Zunehmende Kritikresistenz im Wissenschaftsbetrieb

Am Beispiel des Propaganda-Feldzuges von Dirk Ehnt für die Modern Monetary Theory. Ein Kommentar zum Heft 2 (2022) der Berliner Debatte Initial mit dem Titel „Neue Geldpolitik“.

2017 kritisierte ich das Buch von Dirk Ehnts „Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive“ (Marburg 2014) und bemängelte 49 (!) zum Teil gravierende theoretische Fehler und empirische Irrtümer.1 Im Forum „Ökonomenstimme“ veröffentlichte ich mehrere Kritiken, die einzelne Thesen des Autors aufgriffen. Dort fand eine intensive Diskussion mit oft mehreren hundert Kommentaren statt, die von Herrn Ehnts sicherlich nicht unbemerkt geblieben ist, da er dieses Forum selbst nutzt. Auch im Ehnts-freundlichen Wirtschaftsdienst durfte eine Kritik an der MMT veröffentlicht werden, auf die er ausnahmsweise sogar reagierte.2 Schließlich schrieb ich und veröffentlichte 2018 ein ganzes Buch, in dem die Kritik der MMT an gängigen Thesen der modernen Geldtheorie zurückgewiesen wird.3

Im Frühjahr 2022 interviewten Ulrich Busch und Rainer Land den Autor. Dort stellt Dirk Ehnts unverfroren und unwidersprochen fest: „Bei den Staatsausgaben sind wir noch nicht so weit, aber eine Kritik an unserer Sicht der Dinge wäre mir nicht bekannt.“4

Mehr oder weniger fundierte Kritik an der deutschen und der amerikanischen Version der MMT gab es selbstverständlich nicht nur von mir, und sie ist auch in jenem Heft zur „Neuen Geldpolitik“ zu finden. Autoren, die sich kritisch zur MMT geäußert haben, werden sich sicherlich freuen, von Ehnts so eingeschätzt zu werden: „Viele lesen ein oder zwei Artikel, die oft noch nicht mal von uns verfasst wurden, und schreiben dann einen Artikel über die MMT.“ (S.107)

Dirk Ehnts erklärt, dass die MMT in Europa bereits gravierende Fortschritte erzielt hat, um die Geld- und Finanzpolitik zu beeinflussen. Er lobt die Geldpolitik der EZB: „Ebenfalls sehr weit gekommen ist die MMT mit ihrer Einsicht, dass die Zentralbank über die Ankäufe die Liquidität und Solvenz der nationalen Regierungen in der Eurozone sicherstellen kann. Die Höhe der Staatsverschuldung und die Höhe von Zins und Wachstumsrate sind dabei irrelevant. Die griechische Regierung hat so die Pandemie gut überstanden, trotz eines Schuldenstandes von mehr als 200 Prozent des BIP. Das waren 50 Prozent mehr als 2010, am Beginn der Eurokrise. Die EZB versteht jetzt, dass sie die nationalen Regierungen unterstützen muss. Die Zinsdifferenzen … dürfen nicht zu hoch werden und die EZB hat das seit 2012 unter Mario Draghi verstanden. Inzwischen sagt sie das auch mehr oder weniger offen. In meinem Buch zur Geldschöpfung in der Eurozone, das zuerst 2014 erschienen ist, hatte ich in jeder Auflage gefordert, dass die EZB diese Rolle annehmen muss.“ (S.105 f.)

Zwar ist nicht anzunehmen, dass Herr Draghi die Broschüre von Dirk Ehnts gelesen oder sich gar danach gerichtet hat, aber es ist festzuhalten, dass die geschichtsvergessene Modern Monetary Theory den Zeitgeist ausdrückt, worauf auch der publizistische Erfolg des Autors zurückzuführen ist.

Die wichtigste Aufgabe der EZB, nämlich die Inflation mit Hilfe der Zinspolitik in Grenzen zu halten, spielt bei Ehnts keine Rolle mehr, denn nach seiner (auch von Fritz Helmedag im gleichen Heft geteilten und sogar mit Hilfe seines längst widerlegten „saldenmechanischen Modells“ begründeten) Meinung, ist eine Zentralbank dazu gar nicht in der Lage: „Niemand glaubt heute noch ernsthaft, dass die Leitzinsen der EZB einen sehr großen Einfluss auf die Wirtschaft haben,“ meint Ehnts. (S.105) Nun, zumindest offiziell glaubt der EZB-Rat und mit ihm fast alle seriösen Ökonomen an diesen Zusammenhang. Wie anders soll man die anhaltende Kritik an der Geldpolitik trotz steigenden Inflationsraten verstehen? Und wenn auch die EZB wie Dirk Ehnts glauben sollte, dass ihre Zinspolitik keinen großen Effekt auf die Volkswirtschaften hat, warum hat sie dann dem Mainstream in Sachen Geldpolitik nicht den Gefallen getan und die Zinsen um einen minimalen Schritt erhöht? Griechenland und Italien hätten dies sicherlich finanziell verkraftet, zumal sie ja massiv durch die EZB unterstützt werden.

Mangelhafte Faktenkenntnis ist in Ehnts Schriften schon immer die Grundlage gewesen, auf der sich seine Propaganda für die MMT vollzieht. Zum Glück für ihn schaut das breite Publikum nicht sehr oft in das reiche statistische Datenmaterial des Statistischen Bundesamtes. Ansonsten würde es sofort bemerken, wie falsch die Aussage ist, dass die jetzige „Sondersituation mit hoher Inflation … fast einzig und allein auf steigende Energiepreise und deren Folgen zurückgeht…“ (S.108) Im gleichen Heft findet man – anschaulich aufbereitet – eine Grafik, aus der hervorgeht, dass die Inflation Mitte 2021 begann, also ein halbes Jahr vor dem Ukraine-Krieg und der explosionsartigen Entwicklung der Energiepreise. (S.21) Dass sich die Inflation derartig heftig durchsetzt, ist der über 10 Jahre währenden lockeren Geldpolitik der EZB und anderer Zentralbanken dieser Welt zu verdanken. Es war keine Kunst, dies vorherzusagen. Fakt ist jedenfalls: Die Sparer werden durch Inflation schleichend enteignet, die Bezieher geringer Einkommen in Not gebraucht, der Schuldenberg der Staaten ohne deren Zutun abgebaut – und wir alle zahlen die Zeche für die Unterstützung überschuldeter Staaten, die nach wie vor von der Zentralbank gepampert werden.

Verweise

  1. MPRA-Paper 82759
  2. Beitrag im Wirtschaftsdienst
  3. Buch im Metropolis-Verlag
  4. Berliner Debatte Initial. 33. Jg. 2022, Heft 2. Neue Geldpolitik. S.107. Im Folgenden werden bei Verweisen auf diese Publikation nur die Seitenzahlen angegeben.

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