Friedrun & Georg Quaas, 20.01.2021
Für bekennende Europäerinnen und Europäer ist es eine Frage der Solidarität, das national benötigte Impfkontingent gemeinsam mit den anderen EU-Ländern zu bestellen. Die Rahmenbedingungen werden dabei konsensual festgelegt. So hatten osteuropäische Sparfüchse Probleme mit dem Preis1 und darüber hinaus mit der notwendigen Kühlung des Impfstoffes von Biontech-Pfizer. Nationale wirtschaftspolitische Interessen sollen den Ausschlag gegeben haben, bei einem bislang noch nicht erfolgreichen französischen Unternehmen 300 Mio. Impfdosen zu bestellen. Nach Aussagen des Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach waren die Verhandlungen der EU durch die Tatsache belastet, dass für die Vorverträge lediglich eine Summe von 2 Mrd. Euro zur Verfügung stand. „Trump hat zum gleichen Zeitpunkt 12 Mrd. Dollar eingesetzt“, so Lauterbach in „Hart aber fair“ (im Weiteren: HaF).2
Dass der Preis beim Bestellen sehr großer Mengen durch die öffentliche Hand eine gewichtige Rolle spielt, steht außer Frage. Die Verhandlerinnen der Europäischen Union haben das im Juni 2020 erfolgende Angebot von Biontech über 500 Mio. Dosen ausgeschlagen (Malcher 14.01.2021) und im Laufe von 4 Monaten durch Abwarten und Verhandeln den Preis gedrückt. Offiziell gibt es keine Auskunft über dessen Höhe. Ein ranghoher EU-Beamter habe gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters durchsickern lassen, man zahle weniger als die USA. Der Deal spiegele teilweise die finanzielle Unterstützung der EU (Kredit über 300 Mio. Euro) und Deutschlands (Investitionszuschuss über 375 Mio. Euro, Lau et al. 14.01.2021) für die Entwicklung des Impfstoffs wider. Allerdings liege er deutlich über der 10-Euro-Marke. (Manager Magazin 13.11.2020, im Folgenden MM) Berichtet wird von einer belgischen Staatssekretärin, die öffentlich gemacht habe, dass eine Dosis des Vakzins von Biontech-Pfizer 12 Euro koste,3 das Mittel von AstraZeneca nur 1,78 Euro. (tagesschau.de 28.12.2020)4
Die EU hat sich am 11.11.2020 bis zu 300 Millionen Dosen gesichert, wovon Deutschland anteilig rund 56 Millionen Dosen zustehen, ausreichend für 28 Millionen Menschen. Biontech-Pfizer will 2021 weltweit bis zu 2 Mrd. Dosen Impfstoff ausliefern, davon 1,3 an die EU. Ein Großteil davon ist durch die bisher abgeschlossenen Abkommen mit verschiedenen Staaten ausgebucht. (MM 13.11.2020) Nach Aussagen des FDP-Politikers Volker Wissing (HaF) bestand für Deutschland die Möglichkeit, neben der EU eine eigene Bestellung abzugeben, ohne das EU-Kontingent zu schmälern. Es wird vermutet, dass die Bundesregierung aufgrund einer umstrittenen bilateralen Vereinbarung mit Biontech über zusätzlich 30 Mio. mit 90 bis 100 Mio. Impfdosen rechnet. (MM 13.11.2020)5
Bestellung ist zumeist mit Vorkasse verbunden. Auch wenn der Impfstoff gar nicht zugelassen wird, muss er bezahlt werden (Lauterbach in HaF). Frühzeitiges Bestellen bei Firmen, die schon im 3. Quartal 2020 die ersten Testphasen durchlaufen hatten (nach Frauke Zipp: Biontech, CureVac, Moderna, AstraZeneca), hat es den Unternehmen ermöglicht, Impfdosen massenhaft vorzuproduzieren. Donald Trump hat bereits im Sommer massiv bei Biontech und Moderna bestellt (Kontraste 14.01.2021: 600 Mio. Dosen) und bis Mitte Januar 2021 bereits 30 Millionen Dosen erhalten (CNN 14.01.2021). Ähnlich agierte Borris Johnson. Dadurch war es möglich, dass die USA, das United Kingdom und Israel in kurzer Zeit massiv beliefert wurden – Israel trotz später Bestellung am 13.11.2020, aber aufgrund eines fast doppelt so hohen Preises. (Lau et al. a.a.O., MM 13.11.2020)
Tagesschau.de (28.12.2020) berichtete, dass Deutschland mit Biontech-Pfizer und Moderna Verträge über die Lieferung von 136,3 Millionen Impfdosen abgeschlossen hat und diese nahezu komplett im laufenden Jahr geliefert werden sollen. Dieser vertraglich zugesicherte Impfstoff würde rechnerisch für 68,2 Millionen Menschen reichen. Für eine Herdenimmunität (60-70%) würde das gerade genügen, aber die wäre nach Lieferung des letzten Impfstoffes – und das kann Ende Dezember 2021 sein – erreicht. Die EU soll bis zum September 2021 zwei Drittel (200 Millionen) geliefert bekommen. Dazu kommen sukzessive 160 Mio. bei Moderna bestellte Dosen (Lauterbach in HaF). Für diese Bestellungen hängt die Lieferung von den Produktionskapazitäten ab. Sie erfolgt nicht nur viel später als in den genannten drei Ländern, sondern angesichts der rund 450 Millionen Menschen in den EU-Staaten auch in zu geringer Menge. Zwar gibt es Hoffnung darauf, dass die Zulassungen der Vakzine von AstraZeneca, Curevac, Sanofi-GSK und Johnson & Johnson, bei denen die EU weitere 400 Millionen bestellt hat, bald erfolgen wird, aber sicher ist das nicht.
Am 13.01.2021 veröffentlicht Lars Petersen im Business Insider eine Übersicht über die in Deutschland zu erwartenden Lieferungen von Moderna und Biontech bis zur 8. Kalenderwoche. Das Ergebnis ist ernüchternd: Es handelt sich bis Ende Februar um 6,4 Millionen Dosen für rund 8,6 Impfberechtigte allein in der obersten Prioritätengruppe. Selbst diese Zahlen dürften durch Lieferschwierigkeiten (PZ 15.01.2021) obsolet geworden sein.
Jens Spahn behauptete am 13.01.2021 im deutschen Bundestag, die zu geringen Liefermengen seien durch die Produktionskapazitäten und nicht durch die Bestellung verursacht. Angesichts dessen, dass in den USA ganze Kolonnen von Lastwagen den Impfstoff verteilen und im Land der Entwickler nur ab und zu mal ein kleinerer Lieferwagen ankommt, ist diese Behauptung nicht sehr glaubhaft. Frühzeitige Bestellung hätte die Produktionslänge erweitert und mehr Impfstoff hätte nach Zulassung geliefert werden können. Ein höherer Preis hätte zu einer anderen Verteilung geführt. Die kolportierte ursprüngliche Vorstellung des Gesundheitsministers, dass der in Deutschland entwickelte Impfstoff auch zuerst in Deutschland angeboten werden müsse, stieß angeblich nicht auf die Zustimmung der Kanzlerin. Angela Merkel sprach in Anlehnung an Uno-Generalsekretär António Guterres schon im Sommer davon, dass der Impfstoff ein „globales öffentliches Gut“ werden müsse. Auch die WHO mahne, „Impfstoffnationalismus“ zu vermeiden, um den Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie nicht zu gefährden. (MM 13.11.2020)
Angesichts eines mehrere hundert Milliarden Euro umfassenden Corona-Hilfsprogramms der EU darf man fragen, warum geknausert und gefeilscht worden ist, wenn es um die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung geht. Man hätte richtig Geld in die Hand nehmen und im Sommer 2020 bei mehreren Firmen je 500 Mio. Dosen (je 2 für 60 Prozent der Bevölkerung) bestellen müssen. Bei einem Preis von 23 EUR, den Israel gezahlt hat (FAZ vom 02.01.2021), sind das 11,5 Milliarden je Firma. Wenn man bei den 3 oder 4 Favoriten bestellt hätte, also weniger als 50 Mrd. Euro. Wäre das Geldverschwendung gewesen? Wenn man bedenkt, dass allein die deutsche Regierung 2020 mehr als 200 Mrd. Euro an Stützungsmaßnahmen ausgegeben hat – eine Lappalie. Tausende Menschenleben hätten gerettet werden können. Der wirtschaftliche und kulturelle Schaden wäre wesentlich geringer gewesen. Die eventuell überflüssigen Impfdosen hätte man an bedürftige Länder verschenken können. (Brinkmann 10.01.2021)
Quellen
Brinkmann, Viola in der Sendung „Anne Will“ der ARD 10.01.2021.
Cable News Network 14.01.2021.
FAZ 02.01.2021: Wie schafft Israel das rasante Tempo beim Impfen?
„Hart aber fair“, Sendung der ARD 04.01.2021.
Lauterbach, Karl in „HaF“.
Malcher, Ingo in der Sendung „Kontraste“.
„Kontraste“, Sendung der ARD 14.01.2021.
Manager Magazin (MM) 05.08.2020: Impfstoff-Disruptor Bancel verspricht „Preis unter Wert“.
MM 10.11.2020: Biontech kann auf fast zehn Milliarden Euro hoffen.
MM 13.11.2020: Biontech und Pfizer liefern Impfstoff in drei Preisklassen aus.
Petersen, Lars: Diese internen Listen zeigen, wie viel Impfstoff in Deutschland in den nächsten Wochen in Eurem Bundesland ankommt, Business Insider 13.01.2021.
Lau, Mariam; Ingo Malcher, Mark Schieritz 14.01.2021, DIE ZEIT Nr. 3, S. 9.
Pharmazeutische Zeitung (PZ) 15.01.2021: Massive Lieferengpässe beim Biontech/Pfizer-Impfstoff erwartet.
Spahn, Jens 13.01.2021: Rede im deutschen Bundestag.
tagesschau.de 28.12.2020: Wer, wann und wo – alles zum Impfen.
transkript.de 21.12.2020: Politikerin leakt Preise für Impfstoffe in der EU.
Wissing, Volker in „HaF“.
Zipp, Frauke 03.01.2021, auf SWR 1, RLP.
1) Biontech-Pfizer bietet den Impfstoff in drei verschiedenen Preisklassen an. (Manager Magazin 13.11.2020, im Weiteren: MM) Unterschieden wird dabei zwischen zahlungskräftigen Ländern, Ländern mit mittlerem Einkommen und Ländern mit geringen finanziellen Mitteln – diese sollen den Impfstoff deutlich günstiger bekommen als Industrieländer. Für die erste Charge lag der Preis für Industrieländer bei 19,50 US-Dollar, also 39 US-Dollar für einen Patienten, da zweimal geimpft werden muss. Moderna hatte bereits im Sommer erklärt, dass es im Preis über den von den USA avisierten rund 20 Dollar je Dosis liegen würde. Die bis August schon abgeschlossenen Liefervereinbarungen (z.B. mit der Schweiz) liegen zwischen 32 und 37 Dollar je Dosis. Das bezeichnete das Unternehmen als „Preis weit unter dem Wert“. (MM 05.08.2020)
2) Die USA haben mit Biontech-Pfizer im Juli einen Vertrag über 100 Millionen Dosen (mit einer Option auf weitere 500 Mio.) abgeschlossen, durch den der Preis von 19, 50 Dollar pro Dosis Impfstoff (etwa 16,50 EUR) als „Benchmark“ gesetzt wurde, d.h., die Unternehmen wollten nicht darunter verkaufen. Eine Dosis von AstraZeneca soll dagegen nur rund 2,50 Dollar kosten, dafür haftet AstraZeneca aber auch nur sehr begrenzt, wenn durch die Impfung Komplikationen auftreten sollten. (MM 13.11.2020)
3) Nach Lau et al. 15,50 Euro.
4) Die Information bezieht sich vermutlich auf eine inzwischen wieder gelöschte Twitter-Nachricht, von der es aber einen Screenshot gibt. „Spitzenreiter auf dieser Preisliste ist Moderna mit 18 US-Dollar, gefolgt von Biontech-Pfizer mit 12 Euro und Curevac mit 10 Euro. Zudem sind Preise von Sanofi-GSK (7,56 Euro), Johnson & Johnson (8,50 US-Dollar) und AstraZeneca (1,78 Euro) genannt. Ein US-Dollar kostet derzeit etwa 0,82 Euro (Interbankenkurs vom 21.12.2020).“ (transkript.de)
5) Welche Mengen Deutschland tatsächlich bestellt hat, ist nicht ganz eindeutig. Der Business Insider veröffentlichte eine Übersicht mit Impfstoff-Kontingenten, die sich Deutschland gesichert haben soll. „Von AstraZeneca knapp 56,3 Millionen, Johnson & Johnson knapp 37,3 Millionen und Biontech-Pfizer knapp 39 Millionen… Angepeilt seien … von Moderna mindestens 15 Millionen, von Sanofi-GSK mindestens 56 Millionen und von Curevac mindestens 42 Millionen Dosen… Hinzu kämen national bestellte Kontingente.“ (transkript.de)
Diese Recherche zu einem im Januar 2021 in den deutschen Medien heiß diskutierten Thema wurde am 18.01.2021 eingereicht und am 26.01.2021 abgelehnt mit der Begründung, dass sie einen zu geringen Beitrag zum eigentlichen Themenbereich der Ökonomenstimme liefere – was immer das sein mag – und dass sie zu wenig neue Erkenntnisse biete. Keiner der genannten Sachverhalte wurde bereits auf jenem Forum publiziert.
Inzwischen ist eine erweiterte Fassung in den Arbeitspapieren der Universität Leipzig und bei ResearchGate erschienen. Auch auf diesem Blog nachzulesen (Beitrag vom 02.02.2021).