrohung, Gewohnheit oder eben auch den Staat oder ein staatsähnliches Gebilde (Regionalregierung) zustande kommen. Meineserachtens gibt es Beispiele in denen mit einer Währung gehandelt wird obwohl der dazugehörige Staat (der ja den Wert garantiert) schon längst nicht mehr existent ist (Beispiel für Gewohnheit).

    Zur Unterscheidung zwischen Marktversagen und Staatsversagen:
    Da die Regulierung der meisten Märkte durch den Staat erfolgt können in der Tat die meisten Marktversagen auf ein Staatsversagen zurückgeführt werden bzw. auf eine fehlerhafte Regulierung. Demnach macht wie bereits erwähnt die Unterscheidung keinen Sinn!
    Abgesehen davon kann eine Unterscheidung in anderem Zusammenhang dennoch sinnvoll erscheinen. Geht man von einem bereits existierenden „Normalzustand“ eines Marktes aus in dem die Eigentumsverhältnisse bereits geregelt und institutionalisiert sind, so können dort aufgrund von den bekannten Ursachen (Informationsasymmetrien, Externalitäten) suboptimale Güterallokationen entstehen bzw. es kommt gar zu einem Zusammenbruch des Marktes. Diese Fehlentwicklung ist nicht auf einen Staatseingriff/Staatsversagen zurückzuführen und zeigt dass der Staat in der Regulierung nachbessern muss. Staatsversagen hingegen bezeichnet Wohlfahrtsverluste durch Staatseingriffe verursacht durch Demokratiedefizite, Bürokratie oder Lobbyismus entstehen.
    Ob in der Realität zwischen beiden immer klar abgegrenzt werden kann ist fraglich. Die theoretische Unterscheidung erscheint mir jedoch trotzdem sinnvoll.

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