Theorien als Symbolkomplexe – Symbolkomplexe als Theorien

Durch die Definition von Theorien als Symbolkomplexe (Gattungsbegriff) wird ausgeschlossen, dass jede vage Idee im Kopf eines akademisch betitelten oder unbetitelten Menschen

als Theorie ernst genommen und diskutiert werden muss. Abgesehen vom artspezifischen Unterschied, der zu jeder Definition gehört, hier aber gar nicht angegeben worden ist, gibt es noch weitere Probleme, die mit dem Gattungsbegriff zusammenhängen. Symbole sind Symbole, weil sie auf etwas anderes verweisen. Doch worauf? Das hängt vom Interpreten des Symbols ab. Damit scheint jene Definition von vornherein rettungslos subjektivistisch infiziert zu sein.

Grundsätzlich löst sich das Interpretations-Problem dadurch, dass unterschiedliche Deutungen eines Symbolkomplexes in einem kommunikativen und in einem Handlungszusammenhang auftreten und dort auch bemerkt werden. Wäre dies nicht so, wüssten wir weder etwas von unterschiedlichen Interpretationen ein und desselben Symbolkomplexes noch könnten Menschen jemals ihre Einzelhandlungen untereinander koordinieren.

Manche interpretatorische Unterschiede sind von der Natur der Sache her unvermeidbar: Symbole können bei entsprechender Interpretation auf etwas verweisen (intransitive Dimension), sie können aber auch eine Reaktion des Interpreten auslösen (soziale transitive Dimension). Wenn wir uns etwas konkreter auf sprachliche Ausdrücke und insbesondere auf Sätze beziehen, so können die meisten von ihnen rein deskriptiv – als Darstellung von Sachverhalten, Handlungen, Zuständen etc. – interpretiert werden, man kann sie aber auch als Aufforderung zum Handeln, als Wertungen oder Äußerung von Wünschen und Geschmacksurteilen deuten. Noch komplizierter wird es, wenn wir den Symbolen die Implikationen zurechnen, die sie in den Augen mancher Interpreten tatsächlich oder vermeintlich haben: Die klare Handlungsanweisung: „Öffne die Tür!“ unterstellt, dass die Tür geschlossen (zumindest nicht offen) ist – eine Behauptung, die wahr oder falsch sein kann und die von den meisten Interpreten wohl rein deskriptiv aufgefasst wird.

Nach diesen Vorüberlegungen kann nun die Frage beantwortet werden, ob Theorien, insbesondere ökonomische Theorien, tatsächlich rein deskriptiv sind – was sie vom Standpunkt des Kritischen Rationalismus aber sein sollten. Als Symbolkomplexe hängt ihre Interpretation als deskriptiv oder präskriptiv klarerweise vom Interpreten ab! Niemand kann gehindert werden, wissenschaftliche Theorien als Handlungsanweisungen zu interpretieren – jedoch werden sie dann auf eine Weise interpretiert, in der sie nur noch sehr eingeschränkt zum Gegenstand wissenschaftlicher Tätigkeit gemacht werden können: Insbesondere ist eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes der präskriptiv interpretierten Theorie – eine zentrale Aufgabe wissenschaftlicher Erkenntnis – nicht mehr möglich. Präskriptive Sätze beschreiben zwar auch ETWAS, aber ETWAS, das erst realisiert werden soll; insofern läuft die Überprüfung, ob das beschriebene ETWAS existiert, ins Leere.

Wissenschaftliche Erkenntnis setzt bei Erfüllung ihrer zentralen Funktion der Überprüfung des Wahrheitsgehaltes voraus, dass die Symbolkomplexe, die Theorien sind, deskriptiv interpretiert werden. (Ein bloß deskriptiver Gehalt reicht dazu nicht aus.) Theorien sind also nicht an sich deskriptive Symbolkomplexe, sondern sie müssen so interpretiert werden (können). Sollte das nicht möglich sein, die betreffenden Symbolkomplexe also von einem Interpreten NICHT als rein deskriptive Symbolkomplexe interpretiert werden können, so entziehen sie sich einer wissenschaftlichen Überprüfung und sind somit aus dem Bereich wissenschaftlicher Symbolkomplexe (Poppers Welt 3) zu verweisen.

Der Hinweis einiger sog. Kritiker des sog. Mainstreams, dass ökonomische Theorien oftmals ideologischen Charakter haben, weil sie das Handeln mehr anleiten als erklären, sagt dem Wissenschaftstheoretiker nichts Neues. Jede Theorie kann als Anleitung zum Handeln benutzt werden und übt dann – eventuell im Verbund mit anderen Symbolen – eine präskriptive Funktion aus. So an die Kritik des Mainstreams heranzugehen heißt, das eigentlich wissenschaftliche Interesse, die Überprüfung der Theorien auf ihren Wahrheitsgehalt, hintanzustellen. Der Kritiker selbst entlarvt sich damit als Nicht-Wissenschaftler. Der wissenschaftliche Kritiker wird die Symbolkomplexe, die beanspruchen Theorien zu sein oder auf solchen zu beruhen, deskriptiv, das heißt als Beschreibung von existierenden Sachverhalten, interpretieren, um dann zu fragen, ob diese Sachverhalte in der Realität oder nur im Kopf des Theoretikers existieren.

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