Ein Frontalangriff auf das LEK

Der folgende Text benutzt eine gewisse Form der Verfremdung, da dem Autor nicht erlaubt ist, Ross und Reiter zu benennen. Dadurch bedingt kann der Wahrheitsgehalt einiger Aussagen, insbesondere derjenigen, die ich einem gewissen „Anonymus“ in den Mund lege, nur von einem beschränkten Personenkreis, der über die entsprechenden Texte verfügt, überprüft werden. Völlig anders stellt sich die Überprüfbarkeit

bei allgemeineren Aussagen über das Leipziger Erwägungskonzept (LEK) dar, oder bei Aussagen über zwei vom Anonymus nicht namentlich genannten Personen. Dabei handelt es sich um F. & G. Quaas. Entsprechende Angaben können an den veröffentlichten Publikationslisten verifiziert werden. Behandelt werden im Folgenden Themen, die die Anwendung und Entwicklung des Paderborner Erwägungskonzeptes an der Leipziger Universität betreffen.

I. Ein kritisch-rationalistisches Rahmenkonzept?

Zunächst zu der von dritter Seite geäußerten Vermutung, dass die Benutzung des Modells und der Terminologie einer „Welt 3“ (siehe den vorletzten Beitrag auf dieser Webseite) auf einen Anhänger Poppers als Verwender hindeuten könnte. Dazu drei polemische Fragen: (i) Bin ich Marxist, wenn ich Elsenhans‘ These, dass Profite nur bei positiven Nettoinvestitionen entstehen können, auf die Marxschen Reproduktionsschemata zurückführe? (ii) Bin ich ein gemeinschaftsorientierter Liberaler, wenn ich in meiner Lehrveranstaltung zur Ethik vor allem Richard M. Hare zitiere, diskutiere und anwende? (iii) Bin ich ein Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, wenn ich das Hayeksche Dreieck mathematisch formuliere, um so die dynamischen Aspekte dieses volkswirtschaftlichen Modells präsentieren zu können? Ich persönlich würde alle drei Fragen mit >nein< beantworten, denn klassifikatorisch ist es meistens fehlerhaft, eine einzelne Person drei verschiedenen Schulen, die untereinander konkurrieren, zuzuordnen. Genauso fällt die Antwort auf die vierte Frage aus: (iv) Bin ich ein kritischer Rationalist, wenn ich es für bestimmte wissenschaftstheoretische und ethische Fragen für zweckmäßig halte, eine Terminologie zu benutzen, deren Basiskonzepte Popper entwickelt hat?
Dieses wissenschaftstheoretische Modell stellt analytisch Begriffe zur Verfügung, die es erlauben, bestimmte Argumentationen präziser zu formulieren. Dabei muss man beachten, dass es nicht nur schwierig ist, sich konsequent in der Welt 3 zu bewegen, sondern auch unmöglich, da Symbole der Interpretation bedürfen, und diese Leistung aus der Welt 2 hervorgeht. Des Weiteren ist es nicht nur schwierig, sich konsequent nur auf dem Kontinent „Wissenschaft“ aufzuhalten, sondern auch unmöglich, da Zuordnung Abgrenzung voraussetzt, und Abgrenzung bedeutet, Grenzen zu überschreiten. Deshalb lässt sich mit der entsprechenden Terminologie analytisch zwar exakter argumentieren, empirisch gesehen referieren diese Unterscheidungen aber immer nur eine dominante Beziehung. In diesem Sinn hat sich der Autor dieses Textes bemüht, dominante Objekte der Welt 3 zu thematisieren. Mit Ausnahme der letzten Abschnitte, die das Verhalten eines Menschen thematisieren.

Den Menschen, der den in der Überschrift genannten Frontalangriff in einer bekannten Zeitschrift gestartet (und dort auch schon eine Antwort erhalten) hat, der gegenüber Mitgliedern des Forschungsseminars (FS) „Politik und Wirtschaft“ seine Einschätzung des LEK etwas näher begründet, es zugleich aber vorzieht, diese seine Meinung zu einer wissenschaftlich nicht völlig irrelevanten Frage nur diesem Zirkel mitzuteilen, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass er das auch in anderen Zirkeln tut, und der es darüber hinaus verbietet, diese Meinung zu publizieren oder zu zitieren, diesen Menschen bezeichne ich im Folgenden als Anonymus.

II. Schmähungen aufgrund von Ignoranz

Anonymus hält es für reichlich vermessen, eine Jahrzehnte in Anspruch nehmende Produktion von Dutzenden Diskursen, in denen die Ansätze, Konzepte und Theorien verschiedener ökonomischer Schulen erwogen werden, forschungsseitig unter den Begriff des Leipziger Erwägungskonzeptes (LEK) zusammenzufassen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Klassifikation von Diskursen in der Welt 3, sondern zugleich um eine Beurteilung der Produktion von zwei Personen, die maßgeblich und mit persönlichem Einsatz dazu beigetragen haben, dass Anonymus einen höheren akademischen Grad erlangen konnte.
Um nur die wesentlichsten Alternativen zu nennen, die von den betreffenden zwei Personen in dem Zeitraum der Beiratsmitgliedschaft einer der Personen bei Ethik und Sozialwissenschaft bzw. Erwägen Wissen Ethik (1988-2015) erwogen worden sind:

(i) die Alternative zwischen ontologisch begründungsfreier Fachwissenschaft, metaphysischer Ontologie, transzendental-realistischem und praxisphilosophischem Ontologie-Verständnis, letzteres als Verallgemeinerung des „Kapital“ von Karl Marx

(ii) die Alternative zwischen verschiedenen Begründungsstrategien der Sozialen Marktwirtschaft innerhalb des Liberalismus

(iii) die Alternative zwischen verschiedenen Lösungsversuchen des Marxschen Transformationsproblems und ihre Bedeutung für die Beurteilung dieser Theorie

(iv) alternative Interpretationsmöglichkeiten der Kritik an der Neoklassik durch Vertreter der Neoricardianischen Schule in deren Auseinandersetzung mit Helmedag

(v) Verschiedene Ansätze der aktuellen Kapitalismus- und Demokratie-Kritik: Elsenhans, Altvater, Backhaus/Heinrich, Radnitzky, Negri & Hardt, u.a.

(vi) alternative Schulen der Wirtschaftsethik: Koller, Homann, Ulrich, Witt einschließlich grundlagentheoretischer Fragen der Ethik und der Wissenschaftstheorie

(vii) evolutionstheoretische Alternativen, insbesondere Nelson/Winter und Hayek

(viii) zum Berufsbild des Ökonomen, zur (nach wie vor problematischen) wissenschaftstheoretischen Einordnung der Ökonomik etc.

(ix) alternative Wirtschaftspolitiken und ihre Konsequenzen für die Volkswirtschaft.
Ein Bruchteil dieser Leistungen würde genügen, um als Beitrag zum Erwägen in der Ökonomik gelten zu dürfen. Und da diese Breite von kaum einer anderen Gruppierung im deutsch-sprachigen Raum abgedeckt wird, ist m.E. auch die Bezeichnung „Leipziger Erwägungskonzept“ vollauf berechtigt. Hinzu kommt, dass jene Forschungen durch zahlreiche Mitglieder des FS unterstützt und von einigen sogar ergänzt worden sind. Erwähnenswert wären u.a.:

(x) die Krisenreflexion des FS, manifestiert in zwei Büchern

(xi) alternative Ansätze zum Geldbegriff

(xii) die dogmengeschichtliche Aufarbeitung des sog. „Subsistenzrechtes“.

III. Anspruch und Wirklichkeit

Anonymus hat Recht, wenn er meint, dass auch andere Ökonomen Beiträge zur Erwägungskultur in der Ökonomik geleistet haben sich diese nicht auf die Leistungen des LEK beschränkt. – Nur ist es so, dass Anonymus auch diese Leistungen nicht analysiert hat und trotzdem mit dem Anspruch aufgetreten ist, die Erwägungskultur in der Ökonomik zu thematisieren. Meine inzwischen schon veröffentlichte Kritik bleibt richtig: Titel und Inhalt des Beitrages zur „Erwägungskultur in der Ökonomik“ stimmen nicht überein.

IV. Widerspruch zwischen Wort und Tat

Anonymus meint, dass sich die im LEK entwickelte „kampforientierte“ Interpretation und Spezifikation nicht mit einer Erwägungsorientierung, wie sie im EWE-Konzept vorgesehen ist, verträgt. Damit schließt er das LEK aus dem Bereich der Anwendung und Weiterentwicklung des Paderborner Erwägungskonzeptes aus, ohne auch nur zu erwägen, ob diese Spezifikation nicht tatsächlich für die Ökonomik adäquat ist. Was also tut unser Anonymus? Er grenzt das LEK aus, so dass es – würde man ihm folgen – nun nicht einmal mehr beanspruchen könnte, eine Anwendung des EK zu sein. Eben dieses Vorgehen habe ich als „kampforientiert“ bezeichnet. Anonymus gehört zu den Herren, die öffentlich Wasser predigen, aber heimlich Wein trinken.

V. Autoritätsgläubiges und bürokratisches Wissenschaftsverständnis

Anstatt die Alternative, kampforientiert oder nicht, auf dem Hintergrund einer konsensual geteilten Einschätzung der Ökonomik (Dobusch & Kapeller) zu erwägen, beruft sich Anonymus auf die Autorität eines ehemaligen Mitglieds der Paderborner Forschungsredaktion, der das Erwägungskonzept eindeutig für eine Situation spezifiziert, die in Teilen der Sozialwissenschaft herrscht, aber für die Ökonomik nicht typisch ist; des Weiteren beruft er sich auf seine eigene, sehr begrenzte Reflexion des Erwägungskonzepts, die ganze 5 Paragraphen umfasst. Eine Anwendung des EK im Bereich der Forschung will er erst dann gelten lassen, wenn (i) eine systematische Arbeit für ein Erwägen im Forschungsbereich vorliegt, wenn (ii) ein Forschungsseminar unter einem Erwägungsanspruch steht, (iii) wenn es dazu einen Beschluss gibt und (iv) das Erwägen dokumentiert worden ist.

Nun, an letzterem mangelt es gewiss nicht. Wo sonst gibt es ein Forschungsseminar, das seit Jahr und Tag seine Diskussionen dokumentiert und öffentlich zur Verfügung stellt (sofern die Autoren dem zugestimmt haben)? Ansonsten ist Anonymus auf Thomas S. Kuhn’s zu verweisen. Dieser hat festgestellt, dass ein Paradigma (hier verstanden als eine wissenschaftliche Leistung, die anderen Wissenschaftler als Anleitung dient) auch dann existiert, wenn kein explizites Methodenbewusstsein vorliegt. Die o.g. zwei Personen haben es für wichtiger gehalten, die systematischen Vorleistungen der Paderborner Forschungsredaktion auf die wissenschaftstheoretische Situation der Ökonomik konkret anzuwenden und anzupassen anstatt vorschnell und a priori irgendwelche spekulativen Überlegungen anzustellen. Das schließt nicht aus, die zahlreichen Anwendungsbeispiele und verstreuten theoretischen Überlegungen zu dieser Anpassung zusammenzufassen. Aber das wäre der (relative) Endpunkt einer Reihe von Diskursen und nicht der Startschuss zu einem Erwägungsprozess, wie Anonymus meint.

VI. Wer im Glashaus sitzt…

Anonymus will Wirtschaftsethiker sein. Ethiker, hier definiert als Menschen, die sich systematisch und methodisch geleitet mit Fragen der Moral auseinandersetzen, stehen unter einem doppelten Geltungsanspruch: Neben den allgemeinen Kriterien, die jeder Wissenschaftler erfüllen sollte, gelten für sie die gleichen Kriterien, die sie für andere Menschen innerhalb oder außerhalb der Wissenschaft aufstellen und begründen. Ein Grundprinzip der Moral ist die Symmetrie. Wenn man an andere Maßstäbe anlegt, die man selber nicht einhält, läuft man Gefahr, sich als Ethiker zu diskreditieren. Das könnte besonders dann existenzielle Folgen haben, wenn man für eine moralische Instanz arbeitet. In der Debatte um das LEK hat Anonymus drei Mängel gezeigt, die in diesem Zusammenhang ins Gewicht fallen: (i) Seine Argumentation gegen die Kampforientierung ist selber von einer Kampforientierung getragen (ein Selbstwiderspruch); (ii) seinen Ausführungen zur Erwägungskultur in der Ökonomik hat er eine unzureichende Analyse und Einschätzung der Ökonomik zugrunde gelegt (das könnte leicht als mangelnde fachliche Kompetenz interpretiert werden, ebenso seine Interpretation des EK); (iii) ein Verhalten gegenüber denjenigen, die ihm zu seinem Doktor-Titel verholfen haben, das in Wissenschaftlerkreisen als suspekt gilt. Besonders anstößig finde ich den öffentlichen Tadel seines Zweitgutachters im Promotionsverfahren. So etwas tut man einfach nicht, wenn man in der Gelehrtenrepublik verweilen möchte. Ich persönlich könnte auch so manches Hühnchen mit meinen (ersten) Doktorvater rupfen, habe das aber nie und nirgendwo getan. Da ich den Betreuungsprozess aus nächster Nähe beobachten konnte, frage ich mich, aus welchem Grund Anonymus seine Doktor-Mutter, die ihm in seiner gewiss nicht einfachen Laufbahn jegliche Unterstützung gewährt hat, mit deklassierender Ignoranz behandelt. Ich kann mich nicht erinnern, in all‘ den Jahren wissenschaftlicher Lektüre auch nur ein einziges Mal solche Unverschämtheit, die Arbeiten der Alt-Vorderen zu de-klassifizieren und einen ehemaligen Gutachter öffentlich abzubürsten, gelesen zu haben. Als Ethiker bewegt sich Anonymus auf sehr dünnem Eis.

VII. Eskalation oder De-Eskalation?

Man kann dem Autor dieser Zeilen vorwerfen, dass er eine Debatte eskaliert; gütige Menschen empfehlen, mit Gelassenheit auf das ungezogene Verhalten eines Ehemaligen zu blicken. Nach einem Erwägungsprozess (zusammen mit der anderen Person) bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der letzten internen Äußerung von Anonymus im Rahmen des FS um einen Frontalangriff auf das LEK handelt, der bestätigt, dass die zur Schau gestellte Ignoranz in seinem publizierten Beitrag kein Versehen, sondern Absicht war. Das ist nicht hinnehmbar, wenn man seine eigene Leistung nicht einfach ignoriert sehen will, und vor allem, wenn man gute Argumente dagegen hat. Sollte sich also abzeichnen, dass sich die Angriffe fortsetzen, werde ich meine Analyse auf die fachwissenschaftliche Seite seines noch ziemlich überschaubaren Werkes erweitern und meine Kritik vor einem wesentlich breiteren Publikum fortsetzen.

VIII. Empfehlungen an Anonymus für einen sachlichen Disput

Höre er auf, die Forschungsleistungen anderer mit Hilfe manipulativer Tricks zu ignorieren! Ziehe er Konsequenzen aus der gemeinsam geteilten Analyse von Dobusch und Kapeller! Erwäge er die von uns nicht nur vorgeschlagene, sondern auch praktizierte und begründete Alternative zu Greshoffs Konzept auf der Basis jener Analyse! Ziehe er in Erwägung, mit welcher Breite das Erwägungskonzept von seinen Schöpfern angelegt ist, bevor er eine spezielle Version glaubt deklassieren zu müssen! Formuliere er seine Kritik an der Ökonomik so unmissverständlich, dass klar wird, wer, wo, wann, wie tatsächlich erwogen hat und warum den anderen Ökonomen zu empfehlen ist, dies auch zu tun! Reflektiere er alle seine öffentlichen Äußerungen unter dem Gesichtspunkt, ob sie die eigenen Werte bedienen, wenn man sie als Handlungen auffasst (was fast immer möglich ist)! Höre er auf, einmal Gesagtes auf Teufel komm‘ raus zu verteidigen! Das hat weder mit dem Erwägungskonzept noch mit einer wissenschaftlichen Haltung etwas zu tun. Bedenke er die theoretischen und praktischen Konsequenzen, die sich auch dann einstellen werden, wenn man momentan fest von einer Meinung überzeugt ist, sich aber vielleicht trotzdem irrt! Auch das lässt sich übrigens erwägen. Und schließlich: Argumentiere er stets so, dass seine Argumente das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen brauchen!

7 Gedanken zu „Ein Frontalangriff auf das LEK

  1. Ich gehöre als Mitglied des Forschungsseminars (FS) zwar zu dem beschränkten Personenkreis, welchem alle hier behandelten Texte zugänglich sind, konnte aber leider an den letzten Sitzungen nicht teilnehmen. Vielleicht fällt es mir daher schwer den Argumenten des hier veröffentlichten Gegenschlags zu folgen, vor allem aber die Härte dessen nachzuvollziehen.
    Ich gehe jedoch davon aus, dass es dem externen Leser (für den ja die öffentliche Debatte auch bestimmt ist) noch schwerer fällt die Debatte nachzuvollziehen. Ich versuche daher mal meine kleine Interpretation, welche dann ja ggf. korrigiert werden kann, um Klarheit in die Sache zu bringen.
    „Anonymus“ veröffentlicht einen Artikel der seiner Meinung nach die Frage nach einer Erwägungskultur in der Ökonomik behandelt (G. Quaas bestreitet das anscheinend). In besagtem Artikel wird G. Quaas zwar zitiert, jedoch wird kein Hinweis auf das Leipziger Erwägungskonzept gegeben. G. Quaas sieht dies als Missstand und bemängelt dies auch in einem Brief in derselben Zeitschrift. Anonymus klärt auf, dass er die Kritierien für ein Erwägungskonzept in der Lehre für gegeben betrachtet in der Forschung bezweifelt er dies jedoch.
    Der Unterschied der beiden Auffassungen (ob ein Leipziger Erwägungskonzept existiert oder nicht) basiert offenbar aufgrund zweier unterschiedlicher Interpretationen was Erwägen bedeutet. Anonymus sieht eine „Kampf“-betonte Wissenschaftsorientierung in der Theorien „eliminiert“ werden sollen im grundsätzlichen Widerspruch zum Erwägen (er bezieht sich auf Greshoff 2001). G. Quaas meint aber Greshoff’s Konzept sei auf die Ökonomik nicht anwendbar und auch der Kampf (zwischen Theorien) könne Teil eines Erwägungsprozesses sein.
    Beides sind meines Erachtens streitbare Hypothesen und offensichtlich war dies auch Diskussionsstoff im FS. Ob aufgrund dieser unterschiedlichen Auffassung jedoch ein Frontalangriff auf das Leipziger Erwägungskonzept zu sehen ist, möchte ich hiermit bezweifeln. Die Art und Weise des Gegenangriffs die hier publiziert worden ist finde ich daher aus der Ferne Indiens unangebracht. Unterstützen würde ich hingegen gerne den Vorschlag von Anonymus einmal auszuarbeiten bzw. zu verschriftlichen was unter dem Leipziger Erwägungskonzept in der Forschung verstanden wird, dann kann dem Vorwurf (es gäbe keins) in Zukunft viel effektiver entgegengewirkt werden. Ich stimme jedoch G. Quaas zu, dass ein Erwägungskonzept existieren kann, ohne das es verschiftlicht worden ist.
    In diesem Sinne
    Shanti, Shanti

  2. Die Entwicklung des LEK folgte dem Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre. Wer aus Unkenntnis, Ignoranz oder sonst einer Absicht Dutzende von Beiträgen zum LEK für null und nichtig erklärt, greift es an. Die gewünschte Ausarbeitung habe ich in zwei Beiträgen auf dieser Webseite bereits skizziert. Mehr ist momentan nicht geplant.

  3. Als Georg Quaas und ich vor mehr als einem Jahrzehnt das Forschungsseminar gegründet haben, war es für uns überhaupt keine Frage, welchem methodischen Ansatz wir damit folgen wollten. Georg war nicht nur schon viele Jahre lang Beiratsmitglied in der Zeitschrift, die das Erwägungskonzept begründet hat, sondern es lagen darin auch bereits etliche Beiträge aus unserer Feder vor, darunter ein Hauptartikel als Konzentrat eines umfassenden Forschungsprozesses. Um das erwägende Forschen (ob man es nun so nennt oder nicht) kommt man dann nicht herum, wenn man wie wir der Meinung ist, dass kritisches Denken im wissenschaftlichen Prozess unerlässlich ist. Vor 1989 wurde das zumindest in den Wissenschaftsbereichen, denen wir angehört haben, auch praktiziert. Umso erstaunter war ich, als sich nach der Neugründung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eine Diskussionskultur über wissenschaftliche Themen breit machte, die dem so überhaupt nicht folgte. Ich habe in den 90er Jahren in vielen Veranstaltungen eines „Forschungsseminars“ gesessen, in denen Vorträge der verschiedensten Art freundlich zur Kenntnis genommen, aber kaum diskutiert wurden. Mit anderen Worten, das war kein wirklich arbeitendes Forschungsseminar, und genau den Mangel wollten wir beheben, als wir unser Forschungsseminar gründeten. Die Idee, den wissenschaftlichen Meinungsstreit in die Lehre so zu übertragen, dass auch dort keine Autorität jenseits des sachlichen Urteils und der überprüfbaren Hypothese herrschen sollte, kam erst drei Jahre später auf, zusätzlich ermuntert durch die Redaktion der Zeitschrift. Die Übertragung des Forschungskonzeptes in die Lehre hatte also von Anfang an das Ziel, die Studenten nicht zu belehren, sondern sie zur Forschung anzuregen. Wie kann man also überhaupt auf die Idee kommen, dass es sich um zwei getrennte Konzepte handeln könnte?

  4. Ich finde keineswegs das die Leistungen des LEK für null und nichtig erklärt worden sind. Vielmehr wurde (leider auch intern und nicht öffentlich) auf die „Ausnahmeerscheinung in der wiss. Hochschullandschaft“ aufmerksam gemacht und das auch mit Argumenten die hier schon benannt wurden, wie die Diskussion auf Augenhöhe.
    Auch wenn es müßig ist für jmd. Anderen zu sprechen, glaube ich trotzdem kaum das hier jemand die Leistungen des Forschungsseminars durch ignorieren schmälern wollte. Vielmehr verweise ich nocheinmal auf eine unterschiedliche Interpretation des Konzeptes „Erwägen“ und wenn jmd. die speziellen Bedingungen des „Erwägens“ nicht gegeben sieht, kann man mit ihm über diese Definition streiten man sollte ihm aber nicht unbedingt Ignoranz und Missgunst unterstellen.
    Ich selber war mir der bewussten Konzeption während der Entstehung selber nicht bewusst auch wenn ich jahrelang in erhebblichen Ausmaß davon profitiert und sie sehr geschätzt habe. Das mag auch daran liegen, dass ich mich seit der Teilnahme am Erwägungsseminar kaum mehr mit dem Konzept des Erwägens beschäftigt habe.
    Ich habe vor lauter Schreck auch nochmal die Homepage geprüft, aber dort ist außer auf der EvoEco-Seite kein Hinweis auf das Erwägungskonzept zu lesen. Das sollten wir unbedingt nachholen.
    Ich verbleibe mit wertschätzenden Grüßen an F. und G. Quaas, die auch unter widrigen Umständen ihr Konzept in Forschung und Lehre umgesetzt haben, und hoffe jedoch auch auf ein wenig mehr Milde mit jemanden der eine unterschiedliche Auffassung der Konzeption des Erwägen vertritt.

  5. Es ist mehrmals und auf verschiedene Weise behauptet worden, dass die Forschung der bewussten zwei Personen nicht auf dem Erwägungskonzept basiert.

    In der Tat gibt es verschiedene Erwägungsmethoden. Die wichtigste ist sicher das These-Kritik-Replik-Verfahren, die der Zeitschrift zugrunde liegt.

    Diese Methode haben wir in Lehre und Forschung in den Mittelpunkt gestellt. Sie bringt sehr deutlich zum Ausdruck, dass ein wissenschaftliches Erkennen ohne Kritik nicht existiert. Wer das Forschungsseminar erlebt hat, wird wohl kaum bestreiten können, dass diese Methode dort praktiziert wird.

    Selbstkritisch muss ich anmerken, dass wir das Konzept, auf dem das FS beruht, gegenüber den Mitgliedern kaum kommuniziert haben. Ein Mitglied des Forschungsseminars muss nicht unbedingt wissen, welche Überlegungen dahinter stehen. Deshalb mag es manchem so erschienen sein, dass das FS konzeptionslos im luftleeren Raum schwebt – oder einfach nur eine Marotte der Erfinder ist. Dieser Irrtum ist verzeihlich.

    Unverzeihlich ist, wenn ein ehemaliges Mitglied, das sich sonst um jeden Furz kümmert, der irgendwo publiziert worden ist, über die Erwägungskultur in der Ökonomik schreibt, dann aber die wenigen Praxen und Theorieansätze, die es dazu gibt (die Beiträge von Ökonomen in EWE, das Erwägungsseminar, das Forschungsseminar, die theoretischen Erwägungen in den Berichten) für nicht der Rede wert erachtet. Der Gipfel ist, dass diese eingeengte Sichtweise nun auch noch gerechtfertigt wird, indem die absurde Meinung vertreten wird,
    dass das, was wir hier in Leipzig in der Forschung tun, nichts mit dem Erwägungskonzept zu tun hätte! Komisch, warum haben uns die Experten in Paderborn das in den letzten 25 Jahren noch nicht gesagt?

    Ich glaube, dass es bei schlechter Internetverbindung und wenn man eigentlich etwas anderes zu tun hat, als über das LEK nachzudenken, schwer ist, klar zu sehen. Ich muss aber darauf aufmerksam machen, dass bislang auf keines meiner Argumente in dem Beitrag, der hier kommentiert wird, eingegangen worden ist. Zum Beispiel: Anonymus propagiert das Erwägen, erwägt aber nicht, ob es nicht verschiedene Erwägungskonzeptionen geben könnte und ob das LEK eben ein anderes ist als das von Greshoff favorisierte. Anonymus grenzt aus und widerspricht sich damit selbst. Wenn ein Ethiker sich anders verhält als er argumentiert, disqualifiziert er sich selber. (Andere Menschen sicherlich auch, aber das hat selten Bedeutung für den Kontinent „Wissenschaft“.)

  6. Ich bedanke mich für die ausführliche Darlegung der Hintergründe und Motivationen einer scharfen Debatte, die sich mir allein aus der Seminardiskussion so nicht erschlossen haben und in denen auch zu sehen ist, dass meine eigene Frage nach einer genaueren begrifflichen Differenzierung zwischen Kultur, Konzept, Methoden und Praxis des Erwägens in der hier dargestellten Konzeption einer Praxis schon immer auf dem Radar war.
    Dennoch bleibt für mich die Frage, ob hier nicht eigentlich über etwas so Banales wie „akademisches Arbeiten“ überhaupt geredet wird, und warum diese Art zu arbeiten in der Ökonomik etwas derart Seltenes zu sein scheint. Die Engführung der Diskussion auf die Ökonomik kann ich damit inzwischen nachvollziehen.
    Die nachdrückliche Verteidigung einer solchen akademischen Kultur sollte allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass jene Kultur sich nahe an einem positivistischen Wissenschaftsverständnis bewegt, welches gerade in den Debatten um neuere Entwicklungen in der Informatik und die dort zu beobachtende Tendenz einer „Überontologisierung der Welt“ auch noch einmal epistemologisch auf den Prüfstand gekommen ist (oder gar – Rorty – die Berechtigung einer Erkenntnistheorie als Ganzes). Insofern lautet meine polemische Antwort auf polemische Fragen: Auch wenn man nicht gleich ein ***ist ist, so kauft man sich doch mit Anleihen aus jedem dieser Theoriebezüge Prämissen ein, die zu gegebener Zeit zu explizieren und in neueren Diskursen auf ihre Tragfähigkeit zu prüfen sind und ggf. selbstkritisch zu befragen. Der Begriff „dominante Beziehung“ ist da schon mal ein Anfang …

  7. „Positivismus“ ist in den 60er Jahren ein Kampfbegriff der Kritischen Theorie gegenüber dem Kritischen Rationalismus gewesen. Heute ist weitgehend anerkannt, dass Popper ein Kritiker des logischen Empirismus war, eine Schule, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Tradition des Positivismus repräsentierte. Seine Theorie der 3 Welten steht in einem ganz anderen Zusammenhang. Platon wäre da zu nennen oder George Herbert Mead. Ich wüsste auch nicht, warum ich Selbstkritik üben sollte, wenn ich Theorien als Symbolkomplexe ansehe. Diese Prämisse ist eine empirische Aussage, deren Wahrheitsgehalt jederzeit geprüft werden kann. Ich werde auch weiter daran arbeiten, diesen wissenschaftstheoretischen Aspekt mit anderen Gesichtspunkten (Wissenschaft als Arbeit – Peter Ruben; die Unterscheidung zwischen Erkenntnis- und Realobjekt – Louis Althusser; die Sozialpsychologie und -Soziologie der Wissenschaftlergemeinschaft) zu verzahnen und auf das Erwägungskonzept anzuwenden. Dass einige Kollegen der Meinung sind: „Diskutiert wird doch in allen Seminaren“, mit dem Hintersinn: „Was ihr da macht, unterscheidet sich nicht vom normalen akademischen Leben“, diesen Standpunkt haben wir in einem EWE – Beitrag bereits diskutiert. Und noch eines: Als Physiker musste ich ein Staatsexamen in Mathematik ablegen. Deshalb darf ich wohl sagen, dass die Erwägungskonzeption zumindest in der Lehre der Mathematik nicht angewandt wird. Möglicherweise ist das in der Informatik anders. Ich lasse mich gern eines Besseren belehren, aber dafür wäre die Voraussetzung, dass man sich etwas gründlicher mit dem Erwägungskonzept beschäftigt, gründlicher jedenfalls als Anonymus. Nebenbei bemerkt, erstaunt mich das plötzliche Interesse an dieser Konzeption. Ich fürchte aber, es wird zu keiner intensiveren Beschäftigung führen, so wie das Interesse an anderen Themen (Piketty z.B.) bei vielen mangels intensiver Beschäftigung ziemlich oberflächlich geblieben ist.

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