Klaus Müllers Replik kommentiert

Die Zeitschrift Z hat die letzte Runde des Disputs zwischen Klaus Müller und Georg Quaas für wert erachtet, in ihrem Internet-Archiv publiziert zu werden. Der Beitrag von Georg Quaas ist vorab bereits auf dieser Webseite erschienen. Hier der Link zu Müllers Entgegnung:

https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/de/article/4270.georg-quaas-verquere-werttheorie-ein-kommentar.html

Da nicht anzunehmen ist, dass die Redaktion eine Fortsetzung der Diskussion bis zur Klärung der strittigen Fragen erlauben wird, ist hier Müllers öffentlich verfügbare Entgegnung mit kommentierenden Richtigstellungen versehen worden. Müllers Entgegnung wird namentlich und mit Anführungszeichen kenntlich gemacht.

Klaus Müller: „Georg Quaas‘ verquere „Werttheorie“ – ein Kommentar

von Klaus Müller

Quaas behauptet, dass der Wert einer Ware das Produkt aus dem Kompliziertheitsgrad der Arbeit und der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit sei.[1] Dafür gibt es im Marxschen Werk keinen Beleg, weil Marx im Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeit bereits die Reduktion komplizierter auf einfache Arbeit unterstellt. (MEW 23: 59, 204, 211-213).“

Richtig ist, dass Marx den Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit einführt, ohne auch nur anzudeuten, dass es einen Grund geben könnte, zwischen komplizierter und einfacher Arbeit zu unterscheiden:

„Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen. (MEW 23: 53)

Erst sechs Seiten später, nachdem Marx den Zusammenhang zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit und Wert, Produktivkraft und Wert und vor allem zwischen Gebrauchswert und Wert ausführlich erläutert hat, weist er auf den Unterschied zwischen einfacher Durchschnittsarbeit und komplizierte Arbeit hin. (MEW 23: 59:)

„Der Wert der Ware aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeit überhaupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Bankier eine große, der Mensch schlechthin eine sehr schäbige Rolle spielt…, so steht es auch hier mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt. Die einfache Durchschnittsarbeit selbst wechselt zwar in verschiednen Ländern und Kulturepochen ihren Charakter, ist aber in einer vorhandenen Gesellschaft gegeben. Komplizierte Arbeit gilt nur als potenzierte oder vielmehr multiplizierte einfache Arbeit, so dass ein kleineres Quantum komplizierter Arbeit gleich einem größeren Quantum einfacher Arbeit.“ (MEW 23: 59)

Der letzte Satz beinhaltet den von Müller nicht zur Kenntnis genommenen Beleg dafür, dass man die Zeit, in der komplizierte Arbeit verrichtet wird, mit einem höheren Gewicht versehen muss als die Zeit, in der einfache Arbeit geleistet wird. Mathematisch gesehen handelt es sich um einen Proportionalitätsfaktor, der Wertgröße und Arbeitszeit verbindet und je nach Kompliziertheit der Arbeit unterschiedlich wichtet. Erst aufgrund dieser Wichtung ist die Reduktion komplizierter auf einfache Arbeit möglich. Marx fährt unmittelbar nach dem obigen Zitat fort:

„Dass diese Reduktion beständig vorgeht, zeigt die Erfahrung. Eine Ware mag das Produkt der kompliziertesten Arbeit sein, ihr Wert setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quantum einfacher Arbeit dar.“ (MEW 23: 59)

Bei dieser qualitativen Gleichsetzung darf aber nicht übersehen werden, dass bei einem wertgleichen Tausch das Produkt von beispielsweise drei Stunden einfacher Arbeit gegen das Produkt einer Stunde komplizierter Arbeit getauscht wird. Da Marx bei diesen Überlegungen immer von der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit spricht, ist klar, dass Wert und gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit nicht dasselbe sein können.

Bis zur Seite 59 konnte Marx aus naheliegenden Gründen die Reduktion komplizierter auf einfache Arbeit nicht unterstellen. Es ist also eine offensichtliche Fälschung, wenn Müller behauptet, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit würde die Reduktion von komplizierter auf einfache Arbeit unterstellen. Die Behauptung, es gäbe bei Marx keinen Beleg für einen multiplikativen Zusammengang zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit und Wert, ist zwar keine Fälschung, aber offensichtlich falsch.

Klaus Müller: „Es findet sich dort auch keine Stelle, aus der hervorginge, dass Marx der Meinung gewesen sei, dass der Wert keine gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit ist.“

Es gibt nicht nur eine Stelle, aus der hervorgeht, dass Marx begrifflich zwischen Wert und gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit unterscheidet, sondern Dutzende! Das gesamte „Kapital“ ist ein Beleg dafür, denn Marx verwendet ständig diese Begriffe und erläutert ihren Zusammenhang. In Z 128 habe ich bereits darauf hingewiesen, dass ganze Passage im „Kapital“ völlig sinnlos wären, wenn „Wert“ und „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ dasselbe bezeichnen würden. Ein Beispiel: „Der Wert einer Ware verhält sich zum Wert jeder andren Ware wie die zur Produktion der einen notwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion der anderen notwendigen Arbeitszeit.“ (MEW 23: 54) Dieser Satz wäre eine grobe Irreführung der Leser und Leserinnen, wenn es sich um eine nichtssagende Tautologie handeln würde. Müller sollte sich endlich ernsthaft den von mir dort aufgeworfenen Fragen stellen: Warum kreiert Marx überhaupt eine Wertrechnung und keine, dem Praktiker viel leichter verständliche Arbeitszeitrechnung? Warum werden in der für das Marx’sche Werk zentralen Theorie des Mehrwerts die Warenwerte (unter Voraussetzung einer Identität von Wert- und Preisrelationen) in Pfund Sterling angegeben, und parallel dazu die entsprechenden (als gesellschaftlich notwendig angenommenen) Arbeitszeiten? (MEW 23: 226 ff.) Müsste man dann nicht zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die Arbeitszeiten als Preise erscheinen? Und wie weit ist es von da noch bis zu der Theorie, dass sich die Warenwerte in Löhne auflösen? (Vgl. dazu MEW 26.1: 69 ff. sowie MEW 25: 830 ff. und MEW 24: 372)

Klaus Müller: „Ergo muss Quaas, um seine gegenteilige Auffassung zu bekräftigen, die Marxschen Aussagen in seinem Sinne umdeuten. Marx sagt, „ein Gut (habe) nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist. Wie nun die Größe seines Werts messen? Durch das Quantum der in ihm enthaltenen ‚wertbildenden Substanz‘ der Arbeit. Die Quantität mißt sich an ihrer Zeitdauer, und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren Maßstab an bestimmten Zeitteilen, wie Stunde, Tag usw.“ (MEW 23: 53) Dabei ist nicht die individuelle Arbeitszeit, sondern die gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit gemeint. (ebenda und MEW 23: 210)“

Wider besseres Wissen erzeugt Müller hier den Eindruck, ich würde die individuelle Arbeitszeit mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit verwechseln. Vor Jahren hat er mein Buch „Die ökonomische Theorie von Karl Marx“ noch wohlwollend rezensiert. Offenbar hat er entscheidende Kapitel – in diesem Fall den Abschnitt 3.6 „Die Reduktion auf gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ überlesen.

Klaus Müller: „Quaas bringt das Kunststück fertig, die klare Aussage in ihr Gegenteil zu verkehren: Die Wertgröße müsse anders als durch Arbeitszeit definiert werden.“

Marx sagt auch in diesem Zitat Müllers keineswegs, dass der Wert dasselbe ist wie die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Eine solche Aussage würde jede inhaltliche Behauptung über den Zusammenhang zwischen dem Maß an geleisteter Arbeit und dem Wert zunichte machen. Für jeden Werttheoretiker ist der Wert eine (gesellschaftliche) Eigenschaft von Waren und damit klar verschieden von eventuellen Determinanten, die die Wertgröße bestimmen. Arbeitswerttheoretiker wie Petty, Smith, Ricardo und Marx behaupten, dass die Arbeitszeit die entscheidende Determinante des Warenwerts ist. Marx präzisiert diese theoretische Tradition in mehrfacher Hinsicht, unter anderem durch die Einführung des Begriffs „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“. Der deterministische Zusammenhang zwischen dem Wert und der gesellschaftlichen Arbeitszeit spielt eine derart zentrale Rolle in seiner ökonomischen Theorie, dass er die obige Aussage im „Kapital“ Dutzende Male wiederholt, um selbst bei verwickelten Zusammenhängen den grundlegenden arbeitswerttheoretischen Ansatz zur Erklärung heranzuziehen. Das hätte überhaupt keinen Sinn, wenn es sich, wie Klaus Müller meint, um eine Definition handeln würde. Definitionen legen den Sprachgebrauch fest, sagen ansonsten nichts aus über die Realität. Müllers Interpretation macht aus einer Kernaussage des Arbeitswerttheoretikers Marx eine fruchtlose, lendenlahme Definition, die Teile des „Kapitals“ als Geschwätz eines vergesslichen Akademikers abstempeln.

Klaus Müller: „Eindeutige Belege aus dem Marxschen Werk erklärt er kurzerhand für irrelevant, wenn sie ihm nicht passen, so die Aussage, dass „der in der Ware enthaltene Wert gleich der Arbeitszeit (ist), die ihre Herstellung kostet…“ (MEW 25: 52). Dabei wird der Satz aus Band 3 inhaltlich bestätigt durch die werttheoretischen Aussagen des ersten Kapitalbandes, auch wenn er dort nicht wörtlich auftaucht.“

Dieser Satz taucht nicht auf, weil er ungenau ist und Marx ihn Jahre später präziser formuliert.

Klaus Müller: „Marx präzisiert ihn, indem er im Band 1 wiederholt betont, dass der Wert die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist, während in dem zitierten Satz aus dem dritten Band auch die individuelle Arbeitszeit gemeint sein könnte. (MEW 23: 59, 65, 68, 72, 121f, 184f, 201, 203, 576)“

Es gibt nicht einen (!) Beleg dafür, dass der Wert für Marx die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist, sonst hätte Müller ihn mal genannt.

Klaus Müller: „Als Grund für die angebliche Irrelevanz der Aussage gibt Quaas an, Marx habe keine Theorie geschaffen, die auf definitorischen Wahrheiten beruhe. Mit anderen Worten: Quaas lehnt die Marxsche Definition des Werts ab. Er sagt: „Eine Messung wäre nicht einmal vorstellbar, geschweige denn möglich, wenn Arbeitszeit und Wert identisch wären.“ Doch, die Messung ist möglich: Der Wert wird gemessen, indem die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ermittelt wird, die zur Produktion der Ware nötig ist.“

Es ist ganz einfach: Man kann keine Größe mit sich selber messen. Das Maß für Leinwand ist bei Marx die Elle, das Maß des Werts ist die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Maß und Gemessenes sind jeweils verschiedene Objekte.

Klaus Müller: „Quaas wirft mir vor, ich verwechsele die Begriffe Arbeit und Arbeitszeit, betrachte beide als identische Objekte. Er glaubt, mir ins Stammbuch schreiben zu müssen, dass die Arbeit nicht gleich Arbeitszeit sei. Die mir unterschobene Auffassung…“

Untergeschoben? Müller lese seinen eigenen Text in Z 130!

Klaus Müller: „Die mir unterschobene Auffassung wird noch übertroffen durch die hanebüchene Unterstellung, ich zweifele daran, dass der Wert ein Merkmal der Waren ist. Natürlich ist die Arbeit nicht gleich Arbeitszeit, aber die Menge an Arbeit wird in Arbeitszeit gemessen. Ohne Arbeit keine Arbeitszeit. Nichts anderes sage ich und nichts anderes steht im „Das Kapital“.“

Darüber gibt es keinen Streit. Daraus folgt: Die Arbeitszeit (und damit auch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit) ist eine Eigenschaft der lebendigen Arbeit und des Arbeitsprozesses, und der Wert ist eine Eigenschaft der Ware, eines sinnlich ordinären Dinges mit einer gesellschaftlichen Bedeutung. Jeder Mensch mit einem klaren Verstand wird anerkennen müssen, dass diese beiden Objekte nicht identisch sein können.

Klaus Müller: „Quaas gibt mir, ohne es zu merken, teilweise recht, indem er sich widerspricht. Er meint, „Arbeitszeit, die nicht als Arbeitszeit existiert, ist natürlich etwas anderes als Arbeitszeit. Aber was? Die Antwort liegt klar auf der Hand, auch wenn Müller sich darunter nichts vorstellen kann: ‚Wert‘.“ Quaas sagt hier zum wiederholten Mal, dass der Wert etwas anderes als Arbeitszeit sei. Was Wert ist, wenn er keine Arbeitszeit ist, sagt er nicht.“

Das Zitat stammt aus einer früheren Version des „Kapital“. Es zeugt davon, dass Marx noch um die richtige Begrifflichkeit ringt. Dort kann man also noch keine Definition des Werts finden. In meiner Replik habe ich ausführlich dargestellt, wie Marx im ersten Band des „Kapital“ den Wert definiert. Jedenfalls nicht in Form einer simplen Definition.

Klaus Müller: „Das ist keine Werttheorie, allenfalls eine verquere. Quaas‘ konfuse Auffassung kommt daher, dass er sich die Arbeitszeit nur als Zeit zweckmäßiger Tätigkeit vorstellen kann. Sein Satz müsste lauten: „Arbeitszeit, die nicht als fließende, vergehende Arbeitszeit existiert, ist natürlich etwas anderes als fließende Arbeitszeit.“ Ja, sie ist ruhende („geronnene“) Arbeitszeit, und genauso stellt sich Marx den Wert vor.“

Es gibt keine ruhende Zeit. Das ist Mystizismus der ärgsten Sorte. „Arg“, weil dieser Unsinn Marx unterstellt wird, der sich stets um höchste Klarheit bemüht hat.

Klaus Müller: „Quaas zitiert zwar Passagen, wo Marx den Wert als vergegenständliche, gesellschaftlich notwendige Arbeit bezeichnet (die in Zeit gemessen wird!), und doch behauptet er, dass der Wert keine Arbeit und keine Arbeitszeit sei, weil es für ihn Arbeit nur in Aktion gibt. Er will nicht akzeptieren, dass der Wert der Ware materialisierte (angehäufte) abstrakte Arbeit im gesellschaftlich notwendigen Umfang ist, der in Zeit gemessen wird. Wert ist Arbeit nicht als Tätigkeit, sondern als Ergebnis von Tätigkeit, ist eine „ruhende Eigenschaft“. (MEW 23:195)“

Inhaltlich völlig d’accord. Wieso akzeptiere ich das nicht?

Klaus Müller: „Meine mathematische Idee…“

Müller hat eine mathematische Idee? Das hätte ich sicherlich nach einer sich über Jahre erstreckenden Diskussion bemerkt. Vorstellungen, die man mit wenigen Federstrichen als absurd aufzeigen kann, sind sicherlich weder Ideen noch mathematisch.

Klaus Müller: „Meine mathematische Idee, dass das Produkt aus der tatsächlichen geleisteten Durchschnittsarbeit mit ihrem Kompliziertheitsgrad die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ergibt, bezeichnet Quaas als „eine reine Erfindung.“ Sie stünde im “Widerspruch zu der von Marx wiederholt niedergelegten Auffassung, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeit anhand der Zeit (Tag, Stunde etc.) gemessen werden muss.“ Nein, sie ist kein Widerspruch zu dieser Auffassung, sondern der einzig mögliche Weg, unterschiedlich komplizierte Arbeiten in einfache Arbeiten umzurechnen, die Marx bei der Bestimmung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit stets unterstellt. Wie schwer der praktische Vollzug auch immer sein mag.“

Dieser angebliche Weg ist eine Sackgasse und eine reine Erfindung Müllers, weil sie nichts mit Marx‘ Text zu tun hat. Wenn nach Marx der Kompliziertheitsgrad in die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit eingehen sollte, dann hätte er das beim Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit gesagt. Außerdem führt ein solcher Ansatz zu logischen Widersprüchen. Der Kompliziertheitsgrad kann nun mal nicht mit einer Uhr gemessen werden, wie Marx es bei der Arbeitszeit fordert, deshalb hat er nichts im Begriff der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zu suchen. Ich habe Klaus Müller wiederholt aufgefordert, „seine Idee“ mathematisch auszuformulieren, dann würde er selbst sehen, dass sie nichts taugt.

Klaus Müller: „Mir scheint, ein Grund für die falsche Wiedergabe der Marxschen Werttheorie durch Quaas liegt in der semantischen Auslegung des Verbs „bestimmen“. Er legt das Wort „bestimmen“ deterministisch aus: Wer oder was (anderes) bestimmt, könne nicht zugleich das andere, das zu Bestimmende sein. Ergo: die (gesellschaftlich notwendige) Arbeitszeit bestimme den Wert der Ware, könne folglich nicht selbst der Wert sein. Aber das Wort „bestimmen“ kann man nicht nur im deterministischen Sinne verstehen. Es hat auch die Bedeutung von „angeben“, „benennen“, „nennen“, „beziffern“, „offenbaren“ …. Das sind keineswegs, wie Quaas meint, „umgangssprachliche“, für wissenschaftliche Diskussionen ungeeignete Auslegungen. Akzeptiert man sie, dann kommt man zu einer anderen, in der marxistischen Community weithin akzeptierten Interpretation der Marxschen Sätze: Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit gibt den Wert der Ware an, sie beziffert ihn, offenbart ihn, sie ist die Wertgröße. Diese Deutung der Marxschen Wertbestimmung ist für Quaas eine „lendenlahme Definition“, eine „nichtssagende Tautologie“.“

Darüber ist in meiner Replik alles gesagt worden. Müller wiederholt hier nur, was längst widerlegt ist. Dass die Proportionalität zwischen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit und Wertgröße eine nichtssagende Tautologie ist, wenn beide identisch sind, liegt für jeden klar denkenden Menschen auf der Hand. Müller vermeidet es hartnäckig, sich zu diesem Argument zu äußern. Wenn der Wert durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit definiert werden würde, ist die Kernaussage der Marxschen Arbeitswerttheorie eine bloße Sprachregelung, die über die Realität nichts mehr aussagt. Fruchtlos, lendenlahm, ein bloßes Sprachspiel – was auch immer, jedenfalls keine gehaltvolle Theorie.

Klaus Müller: „Quaas‘ Antwort enthält mehr Strittiges und Absurdes, auf das in einem Kurzkommentar nicht eingegangen werden kann. Deshalb nur ein Letztes. Er behauptet, meine Darstellung des Systems der Arbeitswerte durch die Berechnung der vollen Arbeitszeit mit Hilfe der Input-Output- Rechnung sei „schräg“. Weiß Müller nicht, „dass die Berechnung der Arbeitswerte auf der Grundlage des Arbeitseinsatzes mit Hilfe der Input-Output-Rechnung eine neoricardianische Theorie ist?“ Ich frage zurück: Weiß Quaas nicht, dass die Marxschen Reproduktions-Modelle mühelos in Form von Input-Output-Modellen geschrieben werden können? Ist er der Meinung, dass Methoden per se falsch sind, weil auch Neoricardianer sie anwenden? Input-Output-Modelle eignen sich für Arbeitszeitrechnungen und die Darstellung stofflicher Verflechtungen zwischen den Produktionsbereichen gleichermaßen.“

Hier meine Antwort: Müller könnte wissen, dass ich in meinem Buch „Arbeitsquantentheorie“ von 2001 die IO-Methode auf die Marxsche Werttheorie umfassend und detailliert angewandt habe. 2016 habe ich mich aus philosophischen Gründen von diesem Ansatz verabschiedet, weil er voraussetzt, dass es vier separate Sphären in der Ökonomie gibt: die physische Struktur, die Struktur der Werte, die Struktur der Produktionspreise und die der Marktpreise. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die Annahme einer von den Preisen unterschiedenen Wertestruktur ein objektiv-idealistischer (platonistischer) Ansatz ist, den man dem Materialisten Marx nicht unterstellen sollte. In dem Buch „Die ökonomische Theorie von Karl Marx“ zeige ich auf, wie im „Kapital. Erster Band“ die Strukturen von Wertbildung und Wertübertragung im Produktionsprozess von Waren mit dem Mechanismus der Preisbildung auf den Märkten verzahnt sind. Die Unterstellung separater, wenn auch miteinander verbundener Sphären (und damit das sog. Transformationsproblem) ist damit hinfällig geworden.

Klaus Müller: „Fazit: Ich bin Georg Quaas dankbar, dass er sich die Mühe macht, auf meine Kritik seiner werttheoretischen Auffassungen zu antworten. Meine Einwände weist er zurück. Sie seien „irrelevant“, „schräg“, „reine Erfindungen“, „lendenlahme Definitionen“ und „nichtssagende Tautologien“. Herablassende Urteile aber, lieber Georg Quaas, sind keine Sachargumente, geschweige denn, ernst zu nehmende.“

Ein Mensch, der eine langjährige Freundschaft und produktive Zusammenarbeit aufkündigt, weil er nicht die Geduld und Fassungskraft besitzt, einer ins Detail gehenden Diskussion und Argumentation zu folgen, hat das Recht verloren, anderen moralische Ratschläge zu geben. Setzt man jene angeblich „herablassenden Urteile“ wieder ein in den Zusammenhang, in dem sie getroffen worden sind, wird man leicht erkennen, dass sie sachlich vollauf berechtigt sind. Mein Fazit: Müllers Arbeitszeitrechnung hat nichts mit Marx Arbeitswerttheorie zu tun.

Leipzig, den 2. Mai 2024

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