„Moderne Geldtheorie“ popularisiert

Der folgende Artikel wurde in der zweiten Kalenderwoche 2020 geschrieben und am 20. Januar bei „Ökonomenstimme“ eingereicht.
Der Eingang wurde von der Redaktion am folgenden Tag bestätigt. Inzwischen haben wir den 29. März 2020: Eine Pandemie ist hereingebrochen, und mit einer Veröffentlichung durch „Ökonomenstimme“ ist nicht mehr zu rechnen. Auch wenn sich zurzeit niemand für die Probleme der modernen Geldtheorie zu interessieren scheint – die praktische Problematik ungedeckten bzw. ungenügend durch werthaltige Papiere gedeckten Geldes wird sich im Zuge der Maßnahmen, die zur Stützung der Wirtschaft Allerortens zurecht getroffen werden, massiv verstärken. Deshalb fand ich es richtig, die folgenden Zeilen trotz – oder gerade wegen – der gewandelten Problemlage zu veröffentlichen. – Als Teaser war vorgesehen:

Die Modern Monetary Theory findet unter Ökonomen und Medienvertretern immer mehr Anhänger. Das Problem dabei ist: Es wird versucht, einer unausgereiften und noch nicht umfassend abgeklärten Theorie politischen Einfluss zu verschaffen. Angesichts der Verlockungen der MMT, die dringenden Probleme unserer Zeit mit billigem Geld zu lösen, ist zu erwarten, dass die Anhängerschaft weiter wachsen wird
Im Folgenden ein aktuelles Beispiel.

Die Modern Monetary Theory hat einen weiteren deutschsprachigen Vertreter gefunden, der diese Theorie jenseits des mit wissenschaftlichen Artikeln und Büchern gespickten akademischen Betriebes unters Volk bringt: Mark Schieritz, wirtschaftspolitischer Korrespondent der ZEIT und ehemaliger Leiter der Finanzmarktredaktion der Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland. Also kein Niemand. Aber auch kein Geldtheoretiker wie Dirk Ehnts, der schon seit Jahren eine vereinfachte Version dieser Theorie verbreitet – mit relativ großem Lese-Erfolg, wie man daran ersehen kann, dass sein Buch momentan bereits die dritte (überarbeitete) Auflage erlebt (Ehnts 2020) – eine Auflage, die angesichts der zahlreichen Fehler in der zweiten Auflage auch dringend angezeigt war (Quaas 2018: Kap. 9).

Während Ehnts als angehender Professor noch an gewisse akademische Regeln gebunden ist, scheint ein Journalist sich davon frei zu fühlen: Schieritz verschweigt in seinem neusten Artikel in der ZEIT die Quellen seiner Idee (Schieritz 2020). Doch diese sind für die Eingeweihten offensichtlich. Man erkennt sie an folgenden Charakteristika der geldtheoretischen Thesen:

1. Das (in seiner Rolle) ignorierte Kollateral: „Heute sind die Banknoten überhaupt nicht mehr durch Gold oder Silber gedeckt.“ (Schieritz 2020: S.14) Dass sie aber gedeckt sein müssen, nämlich durch hochliquide Wertpapiere, wird verschwiegen. Dadurch bleibt der Mechanismus der Geldschöpfung im Dunkeln und reduziert sich auf den technischen Aspekt des „Gelddruckens“.

Wie wird dieser Sachverhalt von einem der Väter der MMT reflektiert? Eric Tymoigne (2016: part 2) charakterisiert die hauptsächliche Deckung des Zentralbankgeldes etwas realitätsnäher als „promissory notes“, die zwar rechtliche Verbindlichkeit haben, deren ökonomischer Aspekt, nämlich Werte zu repräsentieren, bei ihm aber keine beachtenswerte Rolle spielt (Tymoigne 2016: part 2).

2. Ähnlich blickt man als Anhänger der MMT auf die Ebene der Geschäftsbanken: „Die Bank gewährt dem Schuhhersteller [der hier stellvertretend für einen beliebigen Unternehmer steht] den Kredit, weil sie damit rechnet, dass er das Darlehen aus den Einnahmen zurückbezahlt, die er mit dem Verkauf seiner Schuhe erzielt. Aber diese Schuhe existieren zum Zeitpunkt der Kreditvergabe nur als Idee im Kopf des Unternehmers.“ (Schieritz 2020: S.14)

Es müsste schon ein großer Schuhhersteller sein, über dessen finanziellen Verhältnisse die Bank Bescheid weiß, weil sie seit Jahren seine Hausbank ist, ansonsten dürfte seine tolle Geschäftsidee, Schuhe herzustellen, kaum ausreichen, um einen Kredit zu bekommen.

Dazu Tymoigne (2016: part 10): “What a bank does is to swap promissory notes with economic units and to make payments for them.”

3. Relativierung der Inflationstendenz ungedeckten Geldes: „Damit sich Papiergeld in neue Produkte verwandeln und auf diese Weise neue Werte schaffen kann, benötigt es einen Transformator, eine schöpferische Kraft: Das ist die menschliche Arbeit. Ist die nicht verfügbar, dann steht einer konstanten Menge an Gütern eine immer weiter steigende Menge an Geld gegenüber. Die Folge: Der Preis für das einzelne Gut steigt immer weiter. Nichts anderes ist Inflation.
Das Problem ist also das Drucken von Geld zum falschen Zeitpunkt. Nicht das Drucken von Geld an sich.“ (Schieritz 2020: S.15)

Die Frage, wer den richtigen Zeitpunkt bestimmt, wird durch das Merkmal 4 beantwortet:

4. Der (in geldpolitischen Fragen) souveräne Staat: „Wenn aber Banken und Unternehmen neues Geld schaffen können, um damit neue Dinge in die Welt zu bringen, dann kann das auch der Staat.“ (Schieritz 2020: S.14)

Das Problem ist nur: Die Staaten im Euroland sind geldpolitisch entmannt. Sie müssten aus dem Euro-Verbund austreten, um selber Geld schöpfen zu können (von Münzen einmal abgesehen). Wo, so darf man nicht nur Dirk Ehnts, sondern auch Mark Schieritz fragen, bleibt da die €-päische Perspektive?

5. Die Finanzierung sozialpolitischer Aufgaben: Sachlich wird der richtige Zeitpunkt für das Helikopter-Geld dadurch bestimmt, dass Arbeit und Kapital reichlich vorhanden sind, aber aus Geldmangel nicht produktiv zusammenkommen können. Dazu repetiert Schieritz am Ende seines Artikels eine schöne Keynes-Story, die allerdings auf Unternehmen, deren Kapital nicht aus geringwertigen Gütern wie Steine, Mörtel, Stahl und Beton besteht, kaum anwendbar ist.

Zwar könnte die Lücke zwischen Kapital und Arbeit auch durch Kredite gefüllt und müsste demnach nicht zwangsweise durch Gelddrucken überbrückt werden – aber dann wäre der ganze Artikel – gegenstandslos.

Tymoigne zum Finanzierungsproblem (2016: part 6): “…the social security problem is not a financial problem; social security cannot go bankrupt. There is no need for a trust fund, no need to put dollars in a locked box, no need for payroll tax. Social security benefits can be paid the day they are due just by typing a number on the computer. The funds will come from debiting the TGA [Treasury General Account – das Konto des Schatzamtes bei der Federal Reserve]. TGA will obtain funds directly or indirectly from the Fed.”

Mark Schiertz‘ außergewöhnlich umfangreicher Artikel ist um die geldtheoretischen Thesen herum gestrickt und mit reichlich Stoff gefüllt, um ihnen Plausibilität zu verleihen. Thematisiert werden: die Produktion von Geldscheinen aus Baumwollmüll mit dem Wert von wenigen Cents, einige Episoden aus der Geldgeschichte, die allweil zu hörende Klage der Politiker über Geldmangel, die Ursachen der deutschen Inflation (1923) und die dadurch erzeugten Ängste, aber vor allem der Versuch einer argumentativen Überwindung dieser Ängste durch eine „genauere Betrachtung“ jener Geschichte, und schließlich die Empfehlung, die aktuellen sozial- und umwelt-politischen Probleme durch „mehr Geld“ zu lösen.

Die Europäische Zentralbank ist schon seit 10 Jahren der Meinung, dass der Zeitpunkt für „mehr Geld“ gekommen ist. Indem sie Staatsanleihen vom Geldmarkt aufkauft, sorgt sie für einen niedrigeren Zinssatz und entlastet damit die finanzielle Belastung der Mitgliedsstaaten. Mithin geben diese mehr Geld aus als sie es ohne das Quantitative Easing könnten. Trotzdem wird der Ruf nach mehr staatlichen Investitionen immer lauter. Zwar hat die EZB bislang das Euroland vor einem Zusammenbruch der gemeinsamen Währung bewahrt, aber die wirtschaftlichen, sozial-politischen und Umwelt-Probleme haben sich trotz des billigeren Geldes aufgehäuft. An einem Geldmangel kann es also nicht liegen. Ähnliches ist auf dem Gebiet privater Investitionstätigkeit zu beobachten: Gewinne werden abgeschöpft, aber nicht re-investiert (Quaas 2020). Schieritz erspart sich die Analyse, warum trotz reichlich vorhandenem Geld die Unternehmen netto immer weniger investieren. Die Antwort darauf ist zum überwiegenden Teil keynesianisch, aber trotzdem wahr: Weil sie nicht die Erwartung haben, dass sich ihre Investitionen in Zukunft rentieren werden. Wie wir am Beispiel der Elektromobilität sehen, muss der gesellschaftliche und politische Druck wachsen, um diese Erwartungen herzustellen und zu stabilisieren.

Also fehlt es womöglich an Geld in den Taschen der Konsumenten? So jedenfalls müsste man Schieritz’ Argumentationslinie fortsetzen. Momentan hat er aber vor allem den Staat im Visier: Das ungedeckte Geld soll für den Klimaschutz ausgegeben werden: „Man müsste Solaranlagen und Windräder errichten, Ladestationen für Elektroautos installieren, das Bahnnetz erweitern und modernisieren, den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, Gebäude dämmen, die landwirtschaftliche Produktion umstellen.“ (Schieritz 2020: S.15) Das sind alles sinnvolle, aber investive Maßnahmen, die erst in der Zweitrunde konsumtiv wirksam werden. Bei jedem dieser Projekte dürfte der langsame Fortschritt weniger an einem Mangel an Geld (Kredit) liegen als an Problemen der Umsetzung entsprechender Pläne, beispielsweise wegen Kapazitätsgrenzen (Facharbeiter- und Handwerkermangel, im Osten Deutschlands auch der Mangel an Kapital) sowie bürokratischen und rechtlichen Hindernissen.

In einer Zeit rasanten technologischen Wandels ist es ziemlich kurzschlüssig, aus der Tatsache, dass weltweit 212 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz suchen, zu folgern: „Der Transformator, um zusätzliches Geld in zusätzliche Produkte zu verwandeln, wäre also vorhanden. Die Menschheit hat ihr Potenzial noch nicht ausgereizt.“ (Schieritz 2020: S.15) Was ist aber mit den Arbeitsplätzen? Offenbar existieren keineswegs 212 Millionen freie Arbeitsplätze. Wenn ungedecktes Geld die Funktion haben soll, die Kluft zwischen Arbeit und Kapital zu überbrücken, so wird es bei einem Überschuss von Arbeit nur eines bewirken können: Inflation. Und das wollen m. W. n. auch die Anhänger der MMT vermeiden.

Der zentrale geldtheoretische Fehler der deutschen Versionen der MMT besteht darin, zu ignorieren, dass bloße Papierzettel – sie mögen technisch noch so „sophisticated“ hergestellt worden sein – dadurch zu Papieren werden, die einen Wert repräsentieren, dass ihnen in ihrer Gesamtheit mindestens der gleich hohe Wert in Form eines Kollateral gegenüber steht. Banker lernen das in ihrer Ausbildung, die auf jahrhundertelanger Erfahrung basiert, von manchen aber als veraltet angesehen wird (Quaas 2017). Einige Journalisten wissen um die Rolle der Sicherheiten bei der Geldschöpfung, aber leider nicht alle. In der akademischen Geldtheorie haben Heinsohn und Steiger (2008) darauf aufmerksam gemacht, aber nur ein schwaches Echo gefunden. Damit ist der Weg frei für eine Politik des ungedeckten Geldes nach Gusto der jeweils herrschenden Parteien.

Verweise
Dirk Ehnts (2020): Geld und Kredit – eine €-päische Alternative. Marburg.
Gunnar Heinsohn (2008), Otto Steiger: Eigentumsökonomik. Marburg.
Georg Quaas (2017): Irrungen und Wirrungen im Umfeld der Geldtheorie: Wohin einseitige Darstellungen der Zentralbanken führen. MPRA-Paper # 79735.
Georg Quaas (2018): Relationale Geldtheorie. Marburg.
Georg Quaas (2020): Osten holt auf, benötigt aber mehr Investitionen. In: Wirtschaftsdienst, 2020, H.1, S.49-54.
Mark Schieritz (2020): Geld her! In: Die ZEIT vom 03. Januar 2020, S.13-15.
Eric Tymoigne (2016): Money & Banking. Internet-Publikation

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