Zum Begriff des Marktes

Der Begriff des Marktes ist sowohl aus der Sicht einer allgemeinen Gesellschaftstheorie als auch von den Standpunkten der Politischen Ökonomie und der Volkswirtschaftslehre grundlegend. Man sollte meinen, dass die alltägliche Begegnung mit den Objekten jenes Gegenstands zu einer schnellen Klärung beiträgt. Wie die folgende Diskussion zeigt, ist jedoch eher das Gegenteil der Fall.

Georg Quaas: Gemeinsam geteilte oder nur von mir vertretene These?

Eingereicht am 08.01.2013 um 14:46

Gegenstand: Märkte

Polit-ökonomische These:

Märkte sind Orte, an denen Handel betrieben wird. Handel beruht auf einer elementaren Moral: dem Respekt vor dem Eigentum des anderen. Einen einigermaßen verlässlichen Schutz vor Übergriffen (Diebstahl, Raub, Erpressung) kann nur das von einem Staat sanktionierte Eigentumsrecht gewähren. Die meisten dauerhaft existierenden und funktionierenden Märkte stehen deshalb unter dem Schutz eines Staates oder eines Staatenverbunds.

Wissenschaftstheoretischer Status:

Überprüfbare und präzisierbare empirische These. Da es schwer möglich ist, eine Übersicht über alle Märkte zu bekommen, dürften hier vor allem Gegenbeispiele gefragt sein.

Konsequenzen:

1. Eine Konsequenz findet man bei Thilo Sarrazin, der in seinem Buch „Europa braucht den Euro nicht“ von einer ähnlichen These ausgeht: „Der ‚Markt’ als solcher ist überhaupt nur denkbar als ein Set von Regeln, in deren Rahmen die Teilnehmer Güter und Dienstleistungen anbieten bzw. kaufen… Die Regulierung des Marktes durch Gesetze, Verordnungen oder bindende Vereinbarungen der Teilnehmer soll Betrug verhindern, Gefährdungen ausschließen und die Interessen der Allgemeinheit sichern. Darum gibt es am Wochenmarkt die Lebensmittelkontolleure der Kommune, am Arzneimittelmarkt die zentralen Zulassungsbehörden und Handelsbeschränkungen für rezeptpflichtige Arzneien. Für den Kapitalmarkt gibt es eine Banken und eine Wertpapieraufsicht.

Geht etwas schief, so hat definitorisch nicht ‚der Markt’, sondern die Regulierung versagt. Oder Marktteilnehmer haben bestehende Vorschriften nicht beachtet und kamen damit durch, dann hat die Aufsicht nicht funktioniert. Der Kern jeden Marktversagens ist also stets ein Staatsversagen und damit ein politisches Versagen. Darum ist es vom geistigen Ansatz her verfehlt, ‚Markt’ und ‚Staat’ in einen Gegensatz zu bringen, denn die staatliche Regulierung (bzw. die bindenden und notfalls vom Staat durchgesetzten Regeln der Marktpartner) setzt stets den Rahmen, innerhalb dessen der marktmäßige Austausch stattfindet.“ (265 f.)
Vgl. dazu http://evoeco.forschungsseminar.de/prot07ws12.htm

2. Die neoliberale Forderung nach möglichst wenig Staatsintervention basiert auf Ignoranz gegenüber den existenziellen Regeln der Märkte.

Gegenpositionen:

Gerard Radnitzky (Name red. bearbeitet): Das moralische Problem der Politik. In: EWE 13 (2002), Heft 3:

„…4.4… Die richtige Erklärung argumentiert, daß es für das Individuum Vorteile bringt, Versprechen zu halten, nicht vertragsbrüchig zu werden. Es erwirbt dadurch eine Reputation, und diese ist nicht nur ein Aktivum, sie ist unentbehrlich im Zusammenleben. Ohne diese Reputation bekommt der Betreffende keinen Kredit, so daß ihm nur mehr ein Simultan-Tausch möglich ist. Das Muster ist in der Wirtschaftswelt ganz deutlich zu sehen: Ein Unternehmen, das Zahlungsverpflichtungen nur zögerlich oder gar nicht mehr nachkommt, wird von den Rating-Agenturen sukzessive heruntergestuft, muß für Anleihen eine Zitterprämie zahlen, kann bald keine Anleihen mehr unterbringen, und verschwindet. Das zeigt, daß die Reputation ein unentbehrliches Aktivum darstellt—das gilt von der Kleingruppe bis hin zur globalisierten Wirtschaft. Bereits aus dieser Einsicht deutet sich die Möglichkeit an, daß eine Sozialordnung, in der das Pacta-sunt-servanda-Prinzip respektiert wird, sehr wohl auch ohne den Staat als „letzte“ Durchsetzungsinstanz möglich ist.

„…(7.1) Étatismus definiere ich als die Auffassung, daß Gesetz und seine Durchsetzung Voraussetzung für eine funktionierende Marktordnung sind, und daß deshalb der Staat logische und also auch historische Priorität gegenüber dem Markt habe. Der Zeitgeist ist étatistisch, verkörpert durch Ordoliberale, „constitutional economics“, den Großteil von „Public Choice“ und selbstverständlich durch alle sozialdemokratischen Parteien—unabhängig davon, welche PR-Bezeichnungen sie verwenden: „sozialdemokratisch“, „christlichsozial“, „liberal“ usf. Der Étatismus ist eng verbunden mit dem Zentralismus. In der Geschichte ist er am stärksten in Frankreich („dirigisme“) ausgeprägt (Jasay 2000). Die Jacobiner setzten eigentlich die Tradition der Bourbonen, von Louis XV und Louis XI, fort.12 An zweiter Stelle folgt Deutschland.
Mehr davon unter http://evoeco.forschungsseminar.de/hptrad.html

Herkunft der polit-ökonomischen These:

Die o.g. Position kristallisierte sich im Erwägungsseminar heraus, das im Sommersemester 2007 die o.g. Diskussionseinheit aus EWE zum Gegenstand machte. Die These wurde sinngemäß vertreten im Erwägungsseminar im Sommersemester 2010. Siehe die beiden Protokolle http://evoeco.forschungsseminar.de/prot05ss10s.htm und http://evoeco.forschungsseminar.de/prot06ss10.htm .

Vertiefungsmöglichkeit:

Begriffe Tausch, ökonomische Güter, Staat.

Lars Bräutigam

Eingereicht am 08.01.2013 um 18:53

Mein Einwand zu einem grundlegenden Marktbegriff: Die Funktion des Staates gegenüber dem Markt übernehmen in primitiven Gesellschaften die sozialen Gruppen selbst, wenn sie sich zum Tauschen treffen, indem sie für eine temporäre Befriedung sorgen. In dieser entsteht für kurze Zeit so etwas wie ein Markt, auf dem der Tausch zustande kommen kann – oder auch nicht. Die Dauerhaftigkeit wäre somit kein unterscheidendes Merkmal, würde also wiederum diskriminierend wirken.

Der verlässliche Schutz des Eigentums wird m. E. in unserer heutigen Gesellschaft nur in der engeren Tauschsphäre gewährleistet (Überwachungstechnik, Ladendetektive, Wachschutz) und ist dabei zunehmend selbst ein Gut, das nachgefragt werden muss. Die nachrangige Hilfstätigkeit des Staates in der Rechtsprechung und den damit verbundenen Instrumenten, rechtmäßig besessenes Eigentum ggf. wiederzuerlangen, wird prinzipiell auch in vorstaatlichen Gemeinschaften praktiziert.

Marktversagen und Staatsversagen sind zwei unterschiedliche Konzepte. Die Behauptung, es läge kein Marktversagen vor, basiert auf einer Sichtweise, die einen Markt als nichtsozialen Mechanismus begreift. Damit in Konflikt steht die These, dass die Marktsubjekte in Abhängigkeit der Internalisierung von sozialen Werten, die der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt förderlich sind, eben in dieser Hinsicht auch bessere Marktergebnisse erzielen können. Damit wird offensichtlich, dass wann immer die Wirtschaftssubjekte selbst nicht genügend gesellschaftliche Werte internalisiert haben, ein die Markkräfte regulierender Akteur eingreifen muss. Er selbst kann jedoch auch überflüssig werden, wenn die Akteure wieder von selbst mehr die Folgen ihres Handelns berücksichtigen.

Georg Quaas

Eingereicht am 09.01.2013 um 06:23

Die Behauptung, dass die meisten Märkte unter dem Schutz des Staates stehen, wurde mit Bedacht auf dauerhaft existierende, funktionierende Märkte beschränkt. Die Existenz eines “staatsfreien” gelegentlichen Tausches ist mir aus Marx’ Wertformanalyse bekannt und kein Gegenbeispiel zu dieser These.

Sebastian Thieme

Eingereicht am 10.01.2013 um 14:29 | Als Antwort auf Georg Quaas.

Ein paar Gedanken zum Ausgangstext …
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Markt
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„Markt“ und „Märkte“ können verschiedene Bedeutungen haben. Unter anderem:
1. Ein physisch realer erfahrbarer Ort, an dem „Handel“ betrieben wird (in Leipzig z. B. fast jeden Dienstag und Freitag in der Innenstadt). Als solcher ist er auch ein Kulturprodukt im weitesten Sinne, das auch dem Austausch von Informationen und anderen kulturellen Zielen dienen kann (z. B. Prestige usw.). Inwiefern dort tatsächlich „ökonomische Gesetze“ zum Tragen kommen und welchen Geltungsbereich sie dort abstecken, ist eine jeweils vor kulturellem-historischen Hintergrund noch zu klärende Frage. Ferner werden solche Handelsplätze von bestimmten „Sonderregeln“ tangiert (in der Vergangenheit ggf. Waffenverbot u. ä., in der Gegenwart vor allem organisatorisch-hygienische Regeln).

2. „Markt“ als gedankliches Konstrukt des Zusammentreffens von „Angebot“ und „Nachfrage“.

3. „Markt“ als Propaganda bzw. Ideologie, was z. B Walter Otto Ötsch in „Mythos Markt“ als These vertritt. „Der Markt“ ist demnach mit einem Bündel an mehr oder weniger expliziten Annahmen, Analogien und naturalistischen Elementen verbunden, die eher im Sinne einer dogmatischen Ideologie (Marktradikalität) eingesetzt werden.
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Handel
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„Handel“ wird häufig synonym für „Tausch“ verwendet und kann ebenfalls unterschiedlich ausgeleuchtet werden. Zum Beispiel:

1. „Handel“ könnte für konkrete Kauf- und Verkaufsakte stehen, d. h. es wird ein Gegenstand gegen einen anderen getauscht. In dem Sinne ist die Vorstellung von „Eigentum“ logisch zwingend erforderlich, was eine „Eigentumssicherheit“ mit einschließt (wenn „Eigentum“ den Eigentümer verlässt, wird es vermutlich in das „Eigentum“ eines anderen Eigentümers – des Tauschpartners – übergehen). Dieses Eigentum kann durch „den Staat“ oder aber z. B. durch das eigene physische Vermögen „gesichert“ werden. Zur Sicherung des Eigentums ist der Staat nicht notwendig, er kann allerdings die Möglichkeit, zu tauschen, vergrößern (z. B. in dem er auch das Eigentum schützt, das einzelne Personen auf Grund einer weniger stark ausgeprägten körperlichen Konstitution möglicherweise nicht selbst schützen können).

2. „Handel“ als Synonym für eine Branche, z. B. „Einzelhandel“ oder „Großhandel“, also im Grunde volkswirtschaftliche Distributionssysteme. Dabei werden „Handelsfilialen“ häufig auch im alltäglichen Sprachgebrauch als „Märkte“ bezeichnet (z. B. Supermarkt).
Ergänzende Anmerkung:

Verlässlichen Schutz gegen Übergriffe kann jede gesellschaftliche Organisationsform bieten. Es kommt dabei im Wesentlichen auf die jeweilige Macht zur Durchsetzung (Gewalt) an. Ein schwacher Staat wird z. B. nicht viel zur Eigentumssicherheit beitragen können. Dass der Staat die einzige Möglichkeit darstellt, Eigentumsrechte zu gewähren, darf deshalb bezweifelt werden. Es ist auch nicht ausgemacht, dass ein „Markt“ existiert, weil ihn Staaten oder Staatenverbünde schützen. Denkbar wäre auch, dass Staaten und Staatenverbünde „Märkte“ schützen, weil sie in irgendeiner Weise davon einen Nutzen haben, die geschützten „Märkte“ aber durchaus auch ohne Staaten existieren könnten. Möglicherweise dient dieser „Schutz“ auch „nur“ dem Ziel der Machtausweitung oder Machtsicherung von Staaten, Staatenverbünden, Gruppierungen usw. Wer „Märkte“ schützt, hat auch einen gewissen Einfluss auf die „Marktflüsse“ (was gehandelt wird, wer handelt usw. usf.).
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Wissenschaftstheoretischer Status:
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Abhängig von der Definition von „Märkten“, sind „Märkte“ empirisch überprüfbar (z. B. fast jeden Dienstag und Freitag in der Leipziger Innenstadt), wissenschaftlich schwierig nachzuweisen (also Interpretationssache) oder gänzlich metaphysisch-dogmatisches Brimborium.
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Eigene Positionen
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Die Frage ist, wozu wir den Marktbegriff benötigen. Wenn wir z. B. Handelsströme u. ä. untersuchen, scheint er mir überflüssig. Wenn bestimmte Aggregate als „Angebot“ und „Nachfrage“ deklariert werden, dann ist ein Konstrukt (!) „Markt“ – gleichwohl sich die einzelne Nachfrage und das einzelne Angebot in einem konkreten Markt manifestieren können – womöglich mit bestimmten Annahmen beladen, die letztlich in die Irre führen können. Konkret: Beobachtungen aus dem Mikro-Bereich werden auf die Makro-Ebene übertragen, ohne zu hinterfragen, welche Annahmen bereits auf der Mikroebene drin stecken und inwiefern diese Anwendung/ Übertragung überhaupt zulässig ist. Vielleicht macht das Konstrukt „Markt“ auf der Makro-Ebene überhaupt keinen Sinn (zumal es „den Markt“ dann eigentlich überhaupt nicht gibt).

Zudem scheint mir z. B. der Begriff „Marktversagen“, gleichwohl dieser Begriff unter Ökonomen gängig ist, ziemlich stark anthropomorphe Züge zu tragen und mit moralischen Wertungen durchtränkt zu sein. Versagen können eigentlich nur Menschen und „der Markt“ ist kein Mensch (gleiches gilt für „den Staat“). Außerdem wäre zu klären, worin das „Versagen“ liegen soll. Das heißt, dass letztlich bereits im Vorfeld eine Vorstellung davon existiert, wonach das „Versagen“ zu beurteilen ist. Damit zeigt sich auch, dass das Etikett „Versagen“ bereits eine Wertung darstellt: Ihrerseits ist sie bereits mit einem Kriterium verbunden (Wann liegt ein Versagen vor?), das – im ethisch redlichen Diskurs – transparent gemacht werden müsste, wenn diese Wertung überhaupt Geltung haben soll. Aber ob sich „dem Markt“ selbst solche Vorwürfe machen lassen, bezweifle ich. Mehr oder weniger kann das auch Teil einer Immunisierungsstrategie sein, mit der die „lästige“ moralische Verantwortung für das eigene Handeln vom Hals gehalten werden soll: „Der Markt“ als metaphysische Ausflucht für das eigene Tun.

Dabei wären natürlich auch nicht intendierte Folgen intendierter Handlungen zu beachten, die aber zumindest gemäß der Integrativen Wirtschaftsethik jedem Menschen ein zumutbares Maß an Mitverantwortung abverlangen, d. h. auch ohne direktes „Verursacherprinzip“ ist von jedem Gesellschaftsmitglied ein gewisses Maß an Solidarität zu üben. Aber nicht, weil irgendwo ein anonym mystischer „Markt“ seine unsichtbaren Hände im Spiel hätte, sondern auf Grund der Vorstellung, dass jedes Handeln nicht intendierte Folgen haben kann.
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Zu den Zitaten:
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Bei Sarrazin frage ich mich: Wenn „der Markt“ ein Set an Regeln darstellt, wieso muss „der Markt“ dann noch reguliert werden? Offenbar existiert dort neben der bereits existierenden „Regulierung“ noch etwas anderes „im Markt“, das sich eben nicht auf „Regulierung“ zurückführen lässt.

Außerdem scheint sich mir dort die Katze in den Schwanz zu beißen: „Der Markt“ ist ein Set an Regeln, das ganz sicher nicht „der Markt“, sondern „der Staat“ setzt, der wiederum für dieses „Regelsetzen“ immer dann kritisiert wird, wenn die Regeln a) der ökonomischen „Logik“ widersprechen oder b) zu „Krisen“ (u. ä.) führen. Was „der Staat“ auch macht, es ist dann fast immer verkehrt: Einmal wird „er“ für das „Engagement“ kritisiert, im anderen Falle für sein „Nichtstun“.

Ich sehe den Unterschied zur „neoliberalen“ Position offen gestanden nicht wirklich, weil sich das, was wir schlechthin als „neoliberal“ bezeichnen, als beliebiger (!) Mix aus Marktradikalität und reduziertem „Ordoliberalismus“ darstellt.

Bei Radnitzky (Name red. bearbeitet) habe ich das Problem, dass er in (4.4) am Beispiel der Reputation ökonomistisch argumentiert und zwar so, wie ich es auch von neoliberaler Seite erwarten würde: Der Staat ist damit eher ein Störenfried, eigentlich regelt sich alles von selbst – der Staat ist gar nicht notwendig. Bei aller oberflächlichen Unterschiedlichkeit stellt sich mir hinsichtlich Radnitzky (Name red. bearbeitet) und Sarrazin die Frage, inwiefern sie ihre Positionen noch vertreten, wenn sie tatsächlich in Zweifel gezogen sind. Was würde Radnitzky (Name red. bearbeitet) z. B. angesichts einer Finanz- und Wirtschaftskrise sagen? Würde er seinen kritischen Unterton hinsichtlich der Marktregeln durchhalten? Und was wäre Sarrazins Antwort auf die Forderung nach einer stärkeren Regulierung der Märkte?

Meine Vermutung ist, dass beide Seiten wesentlich stärker zurückrudern werden und sich letztlich damit offenbart, wie wenig sie eigentlich voneinander entfernt liegen. Eigentlich, so mein Eindruck, haben beide das Zeug, Spielarten (Variationen) ein und desselben geistigen Fundaments zu sein. Möglicherweise gibt es Beispiele, die den Kontrast hinsichtlich verschiedener Einstellungen zum und über den Markt deutlicher werden lassen.

Sebastian Thieme

Eingereicht am 10.01.2013 um 14:34 | Als Antwort auf Lars Bräutigam.

“Damit wird offensichtlich, dass wann immer die Wirtschaftssubjekte selbst nicht genügend gesellschaftliche Werte internalisiert haben, ein die Markkräfte regulierender Akteur eingreifen muss. Er selbst kann jedoch auch überflüssig werden, wenn die Akteure wieder von selbst mehr die Folgen ihres Handelns berücksichtigen.”

Die Frage ist: Reden wir dann noch von “Markt”, obwohl wir eher das Prinzip “Wettbewerb”/ “Konkurrenz”/ “Rivalität” meinen? Ich denke, das ist ein wesentlicher Unterschied.

Richard Scholz

Eingereicht am 10.01.2013 um 15:27

Zum Thema Märkte:

Zustimmung besteht darin, dass Märkte nur unter der Moral: Respekt vor dem Eigentum funktionieren. Dass die meisten Märkte nur dauerhaft unter einem Schutz eines Staates oder Staatenbundes existieren könnte jedoch auch daran liegen, dass es nur wenige Orte gibt die nicht unter dem Schutz eines Staates liegen. Die wenigen bekannten Beispiele wie Schwarzmärkte, Mafiahandel oder auch Märkte in Ländern die vom Staatszerfall betroffen sind können als dauerhaft existent bezeichnet werden und widerlegen damit die These bereits. Eine andere Institution/Regel scheint dort den Schutz vor dem Eigentum zu wahren.

Ich möchte aber ausdrücklich darauf verweisen damit nicht der oben dargestellten Gegenposition von Weede zugestimmt wird. Vielmehr kann die Moral durch unterschiedlichste Weise wie u.a. Gewaltandrohung, Gewohnheit oder eben auch den Staat oder ein staatsähnliches Gebilde (Regionalregierung) zustande kommen. Meineserachtens gibt es Beispiele in denen mit einer Währung gehandelt wird obwohl der dazugehörige Staat (der ja den Wert garantiert) schon längst nicht mehr existent ist (Beispiel für Gewohnheit).

Zur Unterscheidung zwischen Marktversagen und Staatsversagen:

Da die Regulierung der meisten Märkte durch den Staat erfolgt können in der Tat die meisten Marktversagen auf ein Staatsversagen zurückgeführt werden bzw. auf eine fehlerhafte Regulierung. Demnach macht wie bereits erwähnt die Unterscheidung keinen Sinn!

Abgesehen davon kann eine Unterscheidung in anderem Zusammenhang dennoch sinnvoll erscheinen. Geht man von einem bereits existierenden „Normalzustand“ eines Marktes aus in dem die Eigentumsverhältnisse bereits geregelt und institutionalisiert sind, so können dort aufgrund von den bekannten Ursachen (Informationsasymmetrien, Externalitäten) suboptimale Güterallokationen entstehen bzw. es kommt gar zu einem Zusammenbruch des Marktes. Diese Fehlentwicklung ist nicht auf einen Staatseingriff/Staatsversagen zurückzuführen und zeigt dass der Staat in der Regulierung nachbessern muss. Staatsversagen hingegen bezeichnet Wohlfahrtsverluste durch Staatseingriffe verursacht durch Demokratiedefizite, Bürokratie oder Lobbyismus entstehen.

Ob in der Realität zwischen beiden immer klar abgegrenzt werden kann ist fraglich. Die theoretische Unterscheidung erscheint mir jedoch trotzdem sinnvoll.

24 Gedanken zu „Zum Begriff des Marktes

  1. Der Waffenhandel scheint mir tatsächlich ein falsifizierendes Beispiel für den allgegenwärtigen Schutz des Staates über dauerhaft existierende, funktionierende Märkte zu sein. Was garantiert das Eigentum des anderen auf einem illegalen Waffenmarkt? Nichts. Wie kommt dennoch der Respekt vor dem Eigentum des anderen zustande? Dass der Nachfrager Respekt vor dem Waffenbesitzer hat, bedarf wohl keiner Erklärung. Warum nimmt sich der Waffenhändler nicht einfach das Geld des potenziellen Käufers? M.E., weil er auf weitere Geschäfte hofft, wenn er davon ausgehen kann, dass der Käufer noch mehr Geld in der Hinterhand hat. Hier trifft offenbar die Erklärung Radnitzkys zu, die da lautet: Reputation. Ohne Reputation würde der Waffenverkäufer bald keine Abnehmer mehr finden.

    Ob daraus folgt, dass jeder Markt ohne staatlichen Schutz auskommen kann, würde ich trotzdem bezweifeln. Ebenso dass Videokameras und Alarmsirenen einen Schutz darstellen, wenn es keine Möglichkeit gäbe, Diebe und Räuber vor Gericht zu stellen.

    Als harter Kern meiner These bleibt zunächst: Der Respekt vor dem Eigentum des anderen ist eine Voraussetzung für das Funktionieren von Märkten. Dass ich damit noch nicht die grundlegende Struktur definiert habe, die Märkte von anderen Institutionen unterscheidet, ist mir klar.

  2. Zum Begriff „Marktversagen“. Von Dingen, die wir selber hergestellt haben, damit sie einen bestimmten Zweck erfüllen, sagen wir in einem zugegeben übertragenen Sinn, dass sie versagen, wenn sie ihren Zweck nicht erfüllen. In diesem Sinne können ein Hammer, eine Kaffeemaschine und eine Herzklappe ihren Dienst versagen. Bei reinen Naturobjekten wäre eine solche Redeweise für einen Atheisten schon etwas komisch. In Bezug auf Märkte kommt es nun also darauf an, ob wir sie als unsere Kreationen oder als Naturobjekte betrachten wollen. Da wundert es mich schon sehr, wenn hier für letzteres plädiert wird…

    • Auf was, ich mit meinem Hinweis hinauswollte war: Das Funktionieren steckt doch implizit schon im Begriff selbst. Was ist denn ein nicht funktionierender Markt?

      Das Attribut „funktionieren“ ist deshalb meines Erachtens überflüssig.

      Zum anderen wird mir einfach zu schnell über das Problem hinweggegangen, dass die ökonomische Sprache voll „vermenschlichten“ Begriffen ist. Und der Markt gehört dazu. Das entsprechende Missbrauchspotenzial (in Richtung Immunisierung und Dogmatisierung) hält deshalb m. E. dazu an, über den Gebrauch nachzudenken: Sind denn „Märkte“ wirklich notwendig? Wird damit nicht ggf. ein Begriff zusätzlich über Sachverhalte gelegt, die eigentlich mit anderen Begriffen bereits beschrieben werden?

        • Wenn wir über Tauschbeziehungen sprechen, wie kürzlich zum Thema Geld, dann sind es Tauschbeziehungen. (Was mit einschließt, sich über den Begriff „Tausch“ zu verständigen.)

          Wenn wir über die gesamtwirtschaftliche Nachfrage oder eine bestimmte Branche sprechen, dann sind es eben die entsprechenden Aggregate.

          Oder von der anderen Seite her aufgerollt. Würde es nicht viel mehr Missverständnisse aus dem Weg räumen, wenn wir statt vom „Marktverhalten“ jeweils konkret vom Käufer-, Verkäufer- oder Produzentenverhalten zu sprechen?

          Auf was ich hinaus wollte, war, begriffskritisch zu hinterfragen, wo wir „den Markt“ wirklich benötigen. Womöglich lässt bereits ein bedachterer Umgang den Begriff stärker an Konturen gewinnen.

        • Ergänzung: Mein Eindruck ist, dass „Markt“ häufig synonym für „Wettbewerb“ verwendet wird. Mir ist zwar bewusst, dass es sich sprachlich nicht besonders elegant macht, z. B. von einer Wettbewerbswirtschaft (statt von einer Marktwirtschaft) zu sprechen. Was den konkreten Begriff „Markt“ betrifft, scheint es mir aber redlicher und präziser, vom „Wettbewerb“ zu sprechen, wenn auch tatsächlich „Wettbewerb“ gemeint ist.

  3. Einmal abgesehen davon, dass ich gar nicht von „dem Markt“ sondern „den Märkten“ gesprochen habe, trifft es für jeden wissenschaftlichen Begriff zu, dass er ein Konstrukt (eine Schöpfung des menschlichen Verstandes) ist. Manche bemerken das immer dann, wenn sie Schwierigkeiten haben, mit einem Gegenstand fertig zu werden. Plötzlich heisst es dann, dass „es ‚den Markt‘ … eigentlich überhaupt nicht gibt“. Die Behauptung, dass der Begriff „Markt“ ein „gedankliches Konstrukt des Zusammentreffens von ‚Angebot‘ und ‚Nachfrage'“ sei, muss dann bitte aber genauso kritisch gesehen werden: Der Begriff „Konstrukt“ ist selber ein Konstrukt und hat die Nullklasse als Gegenstand.

    Übrigens: Nur dadurch, dass das Subjekt eines Satzes die Nullklasse als Extension hat, folgt noch lange nicht, dass der Satz sinnlos ist.

    Den Begriff des Marktes brauchen wir schon deshalb, weil eine Reihe von Graduierungsarbeiten der Mitglieder des Forschungsseminars diesen Begriff benutzt haben (pragmatischer Grund).

    Das man den Markt nicht regulieren müsse, weil er schon selber im Kern als ein Regelsatz begriffen werden kann, ist nun ein besonders merkwürdiges Argument. Sind denn Regeln in Stein gemeißelt?

  4. „Manche bemerken das immer dann, wenn sie Schwierigkeiten haben, mit einem Gegenstand fertig zu werden. Plötzlich heisst es dann, dass ‚es ‘den Markt’ … eigentlich überhaupt nicht gibt‘.

    Statt Polemik hätte ich an der Stelle gerne mal etwas mit mehr Substanz gelesen. Hinter „den Märkten“, über die wir auch im Forschungsseminar häufig reden, stecken doch im Grunde Tauschbeziehungen, Kauf- und Verkaufsakte usw. So haben wir das immer wieder diskutiert. Mir leuchtet nicht ein, dass ein Begriff „Markt“ – so sehr sich das auch eingeschliffen haben mag – „besser“ (i. S. von präziser und verständlicher) sein sollte, als jene Begriffe, die das dahinter liegende Problem konkret (!) benennen.

    Da hilft auch kein Hinweis auf den Pragmatismus bzw. ist das nur ein konservatives und schwaches Argument, wenn damit bereits mit dem Begriff verbundene Verständnisprobleme weiter legitimiert werden sollen. Aus begriffskritischer Sicht leuchtet es jedenfalls nicht ein, warum nicht auch Begrifflichkeiten wie „der Markt“ oder „die Märkte“ und deren Verwendung kritisiert werden sollen. Davon ausgehend könnte vielleicht eine andere – dann: konkrete, d. h. den jeweiligen Gegenstand ohne größere oder verschleiernde Umwege beschreibende – Begrifflichkeit (Alternative) verwendet werden. Zumindest sollte diese Position erwogen und nicht dogmatisch leichtfertig mit dem Hinweis auf Pragmatismus verworfen werden.

    „Das man den Markt nicht regulieren müsse, weil er schon selber im Kern als ein Regelsatz begriffen werden kann, ist nun ein besonders merkwürdiges Argument. Sind denn Regeln in Stein gemeißelt?“

    Da liegt ein Missverständnis vor. Natürlich werden die Regeln nicht mehr in Stein gemeißelt und sie sind – bis auf wenige Ausnahmen (Menschenrechte usw.) – auch nicht unabänderbar.

    Merkwürdig ist nur, dass jene, die diese Wandelbarkeit des Regelrahmens für gewöhnlich auch behaupten, dann häufig nicht wirklich sagen können, wie sich die Regeln ändern (können). (Siehe das Homann-Problem: Wie kommt die Moral in die Regeln?)

    In der erfahrbaren Lebenswirklichkeit führt das nicht selten zu der eigenartigen Situation, dass „Regeln“ bitteschön „marktkonform“ sein sollen und wenn sie nicht „marktkonform“ sind, gelten sie als nicht ökonomisch usw. Doch wenn „der Markt“ durch einen Regelrahmen bedacht sein soll, dann werden diese Regeln vermutlich bestimmte Tendenzen „im Markt“/ „des Marktes“ einschränken und in den Bereichen eben nicht „marktkonform“ sein. Das heißt, dass sich Regeln und „Markt“ in einem gegensätzlichen Verhältnis befinden, zumindest dann, wenn die Regeln „den Markt“ einrahmen sollen.

    Deshalb tritt Sarrazins Definition auf der Stelle, denn er definiert etwas als „Markt“, was „den Markt“ eigentlich einzäunen soll, ihm negativ gegenübersteht.

    Das streift auch den Punkt, auf den ich mit meinem Hinweis hinauswollte. „Der Markt“ wird bei Sarrazin als Set an Regeln verstanden. Dann heißt es, dass „der Staat“ für dieses Regelsetting verantwortlich ist. Deshalb sei es verfehlt, „Markt“ und „Staat“ in einen Gegensatz zu sehen. Müsste dann „der Staat“ mit seiner Kompetenz als Regelsetzer nicht auch Teil „des Marktes“ sein?

    Merkwürdig ist, dass die Definition von „Markt“ als „Set an Regeln“ bewusst oder unbewusst den eigentlichen Kern „des Marktes“ ausblendet, diesen Kern noch nicht mal etwas näher charakterisiert. Wenn der „Markt“ das Regelsetting ist, was soll dann bitte „reguliert“ wird? Das „Regelsetting“? Was gibt denn dann bitte den Anstoß dafür, dass ein Regelsetting geändert werden soll? „Der Markt“ als Regelsetting fällt ja nach Sarrazins Definition offenbar heraus.

    Kurz: Sarrazin definiert zwar „Markt“ als Regelsetting, braucht den Begriff aber dann auch wieder anders. Jedenfalls scheint mir, dass er den „Markt“ als Set mit Regeln mit dem Prinzip Wettbewerb/ Rivalität/ Konkurrenz vermengt. Und wenn es tatsächlich auf Wettbewerb hinausläuft, dann wäre es verständlicher gewesen, zu schreiben, dass der Wettbewerb durch Regeln umrahmt wird (statt dass „der Markt“ ein Set an Regeln darstellt). Dann hätten wir aber zwei Sachverhalter: Den Wettbewerb und die Regeln (Regelrahmen), die zugegebenermaßen auf den Wettbewerb bezogen sind. Allerdings wäre dann auch deutlicher, dass sich beides – Wettbewerb und Regulierung – in einem gegensätzlichen Verhältnis befinden kann.

    • Ich verstehe nicht warum an dieser Stelle immer auf den Wettbewerb hinaus gewollt wird. Der Markt entsteht durch den Tausch. Ob dabei Wettbewerb auf dem Markt herrscht greift meines Erachtens zuweit nach vorn. Bleiben wir doch erstmal beim Begriff Markt.

      • Ganz genau. Es ist eine Unsitte, bei den abstakten Kategorien schon alles reindenken zu wollen, was man sonst noch damit in Zusammenhang bringen könnte.

      • Der Markt entsteht durch den Tausch. Ob dabei Wettbewerb auf dem Markt herrscht greift meines Erachtens zuweit nach vorn.

        Erstens zeigt das m. E. wieder sehr gut, welche Missverständnisse „der Markt“ verursacht. Offenbar liegt hier die Vorstellung zu Grunde, dass der Tausch reguliert werden muss. Gut, wenn das so ist, wäre es präziser, nicht vom Marktversagen und Marktregulierung, sondern von Tauschversagen und Tauschregulierung zu sprechen.

        Aber darüber hinaus: Warum muss ein Tausch reguliert werden? Meines Erachtens läuft das letztlich doch wieder auf Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit hinaus, weil Übervorteilung und/ oder Benachteiligung als Ausfluss von Wettbewerb interpretiert werden kann. Zudem könnte die Suche nach solchen Übervorteilungs- und Benachteilungsmöglichkeiten unter Umständen ein wesentliches Merkmal für „Märkte“ sein bzw. ergibt sie sich in der Regel aus den Modellierungs- und Verhaltensannahmen (z. B. Egoismus, Eigennutzstreben, ggf. Unsicherheit usw.). Diese werden i. d. R. der Idee des Marktes unausgesprochen mit beigmengt, also ohne sie explizit zu machen.

        Das Problem steckt übrigens schon in der Annahme, dass „der Markt“ Regeln bräuchte, um zu funktionieren. Die Art und Weise der Regeln und die entsprechenden Verhaltensannahmen müssten dann eigentlich mit transparent gemacht werden, wenn solche Behauptungen in den Raum gestellt werden.

        Außerdem zu beachten: Den Marktregulierungen steht für gewöhnlich das (von mir aus: neoliberale) Argument entgegen, das sie den Wettbewerb einschränken, womit von dieser Seite her der Bezug zum Wettbewerb besteht.

        Und bei Sarrazin habe ich eben den Eindruck, dass es auf Wettbewerb hinausläuft. Abgesehen davon bleibt speziell bei Sarrazin das Problem mit seiner „Markt“-Definition und der Verwendung seines Begriffes bestehen.

    • „Aus begriffskritischer Sicht leuchtet es jedenfalls nicht ein, warum nicht auch Begrifflichkeiten wie “der Markt” oder “die Märkte” und deren Verwendung kritisiert werden sollen. Davon ausgehend könnte vielleicht eine andere – dann: konkrete, d. h. den jeweiligen Gegenstand ohne größere oder verschleiernde Umwege beschreibende – Begrifflichkeit (Alternative) verwendet werden. Zumindest sollte diese Position erwogen und nicht dogmatisch leichtfertig mit dem Hinweis auf Pragmatismus verworfen werden.“

      Der Sinn der Diskussion war es doch gerade abzuklären, ob die obige Definition des Marktes von Allen geteilt wird oder nicht. Das bedeutet ja gerade dass man inhaltliche Kritik übt (also die Definition verwerfen und / oder abändern muss) wenn man mit ihr nicht einverstanden ist. Ich verstehe allerdings nicht wie man eine Alternative zur Erklärung von Etwas einfordern kann, wenn noch nicht mal klar ist was der zu erklärende Gegenstand ist der mit (den ebenso noch nicht geklärten Begriffen) beschrieben werden soll. Man muss doch bei den Begriffen anfangen.

      Doch selbst wenn man von dieser Logik abweicht, würde mich mal interessieren was denn die von dir bevorzugte Begrifflichkeit wäre (bitte konkret!) die den Gegenstand nicht so stark verschleiert? Tausch oder Wettbewerb kann es jedenfalls nicht sein, da beides ohne eine Definition von Markt nicht auskommt.

      • „Doch selbst wenn man von dieser Logik abweicht, würde mich mal interessieren was denn die von dir bevorzugte Begrifflichkeit wäre (bitte konkret!) die den Gegenstand nicht so stark verschleiert? Tausch oder Wettbewerb kann es jedenfalls nicht sein, da beides ohne eine Definition von Markt nicht auskommt.“

        ??? Tausch und Wettbewerb kommen doch ohne eine Definition von Markt aus?

        Nochmal: Ich würde auf den Begriff verzichten, wenn er andere Dinge überdeckt. Überleg‘ mal, wie oft von „dem Markt“ oder „den Märkten“ die Rede ist und wie oft dann eigentlich konkrete Dinge dahinter stecken, z. B. AnlegerInnen, ProduzentInnen, InvestitorInnen, die Nachfrage usw. usf.

        Meine Meinung ist, dass wir den Begriff „Markt“ häufig gar nicht wirklich benötigen und die, die ihn verwenden, ihn entweder aus Bequemlichkeit oder aus ideologisch-dogmatisierenden Gründen als schön klingende Leerformel gebrauchen.

  5. Man muss aber den Frust, den man bei anderen erntet, nicht bei Dritten abladen. Für Homann kann ich absolut nichts. – Um nun aber etwas weiter zum substanziellen Kern vorzustoßen: Ich denke auch, dass das grundlegende Verhältnis (das man auch als Regel formulieren kann) im Tausch liegt (der das Eigentum und die Anerkennung des Eigentums des anderen voraussetzt). Nur wollte ich das bislang nicht behaupten, solange wir uns nicht über den Tauschbegriff verständigt haben. Denn davon hängt es ab, ob wir den Kauf-/Verkauf etc. noch extra erwähnen müssen oder nicht. Und wenn man meint, dass man in der Ökonomik oder einer Ökonomie-kritischen Ethik ohne den Begriff des Marktes auskommt, werden diese Überlegungen sowieso irrelevant erscheinen. Für mich sind sie es jedenfalls nicht. Ich glaube nicht daran, dass es Begriffe gibt, auf die eine bestimmte Schule sozusagen ein Eigentumsrecht hätte. Wenn es mir hier darum geht, den Marktbegriff zu klären, so basiert das auf der Freiheit, die auch wir haben, diesen so zu bestimmen, dass damit so wenig Ideologie wie möglich transportiert wird. Und wenn der Begriffsinhalt, den wir mit dem Marktbegriff verbinden, irgend jemand ideologisch erscheint, dann muss das konkret benannt werden. „Den Marktbegriff“ gibt es jedenfalls nicht, sondern nur viele Marktbegriffe, von denen auch ich einige ablehnen würde. Um das tun zu können, braucht man eine Alternative. Die sollte nicht so umständlich sein, dass man sich die Zunge dabei abbricht.

    • Wenn aber „Markt“ für Dinge herhält, die eigentlich auch mit anderen Begriffen präziser gefasst werden können, ist das Festhalten am Begriff „Markt“ überflüssig und produziert dann just jene Missverständlichkeiten, über die wir dann eifrig diskutieren können. Wenn es also eigentlich um den Tausch geht, warum dann einen Begriff diskutieren, der (bildlich gesprochen) über diesen Tausch gelegt wird.

      Zudem denke ich, dass ein begriffskritisches Verständnis zum Begriff „Markt“, wenn mensch ihn schon verwenden möchte, einfach dazu gehört. Sich auf die traditionell hergebrachten Begriffe zurückzuziehen, ist ein schwaches – bisweilen dogmatisches – Argument.

  6. Uii! Jetzt wird ganz schön kompliziert der Sache an sich noch zu folgen. Gibt es denn ein paar Regeln wie hier auf welche Kommentare kommentiert wird?

    Anmerkungen:
    Ich stimme zu das der Markt ein menschliches Konstrukt ist und kein „Naturphänomen“ Vom funktionieren eines Marktes kann m. E. sehr wohl gesprochen werden wenn man ihm vorher eine Funktion unterstellt die er erfüllen soll und dies wird in der Ökonomie sehr wohl häufig gemacht. Beispiel: Allokationsfunktion.

    Genau diese Funktion könnte der Staat theoretisch auch gleich selbst übernehmen. Das Eigentum der Bürger (welches er ja sowieso schon schützt) einfach an sich nehmen und selbst verteilen. Da es dabei aber des öfteren zu Staatsversagen kommt (die Allokation verläuft z.B. trotz Demokratie nicht so wie vom Bürger gewünscht) wird diese Funktion dem Markt überlassen. Das heißt es werden Regeln zum Tausch festgelegt. Diese können natürlich unterschiedlich ausgefeilt sein (Informationspflicht etc.) damit dieser dann auch zu optimalen Ergebnissen bei der Allokation führt.

    (habe ich das Thema richtig verstanden?)

    • Darauf wollte ich mit meinem Hinweis auf das Konstrukt „Markt“ hinaus, denn die Funktion und die Dauerhaftigkeit werden in der eingänglichen Definition von „Markt“ einfach so mit untergeschoben.

      Wenn von Funktion gesprochen wird, muss auch klargemacht werden, welche. Das kann zwar ganz abstrakt offengelassen werden, dann wäre aber ein „Markt“ ein Etwas, das eine Funktion X erfüllt. Da aber auch „der Staat“ diese Funktion X erfüllen kann, muss noch ein anderes Merkmal gefunden werden, wodurch sich „der Markt“ z. B. vom „Staat“ unterscheidet.

  7. Ich weiß nicht so recht, was man da NOCH sagen soll: Offenbar wollen einige den Begriff „Markt“ klären. Es bringt uns nicht weiter, immer wieder zu lesen, dass man andere Begriffe verwenden soll, aus welchen Gründen auch immer. Da der Begriff noch nicht geklärt ist, besagt eine solche Forderung gar nichts.
    Zur Veränderbarkeit der Regeln, die einen Markt konstituieren. Um dazu etwas sagen zu dürfen, muss ich leider etwas (aber eben nur ein wenig) vorauseilen.
    Wie bereits gesagt, würde ich zum Begriff „Tausch“ lieber ein neues Thema aufmachen. Der Grund ist einfach der, dass eine Definition des Marktes als ein Ort, an dem Tauschprozesse stattfinden, zu kurz greift, wenn Kauf und Verkauf (so wie von Herrn Bräutigam) nicht als Tausch anerkannt werden.
    Aber sei‘s drum, versuchen wir es mal mit dem Tauschbegriff. Ich definiere ihn gleich so, dass das Eigentum als grundlegende Kategorie berücksichtigt wird.
    Vorausgesetzt wird, dass sich etwas im Eigentum von B befindet, das A will, und vice versa. Das bringt die beiden Eigentümer A und B zusammen. Eine Tauschsituation liegt dann vor, wenn der Akteur A einen Teil seines Eigentumes hergeben muss, um den gewünschten Teil aus dem Eigentum des Akteurs B zu bekommen, und wenn dasselbe spiegelbildlich für B zutrifft (Kernregel Nr.1: Geben und Nehmen auf beiden Seiten). Des Weiteren muss jeder der beiden Akteure der Meinung sein, dass das, was er bekommen wird, mindestens dem, was er gibt, gleichwertig ist (Kernregel Nr.2: Vorteil des Gebens und Nehmens für beide Akteure). Welchen Maßstab die Akteure dabei anlegen, ist völlig jedem selber überlassen. Ein Akteur muss auch nicht wirklich einen Vorteil haben, entscheidend ist nur, dass er der Meinung ist, einen Vorteil zu haben, wenn er tauscht.
    Die beiden Regeln konstituieren einen Tauschprozess, sobald die beiden Akteure danach handeln. Dabei kommt objektiv ein Tauschverhältnis zustande, das beinhaltet, wie viel von dem einen Etwas gegen wie viel von dem anderen Etwas getauscht wird.
    Diese beiden Regeln (vielleicht sind es auch drei oder vier, je nachdem, wie explizit man die Situation macht) können zwar geändert werden, dann liegt aber kein Tausch mehr vor. Insofern sind die Kernregeln, wie Sebastian will, unabänderlich.
    Darüber hinaus kann aber noch eine Menge anderes geregelt werden. Zum Beispiel, was getauscht werden darf (Sklaven, Waffen, Ehre, Informationen etc.). Darüber hinaus könnte der Staat auch das Wie des Tausches regeln wollen: Per Handschlag, schriftlichen Vertrag, mit oder ohne Feilschen etc.
    Nehmen wir die Gesamtheit von Bedingungen, die an einem bestimmten Ort kombiniert werden, um die Tauschprozesse zu regeln, so handelt es sich um einen (bestimmten) Markt (Sklavenmarkt, Spionagemarkt, etc.). Das ist das, was Sarrazin im Blick hat.
    Um Sebastian einen Gefallen zu tun, schließe ich an diesen Punkt eine moralische Bewertung. Mal sehen, ob er der widerspricht.
    Der Tausch ist gegenüber einer anderen Situation, in der A etwas aus dem Eigentum des B haben will, moralisch hochwertiger. Ich meine hier Diebstahl und Raub. Argumentativ begründen würde ich das damit, dass die meisten Leute nicht bestohlen und beraubt werden wollen, so dass sie das Prinzip „jeder darf jeden anderen bestehlen oder berauben“, ablehnen werden. Ohne dass ich also das Prinzip „jeder darf mit jedem tauschen“, positiv begründe, ist allein aus der moralischen Ablehnung des Raubes und des Diebstahls klar, dass eine andere Methode, sich in Besitz des Eigentums anderer zu setzen, größere Chancen hat, legitimiert werden zu können.
    (Ich hoffe nur, dass wir jetzt nicht in eine Auseinandersetzung über die Begründung moralischer Normen kommen… Also bitte nur bestreiten wenn es wirklich ernst damit ist.)

    • „Des Weiteren muss jeder der beiden Akteure der Meinung sein, dass das, was er bekommen wird, mindestens dem, was er gibt, gleichwertig ist.“

      Kleiner Einwand: Dies ist m. E. bspw. auf dem Arbeitsmarkt (gerad im Niedriglohnsektor) nicht uneingeschränkt der Fall. Oft besteht hier der Zwang die eigene Arbeitskraft auch gegen einen Lohn zu tauschen, der als nicht angemessen angesehen wird. Allerdings kommt es aufgrund mangelnder (gleichwertiger) Alternativen trotzdem zum Tausch, da ein Vorteil für beide entsteht. Dieser muss aber m. E. nicht als dem Aufwand gleichwertig / entsprechend bewertet werden. Die Formulierung „Vorteil des Gebens und Nehmens für beide Akteure“ ist da besser geeignet, da es hier allgemein um einen Vorteil geht. Ob dieser als dem Aufwand gleichwertig angesehen wird oder nicht, spielt für das Zustandekommen des Tauschaktes nicht unbedingt eine Rolle.

      • Ein guter Einwurf. Allerdings frage ich mich, was für einen Sinn die Formulierung „Vorteil des Gebens und Nehmens für beide Akteure“ haben soll, wenn sie so allgemein bleibt, dass sich im Grunde genommen eigentlich jeder Transfer/ Übergang von Eigentum (ich weiß, bei der Arbeitskraft ist das etwas schwierig abzugrenzen) als Tausch definieren lässt. Dann wäre jegliches Ausbeutungsverhältnis ein Tausch.

        Mir bereitet es jedenfalls Probleme, solche asymmetrischen Verhältnisse zum „Tausch“ zu erklären. Das trägt für mich – so polemisch das auch klingen mag – bisweilen euphemistische Züge.

    • „Des Weiteren muss jeder der beiden Akteure der Meinung sein, dass das, was er bekommen wird, mindestens dem, was er gibt, gleichwertig ist (Kernregel Nr.2: Vorteil des Gebens und Nehmens für beide Akteure). Welchen Maßstab die Akteure dabei anlegen, ist völlig jedem selber überlassen. Ein Akteur muss auch nicht wirklich einen Vorteil haben, entscheidend ist nur, dass er der Meinung ist, einen Vorteil zu haben, wenn er tauscht.“

      Vorsicht: Das erscheint mir irgendwie immunisiernd, weil dann letztlich jede Entscheidung als „Vorteil“ interpretiert werden kann. Hauptsache, der Tausch kam zu Stande. Wenn der Tausch zu Stande kam, dann wird wohl ein Vorteil vorgelegen haben …

      Abgesehen davon bezweifle ich diese Kernregel, da sich sehr wohl auch asymmetrische Reziprozität beobachten lässt, die sich in einzelnen Fällen aus „Ausbeutungsverhältnisse“ bezeichnen lassen können. Meines Erachtens verkomplizieren solche Situationen diesen Sachverhalt.

      „Insofern sind die Kernregeln, wie Sebastian will, unabänderlich.“

      Wo habe ich nach Kernregeln gefragt und deren Unabänderlichkeit gefordert?

      „Nehmen wir die Gesamtheit von Bedingungen, die an einem bestimmten Ort kombiniert werden, um die Tauschprozesse zu regeln, so handelt es sich um einen (bestimmten) Markt (Sklavenmarkt, Spionagemarkt, etc.). Das ist das, was Sarrazin im Blick hat.“

      Diese Definition von „Markt“ ist schon präziser, aber ich bezweifle, dass Sarrazin das wirklich im Blick hatte. Ich schreibe das auch deshalb, weil „der Ort“ näher zu bestimmen wäre. Oftmals handelt es sich ja nur um einen fiktiven Ort: „Der Arbeitsmarkt“ findet ja z. B. in den Jobbörsen usw. statt, so dass dann eigentlich sogar von Arbeitsmärkten gesprochen werden sollte. Aber selbst da wäre eigentlichg noch zu differenzieren. Und bei volkswirtschaftlichen Aggregaten ist dieser Ort ohnehin rein fiktiv.

      „Der Tausch ist gegenüber einer anderen Situation, in der A etwas aus dem Eigentum des B haben will, moralisch hochwertiger. Ich meine hier Diebstahl und Raub. Argumentativ begründen würde ich das damit, dass die meisten Leute nicht bestohlen und beraubt werden wollen, so dass sie das Prinzip „jeder darf jeden anderen bestehlen oder berauben“, ablehnen werden.“

      Mir fehlt das Kriterium, an dem sich die Höherwertigkeit festmacht. Ich bezweifle, dass sich in allen Fällen ein ethisch einwandfreies Urteil darüber fällen lässt. Zum Beispiel im Falle des Mundraubes aus der Not heraus (d. h. dasss dort u. a. auch nach den Motiven zu fragen wäre). Land- und Hausbesetzungen führen ebenfalls in ein solches Graufeld. Wer nicht in einen blinden Rechtspositivismus verfallen will, muss dann den Kontext betrachten (in dem z. B. bestimmte private Eigentümer ethisch zumindest nicht legitim sein können).

      Außerdem scheint mir die Begründung, Diebstahl und Raub deshalb abzulehnen, weil das Prinzip „jeder darf jeden anderen bestehlen oder berauben“ abzulehnen ist, tautologisch. Auch da fehlen Kriterien.

      Was m. E. eigentlich dahinter steckt, ist, dass jemand unfreiwillig Eigentum abgeben muss oder abgibt. Das trifft nicht nur auf Diebstahl und Raub, sondern auch auf Betrug und Nötigung zu.

      Aber dazu lässt sich m. E. auch keine allgemeingültige Regel aufstellen, weil – wie geschrieben – der Kontext zu beachten wäre. Gänzlich davon abgesehen, dass konkret der Betrug – in dem Sinne, dass der einen „Tauschpartei“ nur ein „Vorteil“ nur vorgspielt wird, unter Inkaufnahme eines Tatsächlichen Nachteils für diese Person – die obige Tauschdefinition weiter verkompliziert.

      Also nochmal: Ich sehe im Moment nicht, dass sich „Markt“ sinnvoll als abstrakter Begriff fassen lässt. Ich würde auch gerne wissen, wozu wir den Begriff denn tatsächlich benötigen. Was müssen (!) wir erklären, das sich nicht ohne „Markt“ beschreiben lässt? Versteh‘ mich nicht falsch, aber was haben wir von einem Marktbegriff, der so abstrakt ist, dass er a) auf verschiedene Sachverhalte nur schwer anwendbar ist und/ oder b) so leer bleibt, dass wir ständig konkretisieren müssen, über was wir da eigentlich reden.

  8. Ich will nicht bremsen, aber habe noch eine Frage an Lars Bräutigam zum Marktbegriff (konnte aber nicht mehr direkt kommentieren) :

    Hast du dasselbe Problem mit der Suche nach einem grundlegendem Marktbegriff wie Sebastian oder nur mit der Anwendung des vorgeschlagenen Begriffs auf primitive Gesellschaften? Ersteres ist schon deshalb schwierig, weil du den Begriff ja selbst benutzt, wenn du sagst, es „entsteht sowas wie ein Markt“. Was entsteht denn da kurz ?

    Angemerkt sei außerdem, dass nirgends behauptet wurde dass es kein Marktversagen gibt, sondern dass der Grund für jedes Versagen des Marktes letztendlich im Staatsversagen zu suchen ist.

  9. Ich denke, dass die Rede vom Vorteil etwas leistet, was hier nun schon ein halbes Dutzend Mal vom Marktbegriff (welchen?) behauptet wurde, nämlich einen dahinter stehenden, bewertenden Vergleich zu verdecken. Deshalb finde ich es besser, diesen bewertenden Vergleich, der einer freiwilligen Zustimmung zum Tausch zugrunde liegt, explizit in die Definition einzubauen.

    Ich habe den Tausch so allgemein definiert, dass er für die verschiedendsten Umgebungen tauglich ist, also beispielsweise auch für den Arbeitsmarkt, auf dem eine Asymmetrie sich auswirkt, die u.a. auf stark unterschiedliche Vermögensverhältnisse beruht. Ich will nicht bestreiten, dass damit die idealtypisch angenommene Symmetrie realiter verzerrt wird. Wie können wir aber eine solche Behauptung aufstellen, wenn wir nicht unterstellen, dass die Funktionalität und gesellschaftliche Akzeptanz eines Marktes auf Symmetrie beruht? Ich denke, dass diejenigen ein Eigentor schießen, die den Markt entweder gar nicht oder nur schwammig definieren wollen, wobei dann selbst die schlimmsten Ausbeuter behaupten können, dass ihre Angestellten ja wohl einen „Vorteil“ haben werden, wenn sie dem Kontrakt zugestimmt haben.

    Zum Thema Mundraub; so wie ich diesen Begriff verstehe, handelt es sich nicht um Raub, der unter allen Umständen abzulehnen wäre, sondern um Diebstahl in äußerster Not. Und auch unter den Bedingungen äußerster Not wäre ein Tausch moralischer, sofern derjenige, der Not leidet, etwas zu tauschen hat. Die eigentliche Schwierigkeit beginnt für den Moralphilosophen da, wo das nicht der Fall ist und er eine entsprechende allgemeine Regel formulieren muss. Wäre ich Ethiker, würde ich darauf hinweisen, dass in der Situation äußerster Not immer noch die Bitte (das Betteln) eine Möglichkeit ist. Dann haben wir im Extremfall folgende Situationen: Jemand, der zwei Hemden hat, und dem Frierenden keines davon abgibt. Und jemand, der in Not ist, und sich gewungen sieht, zu stehlen. Auf diesem Hintergrund wäre der Diebstahl des Notleidenden ebenso zu beurteilen wie die Weigerung des Besitzenden zu helfen. Und – ohne dass ich das hier ausführen will – da ergeben sich für mich zwei relevante Moralurteile: „Du sollst nicht stehlen.“ Und: „Wer zwei Hemden hat, soll dem geben, der keines hat.“ Stiehlt der Notleidende, tut er etwas moralisch Verwerfliches. Gibt der Reiche kein Hemd ab, ebenso. Von diesen zwei verwerflichen Handlungen ist m.E. diejenige am meisten verwerflich, die nicht aus Not, sondern aus Hartherzigkeit erfolgt.

    Nachdem ich also klargestellt habe, wie ich mir die Lösung des moralischen Problems „Mundraub“ vorstelle, möchte ich noch einmal betonen, dass er für mich ganz klar verwerflich ist. Der Tausch ist moralisch vorzuziehen. Aber auch das schließt nicht aus, dass der Tausch unter bestimmten Bedingungen – zum Beispiel bei massenhafter Wiederholung – unmoralisch werden kann. Deshalb muss es etwas geben, das die Macht hat, die Regeln zu ergänzen, so dass die Symmetrie, die der Markt verspricht, wenigstens annähernd eingehalten wird (Korrektur eines Marktversagens).

    Womit ich dann auch gesagt habe, wie ich „Marktversagen“ definieren würde. Dass dabei die beiden Kernregeln unverzichtbar sind, liegt auf der Hand.

  10. Ich finde es ähnlich wie G. Quaas grundsätzlich richtig zwischen Tausch und Markt in obigen Sinne zu unterscheiden. Nämlich zum einen in den Tauschakt an sich bei dem anscheinend noch Klärungsbedarf herrscht (siehe unten), und zweitens dem Markt der sich durch Regeln kennzeichnet die eine Anzahl von Tauschakten auch über einen längeren Zeitraum konstituieren.

    Zu R. Köster: „Kleiner Einwand: Dies ist m. E. bspw. auf dem Arbeitsmarkt (gerad im Niedriglohnsektor) nicht uneingeschränkt der Fall. Oft besteht hier der Zwang die eigene Arbeitskraft auch gegen einen Lohn zu tauschen, der als nicht angemessen angesehen wird. Allerdings kommt es aufgrund mangelnder (gleichwertiger) Alternativen trotzdem zum Tausch, da ein Vorteil für beide entsteht.“

    Ich glaube an dieser Stelle verstrickst du dich: Entweder entsteht ein beidseitiger Vorteil. Dann muss aber auch das was einer bekommt mindestens dem Wert (ich gehe hier von einem Nutzenwert aus) entsprechen den er gegeben hat. Oder aber der „Tausch“ ist nicht freiwillig also unter Zwang. Wie zum Beispiel wenn die Arbeitsagentur dir sonst das Geld kürzt. Interessant sind dabei 3 Punkte:

    1. Nach der Definition von G.Quaas ist der heutige Arbeitsmarkt dann kein „Markt“ ist weil nicht alle Aktuere auf Freiwilligkeit basierende Entscheidungen treffen.

    2. Wie bereits oben sich zeigte wird der Begriff „Tausch“ alltagsüblich auch für „Das gleichzeitige Nehmen und Geben“ verwendet wenn keine Freiwilligkeit herrscht. Hier sollte aber für die weiter Diskussion am besten begriffstechnisch unterschieden werden.

    3. Wie schon im FS angespochen beruht die Geschichte vom Tausch auf dem Begriff des Nutzwertes. Damit entstehen wie von S. Thieme angesprochen Gefahren der Immunisierung da schwer messbar ist. Dies wird aber meineserachtens jedoch nur im Zusammenspiel mit der Annahme von Rationalität und ständiger Freiwilligkeit kritisch.

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